Jugendbeteiligung in der Endlagersuche

Empfehlungen aus dem Forschungsprojekt DigiBeST

Eine Zusammenfassung der Projektergebnisse zu „Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beteiligungsinstrumente für die Beteiligung der Öffentlichkeit im Standortauswahlverfahren“

In Deutschland gibt es 1.900 Behälter mit hochradioaktiven Abfällen, die dauerhaft sicher endgelagert werden müssen. Ein Endlager für diese Abfälle zu finden, ist Ziel des sogenannten Standortauswahlverfahrens. Die Öffentlichkeitsbeteiligung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie soll sicherstellen, dass die Interessen und Bedürfnisse von Bürger*innen im Verfahren berücksichtigt werden. Außerdem sorgt sie dafür, dass möglichst viel Expertise in das Verfahren eingebracht wird, um die Sicherheit des Endlagers zu erhöhen. Deshalb ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Endlagersuche per Standortauswahlgesetz (StandAG) mit der Information und Beteiligung der Bürger*innen betraut. Dazu greift das BASE auf verschiedene analoge und digitale Formate zurück. Doch welche Vor- und Nachteile haben digitale Beteiligungsformate und wie setzt man sie am besten ein, um insbesondere junge Menschen unter 30 Jahren zu erreichen? Dieser Beitrag schildert Forschungsergebnisse des im Sommer 2023 abgeschlossenen Projekts „Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beteiligungsinstrumente für die Beteiligung der Öffentlichkeit im Standortauswahlverfahren (DigiBeSt)“, das im Auftrag des BASE vom Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (DIID) gemeinsam mit dem nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung durchgeführt wurde.

Im Projekt wurde ein dreistufiges Vorgehen gewählt, um von partizipationstheoretischen Grundlagen schrittweise auf die Ebene der Bedarfe und Besonderheiten der jungen Zielgruppe heranzuzoomen. Die in diesem Bericht präsentierten Erkenntnisse beruhen auf einem Methodenmix aus Literaturreview, Fokusgruppen mit der Zielgruppe und mit Initiator*innen von Jugendbeteiligungsprojekten sowie Diskussionen im Rahmen eines zweitägigen Expert*innen-Workshops.

Auf Basis dieses Vorgehens wurden vier zentrale Beteiligungsziele herausgearbeitet. Diese Ziele zu erreichen stellt die zentrale Herausforderung für beteiligende Institutionen wie das BASE dar, unabhängig davon, ob die Beteiligung digital oder analog stattfindet:

  1. Repräsentative Diversität der Teilnehmenden: Beteiligung aller relevanten (Ziel-)Gruppen
  2. Hohe Beteiligungsquote: Mobilisierung und Aktivierung einer „großen“ Zahl von Teilnehmenden
  3. Hohe Beteiligungsqualität: Inhaltliche Relevanz der Ergebnisse
  4. Nachhaltige Wirkung: Langfristige Bindung der Teilnehmenden und Wirkung des Verfahrens auf Entscheidungen

Besonders in der Endlagersuche sind zusätzliche Hürden zu überwinden, da das Verfahren komplex ist, Jahrzehnte dauert und eine direkte Betroffenheit für die meisten Bürger*innen nicht gegeben ist. Die Frage, wie junge Menschen trotzdem zur Beteiligung motiviert werden können, ist von zentraler Bedeutung.

Es zeigt sich, dass es keine einfachen und universellen Lösungen gibt, und dass das Wissen über die Effektivität von Maßnahmen zur Aktivierung und Motivation zur Beteiligung nach wie vor lückenhaft und zu wenig empirisch gesichert ist. Gleichwohl können Erkenntnisse und Empfehlungen formuliert werden, um Initiator*innen digitaler Beteiligungsverfahren wie das BASE dabei zu unterstützen, junge Zielgruppen zu aktivieren. Dabei wurden insgesamt fünf Handlungsbereiche identifiziert:

Analyse der Bedarfe der Zielgruppen: Jeder Form von Beteiligung sollte eine ausführliche Bedarfsanalyse im direkten Austausch mit der identifizierten Zielgruppe vorausgehen. Diese stellt ein wichtiges Instrument dar, um ein genaues Bild über die Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnisse einer Zielgruppe zu erhalten und das Verfahren dahingehend anzupassen. Einige junge Menschen werden durch Anreize wie z. B. Aufwandsentschädigungen, Zertifikate oder Goodies motiviert. Viele schätzen den sozialen Austausch, der durch Beteiligung ermöglicht wird. Welche Faktoren tatsächlich eine Rolle spielen ist jedoch stark verfahrensabhängig.

Ansprache der Zielgruppen: Übereinstimmend betonen sowohl die empirische Forschungsliteratur als auch die Fokusgruppeninterviews die Relevanz einer persönlichen Ansprache als effektiven Mobilisierungsfaktor. Im digitalen Raum kann dazu auf jugendgerechte und zeitgemäße Kanäle zurückgegriffen werden. Zur Erhöhung der Reichweite empfiehlt sich hier ein gezieltes Influencer*innen-Marketing und ein professioneller Auftritt im Internet. Informationen sind in einer verständlichen und zielgruppengerechten Sprache aufzubereiten, sodass auch komplexe Inhalte zugänglich und nachvollziehbar sind. Ein niedrigschwelliger Zugang zur Thematik ist wichtig, z. B. durch Integration in den Schulunterricht.

Gestaltung von (komplexen) Beteiligungsverfahren: Mit Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beteiligung ist festzuhalten, dass das Ziel möglichst großer und inklusiver Partizipation nicht allein mit digitalen Formaten zu erreichen ist, sondern die Kombination unterschiedlicher digitaler und analoger Partizipationsformate erfordert. Um den Voraussetzungen, Fähigkeiten und Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen bestmöglich entgegenzukommen, empfiehlt sich die Verknüpfung von Online- und Offline-Elementen. Aufgrund der bislang noch unbefriedigenden technischen Umsetzung von hybriden Formaten (die eine gleichzeitige Teilnahme online und offline ermöglichen) ist jedoch eine Kombination von Online- und Offline-Veranstaltungen vorzuziehen.

Einbindung unterstützender Akteur*innen: Als Voraussetzung für digitale Beteiligung müssen insbesondere junge Menschen digital befähigt werden, indem sie sich politische und digitale Kompetenzen aneignen. Die initiierende Institution sollte deshalb sicherstellen, dass unterstützende Akteur*innen die Jugendlichen über den gesamten Beteiligungsverlauf durch Information, Anleitung und Betreuung fördern und damit eine effektive Teilhabe ermöglichen. Eine zentrale Bedeutung für die Befähigung und Aktivierung von Jugendlichen kommt dabei den Schulen zu. Alle Schulformen sollten dabei berücksichtigt werden. Außerdem ist es zielführend, die Beteiligungsinhalte an den Lehrplan zu koppeln und spezifische Unterrichts- und Informationsmaterialien bereitzustellen. Zudem spielt die Identifikation mit Gleichaltrigen sowie Vorbildern, die sich bereits engagieren, für Jugendliche eine wichtige Rolle. Eine Zusammenarbeit mit Multiplikator*innen, Influencer*innen und anderen Kooperationspartner*innen kann deshalb sinnvoll sein.

Nutzung digitaler Tools: Junge Menschen sind nicht zwangsläufig an den neuesten Tools interessiert, sondern vielmehr daran, dass die in Beteiligungsverfahren eingesetzten technischen Lösungen ihren Nutzungsgewohnheiten entsprechen. Insbesondere Jugendliche unter 15 Jahren können durch den Einsatz spielerischer Elemente zu einer Teilhabe motiviert werden. So kann über Gamification-Techniken, wie z. B. Belohnungssysteme oder Challenges, eine unterhaltsame und interaktive Erfahrung geschaffen werden, die motiviert und die Beteiligungsqualität steigert. Werden neue Tools eingeführt, ist es empfehlenswert, Jugendliche aktiv in diesen Prozess einzubinden.

Vor allem junge und zukünftige Generationen werden von dem Ergebnis der Endlagersuche betroffen sein. Es ist deshalb umso wichtiger, junge Menschen frühzeitig in das Verfahren einzubinden. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts DigiBeSt verdeutlichen, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, Jugendbeteiligung, insbesondere in digitaler Hinsicht, zu unterstützen. Zugleich wird betont, dass das Recht auf Nichtbeteiligung anerkannt werden sollte. Es ist wichtig, Räume zu respektieren, in denen Jugendliche ungestört von politischen Diskussionen bleiben können, wenn sie das wünschen. Darüber hinaus sollte die Kommunikation mit jungen Menschen stets auf Augenhöhe erfolgen und ihre Bedürfnisse und Anliegen berücksichtigen. Rückmeldungen zu Beiträgen, die den Beteiligten ein Gefühl der Anerkennung und Selbstwirksamkeit vermitteln, gehören dazu. Bei allen Beteiligungsverfahren ist es essentiell, ein realistisches Erwartungsmanagement zu betreiben und zu Beginn eines Beteiligungsprozesses zu klären, welche Entscheidungsspielräume vorhanden sind. Dies betrifft insbesondere ein langwieriges Verfahren wie die Endlagersuche, in dem die Entscheidungsmacht letztlich beim Bundestag liegt.

Es ist offensichtlich, dass effektive Beteiligungsverfahren ein hohes Maß an Ressourcen in Form von Expertise, Zeit, Personal und finanziellen Mittel erfordern. Weniger klar ist, wie man diese Ressourcen am effizientesten einsetzt. Es mangelt immer noch an empirisch gestützten Erkenntnissen über die Kosten und den Nutzen einzelner Maßnahmen sowie die gezielte Wirkung auf bestimmte Zielgruppen. Initiator*innen wie das BASE stehen oft vor der Herausforderung, nicht nur herauszufinden, wie sie eine Zielgruppe überhaupt erreichen können, sondern auch welche Maßnahmen dafür am effektivsten sind. Das Projekt DigiBeSt hat verschiedene Maßnahmen aufgezeigt, die sich sowohl im Lichte wissenschaftlicher Befunde als auch durch den Dialog mit der Zielgruppe sowie den Beteiligungsexpert*innen als vielversprechend herausgestellt haben. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, junge Menschen zu erreichen und zur Beteiligung zu motivieren.

Zu den Autor:innen

Jun.-Prof. Dr. Tobias Escher ist Juniorprofessur für Soziologie am Institut für Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und leitet eine BMBF-geförderte Nachwuchsforschungsgruppe in der sozial-ökologischen Forschung zur Untersuchung der Rolle von Beteiligungsprozessen bei der Transformation zu nachhaltiger Mobilität im lokalen Kontext. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Evaluation von politischer Beteiligung online und offline.

Dr. Annika Froese ist Referentin in der sozialwissenschaftlichen Forschung am Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Im Projekt DigiBeSt hat sie die fachliche Begleitung seitens des Auftraggebers übernommen. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen wissenschaftsbasierte Politikberatung und kollektive Entscheidungsfindung, insbesondere im Hinblick auf das Zusammenspiel von Werten und Fakten.

Dr. Katharina Gerl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (DIID) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Projekt DigiBeSt hat sie die Projektkoordination übernommen. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Wirkungen und Akzeptanz digitaler demokratischer Innovationen in Politik und Verwaltung sowie von den Potentialen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz für die politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.

Claudia Haas ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin und beschäftigt sich mit der Digitalisierung des Ehrenamts und Wandlungsprozessen in der Gesellschaft. In der Vergangenheit war sie unter anderem als Referentin in der Geschäftsstelle des Dritten Engagementberichts tätig. Darüber hinaus widmete sie sich dem Bereich von Bürgerbeteiligungsprozessen am nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung und war dort Teil des Projekts DigiBeSt. Seit August 2023 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei neuland21 e.V. tätig.

Dr. Anna Soßdorf ist Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin und aktuell wissenschaftliche Mitarbeiterin am FZI Forschungszentrum für Informatik in Berlin im Bereich Digitale Partizipation und Citizen Science. Außerdem arbeitet sie als freiberufliche Forscherin, Trainerin und Beraterin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind dabei: Partizipation von Jugendlichen, Digitalisierung & digitale Bildung, Wissenschaftskommunikation & Citizen Science.

 

 

 

Literaturhinweise

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Christian Huesmann, Anna Renkamp, Wolfgang Petzold

Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

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Soziale Netzwerke und politische Partizipation. Eine empirische Untersuchung mit sozialräumlicher Perspektive Buch

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Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

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Jan Kaßner, Norbert Kersting

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vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. Berlin, 2021, ISBN: 978-3-87941-811-4.

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Chance statt Show – Bürgerbeteiligung mit Virtual Reality & Co. Akzeptanz und Wirkung der Visualisierung von Bauvorhaben Buch

2021, ISBN: 978-3-658-33081-1.

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Irmhild Rogalla, Tilla Reichert, Detlef Witt

Partii - Partizipation inklusiv Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-942108-20-1.

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Daria Ankudinova, Dr. Delal Atmaca, Katharina Sawatzki, Nadiye Ünsal, Alexandra Vogel, Tijana Vukmirovic

Politische Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und Gremienarbeit Forschungsbericht

DaMigra e.V. – Dachverband der Migrantinnenorganisationen 2020, ISBN: 978-3-9819672-2-7.

Abstract | Links | BibTeX

Florian Wenzel, Christian Boeser-Schnebel

Dorfgespräch - Ein Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum Buch

1. Auflage, Stiftung Mitarbeit, 2019, ISBN: 978-3-941143-37-1.

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Allianz Vielfältige Demokratie/Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Bürgerbeteiligung - Praxisberatung für die Kommunalpolitik: Handreichung für die Weiterbildung von Kommunalpolitikern Online

2018.

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Michael A. Neble; Kevin M. Esterling; David M. J. Lazer

Politics with the People – Building a Directly Representative Democracy Buch

Cambridge University Press, 2018, ISBN: 9781316338179.

Abstract | Links | BibTeX

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