Sprachrohr der Bürgerbeteiligung

Aktuell bereitet eine Initiative von über 300 Beteiligungsprofis die Gründung des Fachverband Bürgerbeteiligung vor. Ein Gespräch mit Jörg Sommer, einem der Initiatoren des Vorhabens.

Quelle: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

Sie planen aktuell die Gründung eines Berufsverbands für Bürgerbeteiligung. Warum glauben Sie, dass es eine solche Organisation braucht?

Tatsächlich plane nicht ich einen solchen Verband, sondern wir. Wir, das sind zwischenzeitlich über 300 Menschen, die sich aktiv in die Vorbereitung einbringen. In den Info-Verteiler haben sich weit über 700 Beteiligungsinteressierte eingetragen.

Aber es stimmt, dass ich mit einer der Hauptverursacher des Vorhabens bin. Ich hatte im Juli 2023 in einem meiner wöchentlichen Newsletter eine etwas skurrile Situation geschildert.

Welche Situation?

Es gibt in Deutschland einige sogenannte „Sebstkontrollorgane“ bestimmen Branchen, zum Beispiel im Zeitungswesen der Deutschen Presserat und im PR-Bereich den Deutschen Rat für Public Relation. Bei denen können sich Menschen über Verfehlungen von Akteuren beschweren. Diese Räte prüfen das und sprechen gegebenenfalls öffentliche Rügen aus.

Nun hat ausgerechnet der Rat der PR-Branche eine „Richtlinie für Kommunikation und Bürgerbeteiligung“ beschlossen. Übrigens ohne die diversen Netzwerke der Beteiligungsbranche zu beteiligen.

Das führt nun zu der Situation, dass ein Organ, hinter dem vor allem PR-Agenturen stehen, einer Kommune eine öffentliche Rüge in Zusammengang mit einem Beteiligungsprozess erteilen kann. Nach Kriterien, an deren Erstellung die Kommune nicht beteiligt war und die sich teilweise erheblich von den Grundsätzen Guter Beteiligung unterscheiden, wie sie zum Beispiel die Allianz Vielfältige Demokratie erarbeitet und veröffentlicht hat – und die Grundlage vieler Beteiligungsprozesse sind. Tja, und auf dieser Grundlage fragte ich die Leserinnen und Leser meines Newsletters:

„…braucht es früher oder später doch eine Interessenvertretung der Beteiligungsprofis?“

Das war der Auslöser?

Es war vermutlich der entscheidende Moment. Denn es gab Hunderte von zustimmenden Zuschriften und Reaktionen. Natürlich hatten auch in anderen Zusammenhängen immer wieder Menschen in der Branche über die Frage gesprochen. „Man müsste mal …“ habe ich immer wieder gehört – und auch selbst gesagt.

Aber dieser Vorfall um die PR-Initiative hat dann wohl vielen signalisiert, dass aus „man müsste“ jetzt ein „man muss“ geworden ist.

Ich habe den Berufsverband also nicht erfunden, und sicher auch nicht als erster die Idee gehabt, aber ich freue mich dazu beizutragen, dass daraus jetzt endlich was wird.

Darum geht es also, dass man sich lieber selbst rügt, als sich von der PR-Branche rügen zu lassen?

Das war vielleicht der Auslöser, aber die Zeit ist einfach reif. Bürgerbeteiligung in Deutschland ist seit über 10 Jahren in einem Aufwärtstrend. Immer mehr Menschen werden beteiligt, mehr Prozesse werden organisiert, mehr Akteure bieten Beteiligung an. Das heißt aber nicht automatisch, dass auch die Qualität steigt.

Viele Prozesse sind nicht gut geplant. Oft geschieht mit den Ergebnissen der Beteiligung – nichts. In letzter Zeit drängen zunehmend Moderatorinnen und Moderatoren auf den Markt, die gar keine Erfahrung mit der Moderation von Beteiligungsprozessen haben. Eine Vereinsgala zu moderieren ist etwas völlig anderes, als Kontrahenten zum Beispiel in der Energiewende in einen Dialog zu bringen.

Oft werden überwiegend die gleichen Milieus beteiligt, die ohnehin schon in Politik, Medien und Zivilgesellschaft besonders einflussreich sind. Manchmal werden nicht die wirklich Betroffenen beteiligt, sondern bewusst oder unbewusst überwiegend Nichtbetroffene. Es gibt also viel Luft nach oben. Wir brauchen mehr, tiefere, breitere und wirksamere Beteiligung.

Gleichzeitig gibt es zwischenzeitlich eine Menge Menschen, die oft seit Jahren professionell beteiligen, viel Erfahrung und Know-how angesammelt haben. Doch auf diese Profis wird noch zu selten gehört. Da braucht es eine demokratisch legitimierte Organisation, die genau das übernimmt:

Guter Beteiligung und guten Beteiligen Gehör verschaffen.

Es gibt ja bereite einige Netzwerke. Genügen die nicht?

Ich bin selbst Mitglied in diversen Netzwerken der Beteiligungsszene, u. a. im Netzwerk Bürgerbeteiligung, im Netzwerk Bürgerhaushalte, im Netzwerk Kinder- und Jugendbeteiligung und in der Allianz Vielfältige Demokratie. Letztere koordiniere ich sogar. Und deshalb weiß ich: Alle Netzwerke haben ihren Sinn.

Sie ermöglichen den fachlichen Austausch auch zu ganz engen, spezifischen Themen. Sie arbeiten unterschiedlich. Die einen nehmen jeden auf, der ein Online-Formular ausfüllt, andere haben eine strenge Aufnahmeprüfung. Einige arbeiten an Qualitätskriterien, andere publizieren (auch) Arbeitshilfen. Die Netzwerkszene ist bunt und vielfältig. Das ist wichtig und wertvoll und ich möchte keines dieser Netzwerke missen.

Aber keines dieser Netzwerke hat eine Struktur, die es ihm ermöglicht, mit klarer, lauter und demokratisch legitimierter Stimme im Namen der Beteiligungsprofis gegenüber der Politik aufzutreten. Das ist der Fluch der Breite und Unverbindlichkeit von Netzwerken. Und deshalb passiert es dann auch, dass andere Akteure deren Ergebnisse und Empfehlungen komplett ignorieren.

Das aber können wir uns nicht länger leisten.

Der Berufsverband versteht sich also nicht als Konkurrenz zu bestehenden Netzwerken?

Absolut nicht. Und das wird auch von den Beteiligten so gesehen. Nicht ohne Grund arbeiten zahlreiche Mitglieder aus den genannten und anderen Netzwerken in der Initiative aktiv mit. Ich habe auch noch von keinem der Beteiligten gehört, er oder sie wolle sein Netzwerk verlassen, wenn der Verband an den Start geht.

Übrigens stand die Idee eines reinen Berufsverbandes tatsächlich am Anfang des Prozesses. Es war zumindest meine ganz persönliche Vorstellung. Zwischenzeitlich hat die Diskussion ergeben, dass der Verband nicht nur für beruflich in der Beteiligung Tätige offen sein soll, sondern auch für institutionelle Mitglieder.

Kommunen, Vorhabenträger, Unternehmen, Hochschulen, Vereine können also auch Mitglied werden, wenn sie sich mit Bürgerbeteiligung beschäftigen. Eben, um die Schlagkraft zu erhöhen und ein breites Miteinander zu ermöglichen.

Die Gründungscommunity hat deshalb letztlich auch den Namen „Fachverband Bürgerbeteiligung“ bevorzugt.

Wie muss man sich das vorstellen, gab es regelmäßige Treffen?

Wir haben für die Vorbereitung eine Online-Plattform genutzt, die uns der Verein Liquid Democracy kostenlos zur Verfügung gestellt hat.

Auf Adhocracy+ haben sich rund 350 Menschen in zahlreichen Phasen ganz unterschiedlich beteiligt. Wir haben dort Ideen gesammelt und diskutiert, Meinungsbilder durch klassische Abstimmungen hergestellt, uns über Zielgruppe, Vorhaben, Arbeits- und Fachgruppen ausgetauscht.

Zusätzlich gab es Videokonferenzen, eine offene Satzung-AG hat einen Satzungsentwurf erarbeitet – der gerade auf der Plattform für alle zur Diskussion steht. Insgesamt haben auf der Plattform mehrere Tausend Interaktionen stattgefunden.

Und wann soll die Gründung erfolgen?

Geplant ist die Gründungsversammlung in Berlin am 16. Oktober 2023. Es sieht so aus, als sollten wir bis dahin breites Einvernehmen über alle Fragen erzielt haben. Aktuell basteln wir auf der Plattform noch an der Frage der Mitgliedsbeiträge. Aber auch da zeichnet sich ein Ergebnis ab. Beteiligung dauert eben.

Auch und gerade wenn Beteiliger Beteiliger beteiligen.

Kann man noch dazustoßen? Und wenn ja, wie?

Natürlich freuen wir uns über alle Beteiligungsprofis, die mitwirken möchten. Die beste Methode, alle Informationen aus erster Hand zu bekommen ist, sich in unseren E-Mail-Verteiler einzutragen. Das geht HIER.

 

Jörg Sommer ist einer der Initiatoren des Fachverband Bürgerbeteiligung. Der Politikwissenschaftler und Soziologe beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Fragen des gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhaltes.  So gibt er unter anderem das in zweijährigem Rhythmus erscheinenden „KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG“ heraus.  Er ist Direktor des Berlin Institut für Partizipation | bipar und in dieser Eigenschaft auch als Gutachter und Berater für Parlamente, Ministerien, Stiftungen und Verbände tätig. Außerdem wirkt er als Koordinator der Allianz Vielfältige Demokratie, in der über 250 Expert*innen aus Bundesministerien, allen Landesregierungen, internationalen Organisationen, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an der Entwicklung und Erprobung neuer Formen zivilgesellschaftlichen Engagements und Bürgerbeteiligung arbeiten. Seit 2020 publiziert er einen kostenlosen wöchentlichen Newsletter demokratie.plus zu Fragen der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.