Packen wir es an!

Ein Interview mit dem Geschäftsführer von Protect the Planet Dr. Martin Köppel

In vielen Umweltbelangen droht eine Katastrophe, wenn nicht zügig wirksame Maßnahmen beschlossen und realisiert werden. Doch wie lassen sich gesellschaftsverträgliche Entscheidungen treffen und anschließend umsetzen? Braucht es mehr Dialog und Partizipation oder Umweltklagen? Diese Fragen erörtert der Geschäftsführer der NGO Protect the Planet Dr. Martin Köppel im Interview.

Herr Dr. Köppel, Sie waren lange Zeit als Moderator und Mediator im Kontext der Energiewende beschäftigt. Welchen Beitrag spielt Bürgerbeteiligung bei der Transformation unseres Energiesystems?

Die Transformation unseres Energiesystems kann nur mit Beteiligung der Bürger*innen bei den entsprechenden Planungen vor Ort gelingen. Dies ist eine meiner zentralen Erfahrungen aus den knapp zehn Jahren als Moderator, Mediator und Konfliktberater im Spannungsfeld Energiewende und Naturschutz. Bürger*innen wollen bei zentralen Entscheidungen in ihrem Lebensumfeld beteiligt werden. Und zu diesen Entscheidungen gehört eben auch die Frage, ob Windenergie-, Biogas-, Photovoltaik-Freiflächen-Anlagen, Stromleitungen etc. vor Ort errichtet werden.

Ist denn die Akzeptanz der Bürger*Innen überhaupt vorhanden?

Aus Umfrageergebnissen und Studien wissen wir, dass der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung Deutschlands für die Energiewende, für den Ausbau der erneuerbaren Energien – und ja, auch für den Ausbau der Windenergie vor Ort ist. Dennoch sehen wir bei konkreten Planungen zum Teil einen enormen Widerstand und Konflikte, die stark eskalieren.

Woran liegt dies?

Um dieser Frage nachzugehen, habe ich mich in den letzten Jahren viel damit beschäftigt, wie Konflikte entstehen und vor allem auch, wie es gelingen kann, Konflikte zu lösen und zu verhindern. Und hier gibt es eine Reihe von Faktoren, die ganz wesentlich sind. Die Beteiligung der Bürger*innen bei der Planung von erneuerbare Energien Anlagen ist ein zentraler Schlüssel hierbei. Transparenz der Planungen ist ein entscheidendes Stichwort: Wer entscheidet über was genau wann und welche Möglichkeiten haben die Bürger*innen überhaupt, Ihre Wünsche wo und wie einzubringen?

Vielerorts erlebe ich immer noch Sorgen, dass Bürger*innen, die bei Planungen beteiligt werden, sich “sowieso” dagegen aussprechen. NIMBY – not in my backyard wird dieses Phänomen oftmals genannt. Meine Erfahrungen hier sind jedoch andere: Wenn es gelingt, herauszufinden, was den Menschen in Bezug auf die Planungen wichtig ist und diese auch in einen größeren Kontext (Stichwort Energiewende) gestellt, Alternativen geprüft und gemeinsame Entscheidungen getroffen werden, dann lässt sich Akzeptanz für Planungen gewinnen.

Seit Kurzem sind Sie als Geschäftsführer einer NGO tätig, die sich mit dem Ultima Ratio Instrument der Klage im Klimaschutz beschäftigt. Wie passt das mit Ihrer bisher auf Dialog ausgerichteten Tätigkeit zusammen? 

Protect the Planet steht für einen ökologischen Wandel in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um schleunigst die Klimakrise gemeinsam zu bewältigen. Die physikalische Notwendigkeit für eine sofortige drastische Reduzierung unserer CO2-Emissionen steht wissenschaftlich außer Frage. Dazu sind die technischen Lösungen ausgereift und werden immer günstiger. Dennoch sehen wir, dass die Regierungen in Deutschland und anderen Ländern sowie die Europäische Union insgesamt nicht adäquat handeln. Den Weg des Dialoges haben wir wie viele andere Umweltorganisationen seit Jahren versucht. All diese Bemühungen haben jedoch – leider! – nicht dazu geführt, dass es zu den notwendigen Veränderungen politischen Handelns gekommen ist. Daher war hier ein anderes Vorgehen dringend notwendig.

Warum dann gleich eine Europäische Klimaklage?

Die Klimaziele der Europäischen Union und deren Richtlinien zur Umsetzung stellen eine ganz zentrale Weichenstellung dar, um die Folgen der Klimakrise weniger dramatisch ausfallen zu lassen. Und 40 Prozent Reduktion bis 2030 reichen niemals aus, um die Verpflichtungen des Vertrags von Paris einzuhalten. Daher hat sich Protect the Planet, auf Grund eines Impulses unserer Gründerin Dorothea Sick-Thies, bereits 2017 dazu entschieden, hiergegen mit juristischen Mitteln vorzugehen. Zehn von der Klimakrise betroffene Familien und ein Jugendverband aus Europa sowie aus Entwicklungs- und Schwellenländern klagen vor dem Gericht der Europäischen Union. Der Vorwurf: Die EU-Klimaziele liefern nicht den notwendigen Beitrag zur Abwendung gefährlicher Klimawandelfolgen und verletzen die Grundrechte der Kläger*innen. Bereits jetzt werden diese Menschen unmittelbar vom Klimawandel geschädigt und zukünftige Generationen werden noch deutlich stärker betroffen sein, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Diesen Menschen ein Gesicht und eine Stimme zu geben war ein weiteres, wichtiges Ziel der Klage.

Wie sind die Aussichten?

Aktuell sehen wir, dass – auch auf Grund der Klage – die Europäische Union handelt und das Parlament für eine CO2-Reduktion von mindestens 55 Prozent gestimmt hat. Es sieht ganz danach aus, als ob ein neues EU-2030-Klimaziel von minus 60 Prozent CO2-Emissionen umgesetzt wird. Mit dem bisher eingeschlagenen Weg des Ultima Ratio Instruments der Klimaklage fühlen wir uns daher voll bestätigt. Im Übrigen ist dies auch eine Erfahrung aus meiner vorhergehenden Tätigkeit: Wenn auf einer Seite momentan keine Verhandlungsbereitschaft vorhanden ist, kann Druck auf der anderen Seite dazu führen, dass beide Akteure sich (wieder) an den Verhandlungstisch setzen und miteinander in einen Dialog kommen. Genau dies haben wir im Fall unserer Klimaklage vor dem Europäischen Gericht getan.

Vom Artensterben über die Frage einer nachhaltigen Landwirtschaft bis hin zur Versauerung der Meere, die Liste umweltpolitischer Herausforderungen ist lang und betrifft viele Menschen unmittelbar. Dennoch spielt Bürgerbeteiligung im internationalen Staatenraum eine marginale Rolle. Wie erklären Sie sich das und welche strukturellen Entwicklungen auf europäischer oder globaler Ebene würden Sie sich wünschen?

In der Tat können wir schon seit vielen Jahren eine Zunahme dramatischer Verschlechterungen bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen erkennen. Viele lassen sich schlichtweg nicht (mehr) national lösen. Eine gemeinsame Anstrengung vieler Staaten wird benötigt, um etwa das Artensterben, die Verschmutzung der Meere, aber auch die Klimakrise abzuwenden. Dabei sind Staaten selbst in der Regel nicht die größte Quelle von Umweltproblemen, sie sind allerdings verantwortlich für den regulatorischen und ökonomischen Rahmen, der individuelles und unternehmerisches Handeln umweltfreundlich oder -feindlich gestaltet. Leider sehen wir, dass viele Staatsregierungen zu wenig proaktiv die Umweltherausforderungen angehen. In der Regel reagieren viele Staaten deutlich zu spät – dann, wenn die Umweltprobleme schon sehr groß sind und der Druck von Wissenschaftler*innen, NGOs oder den Medien entsprechend hoch ist.

Könnten Bürgerbeteiligungen mit klaren Forderungen da nicht helfen?

Die Beteiligung von Bürger*innen spielt hierbei oftmals noch eine sehr geringe, bis gar keine Rolle. Wohl auch, weil Umwelt-NGOs die Interessen von vielen Bürger*innen vertreten, wenn sie versuchen, im internationalen Staatenraum oder auf EU-Ebene Veränderungen für den Schutz der Umwelt zu bewirken. Zudem ist es auch eine Frage des Demokratieverständnisses, weil viele Politiker*innen die Ansicht vertreten, dass (EU-)Bürger*innen ja bereits durch Wahlen zum Landes- als auch EU-Parlament bei der politischen Entscheidungsfindung beteiligt werden. Es gibt durchaus Möglichkeiten der Partizipation auf europäischer Ebene. Etwa die Möglichkeit, eine EU-weite Bürgerinitiative ins Leben zu rufen, um auf die EU-Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten, den Europäischen Bürger- oder Datenschutzbeauftragten anzurufen oder sich bei der Kommission zu beschweren. Zunehmend greift jedoch die Erkenntnis um sich, dass diese Formen der Beteiligung in der heutigen Zeit nicht mehr ausreichen und es daher sowohl auf nationaler, wie auf europäischer und internationaler Ebene deutlich mehr Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung geben muss.

Wollen die Bürger überhaupt mehr Partizipation?

Durchaus. Immer mehr Menschen wollen die eigenen Lebensbedingungen aktiv mitgestalten. Der Weg der Bürgerbeteiligung muss meiner Ansicht nach daher sowohl auf lokaler, auf nationaler als auch auf internationaler Ebene weiterentwickelt werden. Von den Politikwissenschaftler*innen Claus Leggewie und Patrizia Nanz stammt die Idee von „Zukunftsräten“. Zukunftsräte, wie Nanz und Leggewie sie vorschlagen, seien dauerhafte Einrichtungen einer Gemeinde, eines Landes oder einer supranationalen Organisation, die wichtige Zukunftsfragen identifizieren und Lösungsvorschläge ausarbeiten, mit denen sich Legislative und Exekutive substantiell und in angemessener Frist befassen und Feedback geben müssen. In Europa könnten diese dann Einfluss auf Amtsträger*innen in Brüssel haben und somit als Gegenpol zu den Schattenmächten wie Lobbyisten und Spin-Doktoren – quasi als „vierte Gewalt“ – wirken. Die Mitglieder des Zukunftsrates, entsandt aus allen Mitgliedsländern, könnten dann dafür sorgen, dass die Bürger*innen etwa beim Klimaschutz oder bei der Energieversorgung mitreden dürfen. Dies halte ich für einen erfolgversprechenden Ansatz. Auch eine Weiterentwicklung der europäischen Bürgerinitiative halte ich für bedeutsam. Hier müssten die Spielräume vergrößert und Initiativen mit finanziellen Mitteln unterstützt werden. Sich einbringen und Verantwortung übernehmen, sollte sich wieder lohnen. Packen wir es an!

Zur Person

Dr. Martin Köppel ist promovierter Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Internationale Umweltpolitik und ausgebildeter Mediator. Seit 1. Oktober 2020 ist er Geschäftsführer der gemeinnützigen NGO Protect the Planet – Gesellschaft für ökologischen Wandel. Zuvor war er u. a. Gastwissenschaftler am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie Leiter des Dialogforums Erneuerbare Energien und Naturschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND) in Baden-Württemberg. Zuletzt leitete er als Konfliktberater eine Außenstelle für das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Berlin.

 

Literaturhinweise

Jan Abt, Bianka Filehr, Ingrid Hermannsdörfer, Cathleen Kappes, Marie von Seeler, Franziska Seyboth-Teßmer

Kinder und Jugendliche im Quartier - Handbuch und Beteiligungsmethoden zu Aspekten der urbanen Sicherheit Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-88118-679-7.

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Dörte Bieler, Dr. Laura Block, Annkristin Eicke, Luise Essen

Partizipation ermöglichen, Demokratie gestalten, Familien stärken Forschungsbericht

Bundesforum Familie 2019.

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Katja Fitschen; Oliver Märker

Vom Flurfunk zur Mitarbeiterbeteiligung in öffentlichen Verwaltungen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Uta Bronner; Regina Schröter

Was können Unternehmen von Bürgerbeteiligungsverfahren lernen? Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Gerhard Matzig

Einfach nur dagegen: Wie wir unseren Kindern die Zukunft verbauen Buch

Goldmann Verlag, München, 2011, ISBN: 978-3442312733.

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Jürgen Blandow; Ulrich Gintzel; Peter Hansbauer

Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage Buch

Votum, Münster, 1999, ISBN: 9783933158147.

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Richard Schröder

Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung Buch

Beltz, Weinheim, 1995.

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