Transparenz und Information

Interviewreihe zum Status quo des größten deutschen Beteiligungsprozesses

Im Interview spricht Moderator Ralf Hasford über offene Fragen bei der Endlagersuche, die zentrale Rolle transparenter Informationen im Verfahren und die Wichtigkeit einer gemeinschaftlich entwickelten Lösungsmatrix.

Deutschland sucht in einem komplexen und langwierigen Verfahren den Standort zur Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe. Er soll laut Gesetz die bestmögliche Sicherheit gewährleisten und in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden sowie lernenden Verfahren ermittelt werden. In unserer Interviewreihe geben wir Ihnen in den kommenden Wochen einen Einblick in den Prozess und stellen Ihnen unterschiedliche Perspektiven von Beteiligungsexpert*innen auf den Prozess vor.

Herr Hasford, die Endlagersuche schreitet voran. Der Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Entsorgung (BGE) liegt vor, Gremien und Akteure wie das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das Nationale Begleitgremium (NBG) oder der Partizipationsbeauftragte sind installiert. Wie beurteilen Sie das Verfahren bis dato?

Sehr bemüht. Strukturen engen ein, kompetenzbezogene Beteiligung muss erstritten werden. Eindeutige Antworten fehlen: Wer sind Auftraggeber:in und Koordinator:in? Was wird überwacht? Wie wird sanktioniert? Privatwirtschaftlich erzeugter atomarer Müll muss entsorgt werden. Die Bürger:innenbeteiligung ist notwendig, denn die demokratischen Strukturen im Nationalstaat sind an ihren Grenzen. Den nationalen Alleingang sehe ich als kritisch.

Es fehlen Infos zu ‚Stand der Suche‘ und ‚nächste Schritte‘ für jeden Quadratmeter in Deutschland. Ebenso fehlt eine übersichtliche und barrierearme Plattform, die Infos zum hochkomplexen Verfahren bietet und zum moderierten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Dialog einlädt. Auch fehlt der BGE ein Ort, um ihre aktuellen Fragen zu positionieren und Lösungen zu erarbeiten sowie zu diskutieren.

Jüngst fand die Fachkonferenz Teilgebiete statt, die der Erörterung des Zwischenberichts der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) diente. In absehbarer Zukunft werden Vorschläge für übertägige Erkundungsgebiete auf dem Tisch liegen. Welche Empfehlungen würden Sie aus beteiligungstheoretischer Sicht den Handelnden mit auf dem Weg geben, um die kommenden Herausforderungen zu meistern? 

Leitfrage und Prämisse für die kommenden Schritte müssen sein: ‚Das Grundstück nebenan ist der ideale Ort für ein Endlager. Was braucht Ihr:e Nachbar:in, damit wir morgen mit dem Bau beginnen können?‘ Zudem ist eine bundesweite gemeinschaftliche Lösungsmatrix zu erarbeiten, die Antworten auf die Frage gibt: ‚Welche Herausforderungen sind zu erkennen, zu erahnen und zu befürchten?’. Das führt weg von ‚der Fokussierung des Ortes‘ hin zur gesellschaftlichen Anerkennung. Zu beteiligen sind dabei alle Regionen sowie alle Schichten der Bevölkerung, Verwaltung und Wirtschaft.

Mit Plattform und Matrix sind alle Stakeholderbedürfnisse zu erfassen und unterschiedliche Ausgleichsverpflichtungen sowie Eskalationsmodelle zu ermöglichen. Spätestens die Fachkonferenz Teilgebiete hat gezeigt, dass die Trennung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nicht mehr der Zeit entspricht.

Ich sehe aber auch viel Konkurrenz: Themen, die auf Ähnliches warten, wie ungleiche Chancenverteilung, Klimawandel und Bedrohung atomarer wie konventioneller Waffen.

Analog, hybrid oder digital, Selbstselektion versus Aleatorik, Stakeholder versus Bürgerbeteiligung – eine Vielzahl von Instrumenten und methodischen Bausteinen werden auch zukünftig bei der Endlagersuche kombiniert werden müssen. Was gilt es mit Blick auf den Anspruch eines lernenden Verfahrens zu beachten, um die weiteren Schritte bei der Endlagersuche erfolgreich zu gehen?

Informationen und Offenheit für einen ständigen Dialog, Darstellung aller Akteure, ihrer Verantwortung bzw. Einflussnahme sowie der Inhalte und Arbeitsziele wäre ein erster Schritt. Eine gezielte Ansprache und transparentere Aufgabenübergabe sind zu ermöglichen, ebenso die Einbindung der regionalen und mittelständischen Wirtschaft zum Wissensaufbau, zur Suche, zur Umsetzung und zum Betreiben einer Anlage. Das können keine Staatsaufgaben sein, der Staat und seine Organe haben sich als anfällig und korrumpierbar erwiesen.

Positives sollte ausgebaut werden, wie etwa die Information von Bürger:innen und die Einbindung der Generation unter 30 durch die BGE. Information ist eine erste sinnvolle Form der Beteiligung. Gleiches gilt für die Anstrengungen des NBG: Seine Rolle als Korrektiv sowie bei der Zusammenführung von Wissen und Forschung ist sehr wertvoll.

Zur Person

Ralf Hasford ist 55 Jahre alt und lebt in Berlin-Friedenau. Er arbeitet selbstständig und bundesweit als systemischer Moderator und Coach (ab 2014). Von November 2020 bis Februar 2021 organisierte er in der ehrenamtlich arbeitenden ‚Arbeitsgruppe Vorbereitung‘ die erste Fachkonferenz Teilgebiete mit. Seine Tätigkeiten umfassen Moderation und Diskussionsführung zu Strategieentwicklung, Entscheidungsfindung, Beteiligung sowie Konfliktlösung. Zu den Themen Führungsrolle und Kommunikation führt er Coachings durch.

Literaturhinweise

Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

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