Misstrauen überwinden

Interviewreihe zum Status quo des größten deutschen Beteiligungsprozesses

Im Interview erörtert Dr. Frank Claus die Bedeutung der Selbstorganisation der Fachkonferenz Teilgebiete, einen neuen Kooperationsansatz seitens BASE sowie die zentrale Rolle der Kommunen bei den nächsten Schritten der Endlagersuche.

Deutschland sucht in einem komplexen und langwierigen Verfahren den Standort zur Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe. Er soll laut Gesetz die bestmögliche Sicherheit gewährleisten und in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden sowie lernenden Verfahren ermittelt werden. In unserer Interviewreihe geben wir Ihnen in den kommenden Wochen einen Einblick in den Prozess und stellen Ihnen unterschiedliche Perspektiven von Beteiligungsexpert*innen auf den Prozess vor.

Herr Dr. Claus, die Endlagersuche schreitet voran. Der Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Entsorgung liegt vor, Gremien und Akteure wie das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das Nationale Begleitgremium oder der Partizipationsbeauftragte sind installiert. Wie beurteilen Sie das Verfahren bis dato?

Der Zwischenbericht Teilgebiete der BGE hat die Erwartungen an eine Einengung auf überschaubare potenziell geeignete Regionen nicht erfüllt und der 54 %-Flächenumfang der aktuellen Suchräume hat die Aufmerksamkeit auf die Endlagersuche daher nicht in dem Maße gefördert, wie es wünschenswert wäre. Das Beteiligungsverfahren erfüllt die Anforderungen der Endlagerkommission. Information und Beteiligung stehen allen Interessierten offen. Die Erfahrungen mit der vom BASE mutig angebotenen Selbstorganisation für die Konzeption und Auswertung der Konferenz und die Erfahrungen mit digitalen und hybriden Formaten sind überwiegend positiv. Das hat neue Maßstäbe für die künftigen Elemente der Beteiligung gesetzt. Der Selbstorganisation ist es zu verdanken, dass die inhaltlichen Diskussionen ohne allzu emotionale Störungen gelaufen sind. Es war essentiell, diese Gestaltungsmacht vom BASE an die gewählten Personen abzugeben, um neues Vertrauen aufzubauen. Leider haben sich einige bekannte Organisationen und Personen dieser Chance verweigert.

Jüngst fand die Fachkonferenz Teilgebiete statt, die der Erörterung des Zwischenberichts der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) diente. In absehbarer Zukunft werden Vorschläge für übertägige Erkundungsgebiete auf dem Tisch liegen. Welche Empfehlungen würden Sie aus beteiligungstheoretischer Sicht den Handelnden mit auf dem Weg geben, um die kommenden Herausforderungen zu meistern? 

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat die schwierige Aufgabe, das eigene Handeln über mehrere Jahre transparent und interessant zu machen. Dabei wird es zunächst nicht um Ergebnisse, sondern um Methodiken gehen. Die Kunst wird darin bestehen, das leider weiterhin herrschende Misstrauen an der Arbeit der BGE zu überwinden, zum Beispiel, indem die Konsequenzen methodischer Varianten auf das Ergebnis der Endlagersuche vorgedacht und veranschaulicht werden.

Das BASE hat sich in jüngerer Zeit für den Kooperationsansatz stark gemacht. Es will gemeinsam mit den oben genannten Akteuren und der Zivilgesellschaft Weichen stellen. Und die Vorstellungen des BASE stoßen bei denjenigen auf Kritik, die sich in den letzten Monaten (teilweise von der Seitenlinie, also als Äußerungen in öffentlichen Zoom-Konferenzen ohne persönlich Verantwortung zu tragen) bei der Diskussion um den Zwischenbericht Teilgebiete engagiert haben. Unklar ist, welche Stakeholder das BASE auf Basis welcher berührter Interessen in die angedachten intermediären Gremien einlädt und wie deren Bereitschaft zur Mitwirkung ist bzw. welche Anforderungen sie daran stellen.

Neben den Gremien und Formaten ist ein Arbeitsprogramm erforderlich: Was soll wann wozu diskutiert werden? Und die Wirkmächtigkeit der Runden steht auf dem Prüfstand, denn überwiegend geht es um informellen Einfluss, nicht um Gestaltungsmacht per Gesetz. Was passiert bei Dissensen?

Das Nationale Begleitgremium ist nur für Engagierte und Profis sichtbar. Für die Zukunft wäre es gut, wenn dieses Gremium nicht nur kommentiert, sondern auch konkrete Vorschläge macht. Und es spricht aus meiner Sicht viel dafür, die Konsenskultur des Gremiums durch qualifizierte Mehrheiten und damit auch durch kontroverse Meinungsbilder zu ergänzen.

Analog, hybrid oder digital, Selbstselektion versus Aleatorik, Stakeholder versus Bürgerbeteiligung – eine Vielzahl von Instrumenten und methodischen Bausteinen werden auch zukünftig bei der Endlagersuche kombiniert werden müssen. Was gilt es mit Blick auf den Anspruch eines lernenden Verfahrens zu beachten, um die weiteren Schritte bei der Endlagersuche erfolgreich zu gehen?

Kontinuität bei Information und Beteiligung ist Pflicht. Gleichzeitig sollte klar sein, dass sich der Kreis der engagierten Personen über die kommenden Jahre ständig ändern wird – aus Altersgründen und wegen wachsender regionaler Betroffenheiten. Das verbietet längerfristige Institutionalisierungen von Gremien, wenn man Engagement fördern will.

Aus meiner Sicht werden künftig die Kommunen eine wesentliche Rolle spielen müssen. Das meint die dortigen Verwaltungen, die Mandatsträger und die (organisierte und nicht organisierte) Zivilgesellschaft. Insbesondere unter den Mandatsträgern ist eine hohe Fluktuation zu erwarten. Gerade deshalb braucht es neben Diskussionsrunden auch Maßnahmen zum Aufbau von Kompetenzen mit Blick auf die wissenschaftlichen Eckpunkte der Endlagersuche und auf das Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren.

Zur Person

Vom Chemiker (Studium und Promotion bis Anfang 1983) ist Dr. Frank Claus zur Raumplanung gekommen. Dort war er Dozent an der Dortmunder Universität, davon ein Jahr als Gastprofessor in Kassel. 1991 hat er mit einem Freund und einer Handvoll Mitarbeitenden das Institut Kommunikation und Umweltplanung gegründet. Daraus wurde der Dialoggestalter IKU.

Literaturhinweise

Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

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