Partizipation in Zeiten von COVID-19

Führt die Pandemie zu einem "Verlorenen Jahr" für die Bürgerbeteiligung in Deutschland?

Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben weite Teile des öffentlichen Lebens in Deutschland lahmgelegt. Das hat Folgen für die Bürgerbeteiligung. Führt dies zum Stillstand in vielen Beteiligungsprozessen? Gelingt ein Ausweichen in den digitalen Raum? Das Berlin Institut für Partizipation hat hierzu eine großformatige Studie durchgeführt und über 1.700 Akteure befragt.

Die Ergebnisse der Umfrage liegen jetzt in einer umfassenden Auswertung vor.

„Wir fanden die vielfach geäußerte Befürchtung bestätigt, dass die Corona-Krise vielerorts zu einem Bruch in der Bürgerbeteiligung geführt hat.“, sagt Jörg Sommer, Direktor des Berlin Institut für Partizipation. „Die naheliegende Reaktion bei vielen Verantwortlichen war zunächst die Absage laufender sowie bereits geplanter Partizipationsverfahren, um der Maxime des Social Distancing bestmöglich zu entsprechen.“

Digitale Angebote kein vollwertiger Ersatz

Digitale Beteiligungsformate bieten vor diesem Hintergrund zwar theoretisch die Möglichkeit einer räumlichen bzw. zeitlichen Entkopplung der Beteiligung, jedoch zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass bestenfalls eine moderate Zunahme bei der Nutzung digitaler Tools erfolgt ist.

Nahezu alle befragten Partizipationsdienstleister sind negativ von der COVID-19-Pandemie betroffen, wobei ein erheblicher Teil existenziell gefährdet ist. Eine Anpassungsstrategie scheint in einer gesteigerten Flexibilisierung gesehen zu werden. Daher wollen viele Dienstleister ihr Portfolio zukünftig stärker mit digitalen Angeboten ergänzen.

Die überwiegende Mehrheit aller Umfrageteilnehmer sieht jedoch in der virtuellen Beteiligung keinen gleichwertigen Ersatz für Präsenzveranstaltungen.

Empfehlungen zur Fortentwicklung der Beteiligung

Aus den Ergebnissen der Umfrage leitet die Studie eine Reihe von Empfehlungen zur Fortentwicklung der Beteiligungsstrukturen sowie für den Umgang mit laufenden und/oder geplanten Beteiligungsverfahren ab:

Zunächst sollte es darum gehen, einen Stillstand in der Beteiligung zu vermeiden und politische Vorhaben in der nächsten Zeit nicht ohne die Einbindung von Bürgern durchzuführen. Neben der Nutzung von onlinebasierten Formaten wird es dazu notwendig sein, herauszuarbeiten, inwieweit Offline-Beteiligung – unter Berücksichtigung der Sicherheitsvorschriften – wieder möglich sein kann.

Bei vielen langwierigen Großprojekten ist zudem absehbar, dass die ursprünglichen Beteiligungskonzepte nicht mehr realisierbar sind. Notwendige Veränderungen des geplanten Ablaufs sollten daher frühzeitig und klar kommuniziert werden, um Intransparenz und Vertrauensverlust entgegenzuwirken. In jedem Fall sollten die notwendigen Vorkehrungen nicht als Ausreden für ersatzlose Streichungen von Prozessen genutzt werden.

Digitale Beteiligungsformate können dabei eine Möglichkeit darstellen, um ein Beteiligungsvakuum zu vermeiden. Es ist jedoch zu beachten, dass es bei einer Änderung des Formates auch zu einer Änderung der Teilnehmerschaft kommen kann. Daher empfiehlt es sich, das durchgeführte Beteiligungsscoping kritisch zu überprüfen.

Perspektivisch sollte die Coronapandemie eine kritische Reflexion in der Gesellschaft begünstigen, wie mit nicht antizipierbaren, spontan auftretenden Herausforderungen umgegangen werden kann. Dazu braucht es jedoch entsprechende deliberative Strukturen auf der Bundesebene, die gegenwärtig nicht vorhanden sind. Diese finden sich bei überregionalen Vorhaben lediglich verfahrensspezifisch und begrenzen damit die Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen auf die Rolle in einem konkreten Kontext wie bspw. der Suche nach einem Standort zur Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe.

Die Studie empfiehlt daher abschließend die Einrichtung eines Nationalen Kompetenzzentrums. Es könnte dazu beitragen, dass die Coronapandemie sich letztlich von einer Bedrohung zu einem positiven Impuls für starke und resiliente Beteiligungsstrukturen entwickelt.

Download der Studie

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bürgerbeteiligung in Deutschland