Petitionen als Partizipationsmöglichkeit?

Was sind Chancen und Risiken von Petitionen und welche Rolle spielen sie aus Perspektive der Bürgerbeteiligung?

bipar - Partizipation - Petition Foto: Stefan Stefanzik via unsplash.com

Seit 2005 gibt es auf der Internetseite des deutschen Bundestages die Möglichkeit, elektronische Petitionen einzureichen. Alle können so das eigene politische Anliegen einreichen. Der Petitionsausschuss des Bundestages muss sich dann, sofern sich 50.000 andere Menschen finden, die diese Petition unterstützen, in einer öffentlichen Anhörung mit dem Anliegen beschäftigen. Diese Möglichkeit der Petitionseinreichung ist als Grundrecht durch den Artikel 17 des Grundgesetzes gewährleistet.

Doch dies ist nicht die einzige Option, die Petenten nutzen können. Seit einigen Jahren gibt es diverse Plattformen wie avaaz, openPetition, change.org oder campact, welche die Einreichung und Verbreitung von E-Petitionen auf niedrigschwellige Art und Weise anbieten. Aus einer Petition, die auf diesem Wege zu einer hohen Anzahl von Unterstützern kommt, erwächst zwar kein Anhörungsanspruch, jedoch richten sich die Forderungen häufig direkt an die betreffenden Politiker auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene, denen diese übergeben werden, wenn die Petition erfolgreich verläuft.

Konzept und Prozess von Petitionen

Auf diesen Plattformen werden nicht alle eingereichten Petitionen online gestellt, viele der Organisationen – bspw. campact – wählen hingegen nur einige wenige Anliegen aus oder filtern zumindest die gestarteten Petitionen, falls diese gegen ihre Nutzungsordnung verstoßen. Doch auch auf der Seite des Bundestages dauert es oft sehr lange, bis eine Petition online ist, da es zunächst einer Bearbeitung bedarf. Im Jahr 2015 etwa wurden laut Jahresbericht des Petitionsausschusses von den 13.137 eingereichten Petitionen lediglich 384 Petitionen online veröffentlicht. Dies liegt unter anderem daran, dass nur Petitionen veröffentlicht werden, die von allgemeinem Interesse sind, jedoch befinden sich häufig Petitionen auch eine lange Zeit in Bearbeitung, bis sie veröffentlicht werden, da den Bundestag sehr viele Anliegen erreichen.

Aus Perspektive der Bürgerbeteiligung stellt sich neben der tatsächlichen Wirkung der Petitionen auf die politischen Akteure und deren Handeln eine weitere Frage: Können Petitionen überhaupt als wirksames Mittel zur Partizipation angesehen werden?

Während viele Verfahren zur Partizipation aus Perspektive der Politik gedacht sind, die eine Bürgerbeteiligung umsetzen möchten, stellen gerade Petitionen bei privaten Anbietern häufig eine von der Politik so nicht ausdrücklich gewollte und möglicherweise zuvor gar nicht bedachte Intervention dar, die von den Bürgern selbst ausgeht und nicht auf Initiative der Politik gestartet wird. Die Bürger beteiligen sich praktisch selbst.

Schritte einer Petition, eigene Darstellung

Für und Wider von E-Petitionen

Dies birgt sowohl Chancen als auch Risiken:  Auf den ersten Blick bietet eine Petition ein starkes Teilhabeinstrument für Bürger, die entscheiden können, Petitionen ohne bestimmte Vorgaben und Konzepte einzureichen und zu unterstützen. Dies ist für die Beteiligten eine niedrigschwellige und zeitsparende Option zur Formulierung der eigenen Forderungen. Außerdem ist es mit einem im Vergleich zu vielen anderen Beteiligungsmethoden geringem finanziellen und personellen Aufwand möglich, eine Vielzahl an Bürgern zu erreichen und so eine große Reichweite zu schaffen.

Allerdings muss nichtsdestotrotz berücksichtigt werden, dass das Verfahren auch einige Nachteile mit sich bringt. So wird häufig ein Hang zum so genannten „Slacktivism“ kritisiert, der beschreibt, dass mit möglichst geringem Aufwand im Internet auf „faule“ Weise ein Engagement erfolgt, statt dass eine intensive thematische Einarbeitung und eine nachhaltige thematische Befassung stattfindet. Unter dem Gesichtspunkt der Bürgerbeteiligung bedeutet das, dass es häufig nicht zu einer tiefgreifenden inhaltlichen und thematischen Auseinandersetzung kommt, bei der Meinungen ausgetauscht und Standpunkte überdacht werden. Partizipation beschränkt sich auf die Entscheidung, die vorliegende Petition zu unterzeichnen oder eben nicht und auf diese Weise einer Forderung Nachdruck zu verleihen. Gestaltungspotentiale hat vorwiegend der Petent bei der Ausformulierung seines Anliegens.

Wie wirkungsvoll sind Petitionen?

Neben methodischen Faktoren ist auch die tatsächliche Wirkung von Petitionen umstritten. Der Erfolg von Petitionen ist schlecht vorhersehbar und hängt von vielen externen, wenig beeinflussbaren Faktoren ab wie der medialen Aufmerksamkeit, die ein Thema erlangt, oder der Viralität der Petition in sozialen Netzwerken.
Ein erfolgreiches Beispiel ist die Petition Bivsi Rana. Gegen die Abschiebung des 14-jährigen Mädchens und ihrer Familie aus Duisburg nach Nepal im Mai 2017 wurden auf verschiedenen Plattformen Petitionen gestartet, um eine Rückreise nach Deutschland und ein Aufenthaltsrecht zu erwirken. Es wurden über 50.000 Unterschriften online gesammelt. Dies führte dazu, dass der Petitionsausschuss NRW sich zu einer Rückreise entschloss und die Petition Erfolg hatte.

Dieser Erfolg ist jedoch nicht selbstverständlich. Selbst wenn das Quorum erreicht ist, steht den Petitionsausschüssen des Bundes und der Länder frei, die Petition abzulehnen oder mit einer 2/3 Mehrheit im Bundestag sogar gar nicht zu behandeln. Im Fall Bivsi Rana gab es als unterstützende Faktoren eine bundesweite mediale Aufmerksamkeit samt Live-Interview im WDR, starke Unterstützung der Schule sowie Demonstrationen und ein Solidaritäts-Konzert für die Schülerin. All diese Faktoren wirkten positiv auf das Verfahren.

Fazit: Die Ambivalenz der Petition

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Petition trotz ihres großen Mobilisierungspotentials und ihrer Barrierearmut kein Allheilmittel ist. Sie mag gegenwärtig populär sein und bietet sicherlich die Möglichkeit, ein einzelnes Thema medien- und breitenwirksam zu thematisieren und einer konkreten Forderung Ausdruck zu verleihen. Allerdings wohnt ihr ein Zwang zur Polarisierung inne, die einer häufig notwendigen tiefgreifenden Befassung abträglich sein kann und schnell in „Klick-Aktionismus“ gipfelt. Hier bietet es sich an, über die stärkere Einbindung von Dialogangeboten im Kontext von Petitionsthemen nachzudenken. Ein Weg, den Petitionsplattformen bereits teilweise beschreiten, der jedoch ausbaufähig ist.

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