Mecklenburg-Vorpommern erleichtert Volksbegehren

Foto: Frank Lindecke via flickr.com, Lizenz CC BY-ND 2.0

Wie der NDR berichtet, reformiert Mecklenburg-Vorpommern seine Landesverfassung. Vorausgegangen war ein Beschluss des Landtages, dem sowohl die Koalitionsparteien CDU und SPD als auch die oppositionellen Grünen und Linken zugestimmt haben.

Bisher bedurfte es 120 000 Unterschriften für ein erfolgreiches Volksbegehren. Zukünftig werden es nur noch 100 000 sein, die die Initiatoren in einem Zeitraum von fünf Monaten sammeln müssen. Hat das Volksbegehren Erfolg, befasst sich der Landtag mit dem Antrag und entscheidet über Annahme oder Ablehnung. Wenn er nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten angenommen bzw. vorab abgelehnt wird, kommt es zum Volksentscheid, für den bisher galt: Ein Volksentscheid ist erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zustimmt und insgesamt mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten des Bundeslandes am Entscheid teilgenommen hat. Zukünftig reicht es aus, dass mindestens 25% – also nur noch ein Viertel – der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben und davon die Mehrheit mit „ja“ votiert hat.

Kritiker bemängeln anhaltend hohe Hürden

Trotz dieser Vereinfachung sehen Kritiker Nachbesserungsbedarf und der Vorwurf einer Scheinbeteiligung bzw. einer politisch gewollten Verhinderung direktdemokratischer Beteiligung wird laut. Das liegt vor allem an der kurzen Zeit, die für die Sammlung der nötigen Stimmen verfügt wurde. Fünf Monate seien demnach unzureichend, um eine entsprechende Menge der Bevölkerung zu informieren und motivieren.

Darüber hinaus wird die vermeintlich zu hohe prozentuale Schwelle bei der nötigen Wahlbeteiligung bemängelt. Dabei verweisen kritische Stimmen auf die geringeren Hürden in anderen Bundesländern wie Sachsen, Hessen oder Bayern, in denen für eine einfache Gesetzesänderung kein solches Quorum besteht.

Allerdings befindet sich Mecklenburg-Vorpommern mit dem zukünftig geltenden Quorum von 25%  im Einklang mit diversen anderen Bundesländern, die die gleiche Grenze für einen erfolgreichen Volksentscheid gesetzt haben. Zudem ist die Intention bei einem Bürgerentscheid, ein Bild von weiten Teilen der stimmberechtigten Menschen zu erhalten und setzt in dieser Denklogik eine breite gesellschaftliche Beteiligung voraus. Insofern sind Debatten, ob ein Volksentscheid bei einem Drittel oder Viertel der aufgerufenen Grundgesamtheit Gültigkeit besitzen sollen, fragwürdig und verklären den Blick auf das zweifelsohne große Problem, wie die Vitalität der bundesrepublikanischen Demokratie erhalten werden kann. Gesetze, die mittels eines Volksentscheids mit geringer Wahlbeteiligung, aber hohem Organisations- und Mobilisierungsgrad einzelner Gruppen erreicht werden, reflektieren dabei lediglich die Antriebskraft, die partikularer – oft professionell organisierter – Interessenverfolgung innewohnt und trägt mittelfristig wenig zur Repolitisierung der Bevölkerung bei.

Wie weiter?

Legitimitätsstiftend können partizipative Prozesse nur sein, wenn sie die Meinung eines Großteils der Betroffenen – in diesem Fall der Anwohnerinnen und Anwohner in Mecklenburg-Vorpommern – wiedergibt. Dazu braucht es einerseits transparente Beteiligungsverfahren und andererseits eine Förderung der Beteiligungsbereitschaft sowie die Förderung demokratischer Kompetenzen. Anstatt zukünftig Kraft auf die Frage der richtigen Höhe eines Minderheitenquorums zu konzentrieren, wäre es zielführender sich darüber auszutauschen, wie es möglich wird, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich aus freien Stücken am politischen Prozess beteiligt.

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