Gemeinsame Wissensproduktion wagen

Aktuelle Studie zur Rolle von Expertinnen und Experten in konsultativen Beteiligungsverfahren

Manuela Glaab und Birgit Schmölz stellen ihre Forschung zu Rolle von Expert*innen in Beteiligungsverfahren vor.

Für die meisten Bürgerinnen und Bürger stellt die Teilnahme an einem konsultativen Beteiligungsverfahren eine außeralltägliche, wenn nicht gar einmalige Erfahrung dar. Mitunter kostet es Überwindung oder erfordert sogar Mut, sich als Laie darauf einzulassen, in einem Kreis fremder Personen komplexe Themen zu diskutieren und gemeinsam Empfehlungen zu formulieren.

Damit Beteiligungsprozesse gelingen, bedarf es einer Verfahrensgestaltung, die den Rahmen dafür schafft, dass sich Bürgerinnen und Bürger offen austauschen und auf Augenhöhe miteinander diskutieren können. Dies ist in den diversen Formaten konsultativer Beteiligungsverfahren bereits angelegt, etwa durch faire Kommunikationsregeln und verschiedene methodische Elemente, die beispielsweise im Plenum, an Runden Tischen oder in Kleingruppendiskussionen zum Einsatz kommen. Auf diese Weise soll für die Teilnehmenden ein geschützter Raum und ein angemessenes Setting für die Deliberation geschaffen werden.

Nicht weniger relevant, jedoch auf den ersten Blick weniger augenfällig, ist der Beitrag der diversen in die Verfahren eingebundenen Expertengruppen. Neben den Prozessexperten, den sogenannten Facilitators, die den Ablauf der Beteiligungsverfahren anleiten und begleiten, leisten regelmäßig auch „fachliche“ Expertinnen und Experten einen prozedural wichtigen Beitrag zu Bürgerkonsultationen. Je nach Themenstellung handelt es sich dabei um Personen, die eine praktisch-berufliche Expertise einbringen oder eine spezifische wissenschaftliche Expertise beisteuern. Im Wesentlichen sind diese Expertinnen und Experten für den inhaltlichen Input zuständig und tragen so dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld der Deliberationsphase über den zur Debatte stehenden Gegenstand informiert werden. Die von ihnen eingebrachten Informations- und Wissensgrundlagen sollen die Teilnehmenden mithin in die Lage versetzen, eine sachorientierte, allen gleichermaßen zugängliche Diskussion zu führen. Ungeachtet dessen ist die Einbindung von Expertinnen und Experten und vor allem ihre individuelle Sichtweise darauf bislang eine wenig beachtete Komponente. Die Relevanz der Expertenrolle im Beteiligungsverfahren wird scheinbar eher unterschätzt. Dies gilt auch für die Forschungsliteratur zu innovativen Formen der Bürgerbeteiligung, denn dort sind Expertinnen und Experten ein unterbeleuchteter Gegenstand.

Nun liegt jedoch erstmals eine Studie vor, welche die funktionale Einbindung von Expertinnen und Experten in Bürgerkonsultationen systematisch untersucht und Ergebnisse zu ihrer Rollenwahrnehmung liefert. Die Studie basiert auf 40 leitfadengestützten Interviews mit Probanden aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen, wobei zwischen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten sowie Fachexpertinnen und -experten differenziert wird. Die Fallauswahl umfasst insgesamt acht losbasierte Bürgerräte und ähnliche Beteiligungsverfahren, die in den Jahren 2019 bis 2021 auf nationaler beziehungsweise regionaler Ebene in Deutschland durchgeführt wurden. Anhand der identifizierten Funktionen, Aufgaben und Anforderungen der Expertenbeteiligung werden in einem qualitativ-empirischen Forschungsdesign drei, in der Praxis komplementäre Rollenprofile ermittelt, die sich unter den Probanden wie folgt zuordnen lassen: Alle Expertinnen und Experten (n=40) sehen sich in der Rolle des Wissenslieferanten, rund zwei Drittel in der Rolle des Übersetzungshelfers und etwa ein Drittel in der Rolle des Beraters. (Link zur Studie: hier).

Die Interviews bestätigen, dass zwischen Experten und Laien eine Wissenskluft besteht. Gleichzeitig bleibt es in den Beteiligungsprozessen in den meisten Fällen bei einer sehr kompakten, einseitigen Wissensvermittlung, die vom Experten an den Laien gerichtet ist. Im Unterschied dazu wird in der Literatur das Zustandekommen einer beidseitigen oder gemeinsamen Wissensproduktion – eine „co-production of knowledge“ – gefordert (vgl. Ligthbody/Roberts 2019). Idealerweise gelingt eine solche Co-Produktion von Wissen, wenn sowohl Expertenwissen als auch Laienwissen eingebracht und miteinander in Beziehung gesetzt wird. Bürgerinnen und Bürger sollen die Gelegenheit haben, ihr Erfahrungswissen dem Expertenwissen gegenüberzustellen oder auch die Möglichkeit erhalten, letzteres zu hinterfragen. Damit wird ein Prozess gegenseitigen Lernens angestoßen, der im Sinne einer „partizipativen Politikberatung“ (Glaab 2019) für beide Seiten mit einer Bereicherung verbunden sein kann. Insgesamt belegt die Studie auch, dass die Experten-Bürger-Beziehung von den Befragten ganz überwiegend positiv wahrgenommen wird. Die allermeisten äußern die Bereitschaft, erneut an konsultativen Beteiligungsverfahren mitzuwirken. Nicht wenige wären zudem bereit, sich intensiver mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinanderzusetzen.

Damit eine Interaktion stattfinden kann, wird jedoch mehr Raum und Zeit benötigt, als üblicherweise zur Verfügung steht. Die größte Herausforderung für alle Probanden stellt die Zeitknappheit für ihren Experten-Input dar, was zur Folge hat, dass eine ausführliche Beantwortung von Rückfragen oder eine tiefergehende Diskussion selten zustande kommt. Die Bereitschaft der Expertinnen und Experten, den Austausch interaktiver zu gestalten, wird zudem durch eine zweite Herausforderung beeinträchtigt, die sich als „kritische Rollenambivalenz“ (Glaab/Schmölz 2023: 12) beschreiben lässt: Einerseits möchten sie ihre Expertise auf sachliche und verständliche Weise vermitteln, ohne jedoch das Beratungsergebnis vorwegzunehmen. Des Öfteren wird geäußert, sich wegen des eigenen Wissensvorsprungs zurücknehmen zu wollen, um die Diskussion unter den Teilnehmenden nicht zu stark zu beeinflussen. Andererseits ist eine Übersetzungsleistung erforderlich, die sich allerdings in der Praxis meist darauf beschränkt, nach dem Vortrag einige Verständnisfragen zu beantworten. Die Übersetzungshilfe auszuweiten, ist dagegen aufgrund der zeitlichen Vorgaben für die meisten nicht machbar. Nur wenige Probanden machen sich daher weitergehende Gedanken darüber, wie sie eine Befähigung der Teilnehmenden unterstützen könnten. Nur ein kleiner Teil betrachtet es explizit als seine Aufgabe, im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern eine Beratungsleistung miteinfließen zu lassen, um jene auf eine Entscheidungsfindung vorzubereiten. Diese wenigen Probanden zielen auf ein „besseres“ Beratungsergebnis ab und möchten darüber hinaus ihren eigenen Wissenshorizont erweitern.

Dabei könnte eine gemeinsame Wissensproduktion im Rahmen konsultativer Beteiligungsverfahren mehrerlei leisten: Im direkten Austausch zwischen Expertinnen, Experten und Teilnehmenden könnten Wissensbestände wechselseitig überprüft, ergänzt und konsolidiert werden. Die Gefahr einer einseitig dominierten Wissensvermittlung ließe sich dadurch abschwächen. Schließlich könnte die Pluralisierung von Expertise zu „besseren“ Beratungsergebnissen führen, wodurch die Verfahrensqualität wie auch die Problemlösungskapazität der Beteiligungsformate gesteigert werden. Dabei müsste bei der Verfahrensgestaltung angesetzt und mehr Experimentierfreude und methodische Innovationen gewagt werden. Hierfür ist das Potenzial in konsultativen Beteiligungsverfahren längst nicht ausgeschöpft.

Literatur

Glaab, Manuela (2019): Partizipative Politikberatung. Formate, Erfahrungen und Perspektiven, in: Svenja Falk et al. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden: Springer VS, S. 99–112.

Glaab, Manuela/Schmölz, Birgit (2023): Wissenslieferanten, Übersetzungshelfer und Berater. Eine explorative Studie zur Expertenbeteiligung in Bürgerräten und verwandten Beteiligungsverfahren. Berlin: Konrad Adenauer-Stiftung e.V.

Lightbody, Ruth/Roberts, Jennifer J. (2019): Experts: the politics of evidence and expertise in democratic innovation, in: Oliver Escobar and Stephen Elstub (Hrsg.), Handbook of Democratic Innovation and Governance, Cheltenham/Northampton: Edward Elgar Publishing, S. 225–240.

Zu den Autorinnen

Prof. Dr. Manuela Glaab ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland an der RPTU – Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. Von 2017 bis 2021 war sie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. Im Mai 2022 wurde sie in den Fachbeirat Bürgerbeteiligung beim Sächsischen Staatministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung berufen. Schwerpunkte ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit liegen u.a. auf den Gebieten: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, Modernes Regieren und politische Führung, Politikberatung, politische Partizipation und innovative Formen der Bürgerbeteiligung.

Birgit Schmölz, M.A., hat Kultur- und Politikwissenschaft sowie Staatswissenschaften an den Universitäten Regensburg, Passau und Warschau studiert. Sie ist seit Oktober 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitseinheit „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ an der RPTU – Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. In Landau lehrt sie in den Bereichen politisches System Deutschland, Policy-Analysen, sowie Einführung in die Umwelt- und Klimapolitik.  Neben der Forschung zu politischer Partizipation beschäftigt sie sich mit der vergleichenden Regierungslehre/Governance-Forschung und Policy-Analysen aus umwelt- und klimapolitischer Perspektive.