Das TRIPLEX-Konzept für Bürgerbeteiligungsprozesse

Foto: Wolfgang Schluchter (eigenes Bild)

Prof. Dr. Schluchter war langjähriger Lehrstuhlinhaber für sozialwissenschaftliche Umweltfragen an der TU Cottbus und Direktor des Humanökologischen Zentrums (HOEZ) der BTU Cottbus. Zudem ist er Gesellschafter und Gründungsmitglied der IST GmbH Gesellschaft für angewandte Sozialwissenschaft und Statistik in Berlin und Ebertsheim und initiiert mit Hilfe des Triplex-Konzeptes Beteiligungsprozesse. Dieser Beitrag war Teil eines Vortrags, den der Autor in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe in einer Anhörung zum Thema ,,Erfahrungen in Großprojekten“ am 14.09.2015 gehalten hat. 


 

Das TRIPLEX-Konzept ist darauf ausgerichtet, drei Beteiligtengruppen in einer Weise zusammenzubringen, in der die unterschiedlichen Interessen, Kompetenzen und Erfahrungen sichtbar und wirksam werden können. Es handelt sich erstens um die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, zweitens um Experten für die einschlägigen Disziplinen und Fachbereiche sowie um drittens diejenigen Personen, die Entscheidungen zu treffen und zu verantworten haben. Diese Personen sind dem politisch-administrativem System zuzuordnen.

Erfahrungsgemäß haben Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen oft erhebliche Probleme, sich miteinander zu verständigen, sich gegenseitig zu verstehen und erst recht bei der Bewertung und Umsetzung von Entscheidungen, insbesondere bei solchen mit derart großer Tragweite wie im Falle der Atommüllendlagerung.

Bürger sind sehr wohl in der Lage, ihre Interessen und Ansprüche zu artikulieren und an Lösungen mitzuwirken – wenn sie dies für sinnvoll und aussichtsreich halten. Experten können mit ihrem Wissen erheblich zu einer tragfähigen Haltung der Bürger beitragen – wenn sie sich auf die Anliegen und Absichten der Bürger beziehen und nicht nur als genuine Experten auftreten. Entscheider suchen Legitimation für ihre Haltungen und Entscheidungen. Damit ist gesagt, dass alle Beteiligten zwar unterschiedliche Interessen und Haltungen haben, die aber im Falle eines derart umfassenden Projektes wie der Atommüllendlagerung einem offenen Diskurs zwischen allen Akteuren zugänglich gemacht werden müssen.

Das TRIPLEX-Konzept beginnt mit einer Einladung aller betroffenen und interessierten Personen zu einer Eröffnungsveranstaltung. Dabei werden die Spielregeln, die Absichten, Chancen und Risiken der Bürgerbeteiligung vermittelt. Die Anmerkungen werden protokolliert und für eine weitere Veranstaltung zugänglich gemacht. Es folgen in iterativen Erhebungen weitere Zusätze, Veränderungen oder Monita, bis eine tragfähige Übereinkunft gefunden ist. Das Risiko besteht darin, dass eine solche nicht gefunden wird und das Konzept beendet werden muss. Dann ist aber jedenfalls eine tragfähige Begründung dafür gefunden.

Die Ergebnisse dieser Erhebungen werden von der Expertenrunde kommentiert. Diese Kommentare werden in ein Ergebniskataster eingearbeitet und sind für alle Beteiligten zugänglich. Das dabei entstehende Kataster wird den Entscheidern vorgelegt, die dazu Stellung beziehen müssen.

Nach diesen Stellungnahmen beginnen die operativen Planungs- und Verwaltungsaufgaben. Oder das ganze Vorhaben wird beendet.

Das TRIPLEX-Konzept wurde im Auftrag des Umweltbundesamtes 1989 entwickelt, um einen gewissen Stillstand bei der Einbeziehung von Bürgern in Planungsprozesse zu überwinden. Denn es hatte sich in vielen Fällen gezeigt, dass trotz Einbeziehung Betroffener weiterhin Reibungsverluste und Widerstände gegen von vorneherein postulierte Planungsziele nicht verhinderbar waren.

Die IST-GmbH, Gesellschaft für angewandte Sozialwissenschaft und Statistik hat das Konzept in Brennpunkten schlechter Umweltverhältnisse damals praktisch umgesetzt sowohl in den neuen Bundesländern als auch in Westberlin und verschiedenen Orten in Westdeutschland. Fortgesetzt wurden derartige Projekte später mit dem Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Umweltfragen an der BTU Cottbus und dem dortigen Humanökologischen Zentrum. In der Fortsetzung des Konzeptes gab es einige Entwicklungen, die mit der Entwicklung des Internets zusammenhängen.

Dabei konnten wir zum einen beträchtliches Interesse verschiedener Bürgergruppen an einer Mitwirkung feststellen als auch die Bereitschaft, verschiedene Aktionen mit dem Ziel Umweltverbesserungen zu unterstützen. Voraussetzung dazu war die Bekanntmachung des Konzeptes und der beabsichtigten Ziele von Anfang an. Die Vorgaben waren begrenzt und deshalb konnten die Beteiligten davon ausgehen, dass etliche ihrer Vorstellungen zwar nicht in Reinform in die Zielstellung eingehen, aber auf dem Weg zum Ziel eine beachtliche Rolle spielen würden.

Dazu gab es eine verbindliche Erklärung der Verwaltung bzw. der verantwortlichen Politiker, also eine Art Selbstverpflichtung. Dies war eine erste wichtige Grundlage für die Entstehung von Vertrauen in die Entscheider.

Eine zweite Grundlage haben wir durch die Versicherung begründet, dass es zwar Spielregeln im Konzept geben muss, die jedoch durchaus erweitert oder verändert werden können. Mit qualifizierten Mehrheiten der Prozessbeteiligten nach ausführlichen Diskussionen. Dadurch haben wir Lernprozesse initiiert, die nicht von außen aufgesetzt waren. Wir haben diese Lernprozesse jedoch begleitet und dazu Protokolle erstellt. So konnten wir den Beteiligten unsere Neutralität beweisen. Auch durch unsere Bereitschaft, begründete Veränderungswünsche aufzunehmen.

Wir haben die Beteiligten motiviert, ihr Anspruchsniveau für die Prozessentwicklung offen zu legen und ihre Erwartungen für das Ziel zu formulieren, individuell und kollektiv. Das erfordert Einigungsprozesse unter den Beteiligten und führt zu einer Bestimmung eines „kleinen gemeinschaftlichen Vielfachen“. Das wiederum setzt die Ausgangsmarke für alle Vorstellungen, die sich im Lauf des Prozesses entwickeln können. Dabei folgten wir dem Grundsatz, dass alles zählt, was vorgebracht und begründet wird. „Noten“ werden dabei nicht vergeben.

Zu Beginn des Prozesses wird darauf hingewiesen, dass die Beteiligung auch ein gewisses Maß an Verantwortungsübernahme beinhalten muss. Dies folgt dem Grundsatz, „wer mitreden will muss auch für seine Meinung und Haltung gerade stehen“.

Seit 2005 haben wir mit diesen Ansätzen die Etablierung von Windenergieanlagen und Energieparks in Ostdeutschland unterstützt und konnten dabei verschiedene wichtige Erkenntnisse gewinnen. Die strategische und praktische Plattform bildete dabei das „Humanökologische Zentrum“ an der BTU Cottbus.

Bei allen Projekten stellte sich heraus, dass der von uns gewählte Ansatz von Bürgerbeteiligung für die Beteiligten akzeptabel war. Allerdings musste auch ständig großer Wert auf die Einhaltung der verabredeten Spielregeln gelegt werden. Und alle Interessenten waren aufgefordert, dies strikt einzuhalten.

Werden solche Voraussetzung nicht verabredet und eingehalten, entstehen die bekannten Widerstände und Ablehnungen. Ein typischer Fall war 2012 die Planung eines der größten  Windparkprojekte in Brandenburg. In der Öffentlichkeit wurde die Absicht für den Bau von 130 Windrädern durch einen Großinvestor kolportiert. Niemand wurde darüber genau informiert. Es wurde von „Mauschelei“ der Verantwortlichen gesprochen. Ein Vertrauensvorschuss entstand nicht. Ein pensionierter Oberförster des in Aussicht genommenen Waldes und ein einflussreicher Jäger organisierten eine Bürgerinitiative gegen dieses Vorgehen. Zu einer Bürgerversammlung wurde von ihnen eingeladen. Von den beiden Hauptakteuren wurde der Lehrstuhl gebeten, bei der Verhinderung des Windparks mitzuhelfen. Die Einladung erfolgte sehr kurzfristig für eine Bürgerversammlung zu der rund 400 Teilnehmer zusammen kamen. Es manifestierte sich starker Protest. Wir sollten dazu Stellung beziehen, was auch erfolgte. Die Vorstellung des TRIPLEX-Konzeptes fand die Zustimmung eines Großteils der Versammelten. Die Ablehnung des Konzeptes durch die Verantwortlichen aus der Verwaltung war deutlich spürbar. Unsere Bitte um Meinungsäußerungen wurde spontan von einer Teilnehmerin mit der Frage aufgegriffen, wem eigentlich der Wald gehöre. Land und Bund war die Antwort, die mit einem lauten Zwischenruf kommentiert wurde: „Dann gehört der Wald uns“ und die Reaktion der Versammelten war ein begeistertes zustimmendes Lachen. Diese Reaktion war der Ausgangspunkt für jedes weitere Prozedere. Der ursprüngliche Plan wurde gestoppt. Neue Planungen mit anderer Grundlage kamen ins Spiel: Zugesagt wurde eine starke Reduzierung des Windparks, die Hälfte der Einnahmen sollte die Gemeinde für freie Verfügungen erhalten, die andere Land und Bund. Zur Zeit werden dort 24 Windräder in Gang gesetzt, mit deutlicher Zustimmung der Öffentlichkeit. Es handelt sich um ein ausgesprochenes win-win-Ergebnis, auch unter dem Gesichtspunkt des Geschenkes eines wunderbaren Wildschweinrückens an uns, weil wir ein Honorar für unsere Aktivitäten abgelehnt hatten. Dem Oberförster war dies ein großes Anliegen.

Bei einem anderen Windradprojekt in der Vorderpfalz konnten wir zwar unterschiedliche Abläufe des TRIPLEX-Konzeptes feststellen, denen jedoch sehr ähnliche Phänomene zugrunde liegen. Geplant war der Bau von drei Windrädern auf dem Gemeindegebiet. Der ansässige Vogelschutzverein, dem viele Gemeindemitglieder angehören, war strikt mit den bekannten Argumenten dagegen. In der Startveranstaltung des TRIPLEX-Konzeptes kamen die gegensätzlichen Auffassungen der Kontrahenten als antagonistische Widersprüche zum Ausdruck. Bei weiteren Konsultationen fragte eine junge Neubürgerin nach den erwartbaren Einnahmen. Die Antwort veranlasste eine andere Teilnehmerin zum Vorschlag, damit eine neue notwendige Kindergartenstelle zu finanzieren. Es gab große Zustimmung für den Vorschlag. Akzeptiert wurde von den Windradgegnern eine Verringerung auf zwei Anlagen. Der Vogelschutzverein teilte mit, dass sein Erfolg diese Verringerung bewirkt habe und gleichzeitig zu einer Verstärkung des Kindergartenpersonals führe. Verwaltung und Bürger waren zufrieden. Alle konnten einen Erfolg für sich reklamieren. Ebenfalls eine win-win-Situation.

Das TRIPLEX-Konzept beruht auf der Ermittlung eines „Kleinen gemeinschaftlichen Vielfachen“ durch die Betroffenen. Dabei ist ihnen überlassen, wie sie sich den Nutzen eines Planungszieles für sich selbst vorstellen. Lernprozesse infolge derartiger Ermittlungen können Ablehnungen relativieren. Mindestens entsteht jedoch dazu kritisches Bewusstsein, begründete Pro- und Contra-Haltungen, die in die entscheidenden politische Prozesse einfließen können. Entscheidungen werden in solchen Vorgängen rationaler gefällt. Sture Verweigerung von Zustimmung wird solcherweise nicht der Boden entzogen, kann aber Betroffene motivieren, über entgangene Nutzen zu reflektieren und ihre Haltung anderen Beteiligten nahe zu bringen. Dies ist der demokratische Aspekt des TRIPLEX-Konzeptes.

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