Leichte Sprache für echte Teilhabe

Der Politik wird oft ein zu komplizierter Sprachgebrauch vorgeworfen. Leichte Sprache kann hier Abhilfe schaffen und für mehr Selbstbestimmung und Teilhabe sorgen, vor allem für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Im Bereich Partizipation drehen sich oft viele Fragen um Beteiligungsmöglichkeiten und -strukturen. Wie kann sich die Bevölkerung politisch einbringen, welche Wege und Mittel stehen ihnen formell oder informell zur Verfügung? Und wer genau partizipiert in welchem Maße? Die meisten dieser Überlegungen gehen davon aus, dass Menschen über ausreichende Kompetenzen zur Teilhabe verfügen. Doch das trifft nicht in gleichem Maße auf alle Mitglieder der Gesellschaft zu.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es seitens der Politik nicht genügt, lediglich die Bereitstellung eines großen Beteiligungsangebots und einer umfassenden Informations- und Datenbasis zu gewährleisten. Vielmehr braucht es Anstrengungen, um alle zur Teilhabe zu befähigen und nicht bloß bildungsnahe Bürger*innen, sondern auch Menschen mit Behinderungen oder anderen Beeinträchtigungen. Dazu zählen auch diejenigen, die Lese- oder Sprachschwierigkeiten haben. Um eben jene soll es im Folgenden gehen.

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, Ludwig Wittgenstein

Wer die Sprache aus seinem eigenen Land nicht beherrscht, ist wie ein Fremder in der Heimat. Wie sich in seiner Lebensumwelt zurechtfinden und mit anderen verständigen? Eine Existenz ganz ohne Sprache, ob über Zeichen, Laute oder Körpersprache, ist kaum vorstellbar. Wort und Schrift zu verstehen, ist Basis jeglicher Interaktion, vor allem, wenn es um kompliziertere Sachverhalte geht.

Umso bedenklicher ist es, dass laut der Level-One-Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2012 knapp 15 Prozent der Erwachsenen in Deutschland Probleme haben, längere Texte zu verstehen. Das sind etwa 7,5 Millionen Menschen – eine recht hohe Zahl. Noch viel höher, mit rund 40 Prozent und damit mehr als 20 Millionen Deutschen, ist die Anzahl derjenigen, die vom Gebrauch einer leichteren Sprache profitieren würden. Da liegt es auf der Hand, dass vor allem in schwer verständlichen Bereichen Leichte Sprache benutzt werden sollte wie zum Beispiel in Politik und Recht, da diese unser tägliches Leben immens beeinflussen.

Leichte Sprache

Leichte Sprache wurde erstmals in den 1970er Jahren von der People First Empowerment-Bewegung in den USA gefordert. Damals und heute setzt sich People First für klarere Formulierungen der Rechte von Menschen mit Behinderungen ein, damit sie sich selbst vertreten und insofern autonom bleiben können. Dieses Bestreben fand 2006 schließlich Ausdruck in der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie bezweckt u. a. „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ all derjenigen, die aufgrund von Beeinträchtigungen (seien diese physicher, psychischer, kognitiver oder sozialer Art) in ihrer Partizipation eingeschränkt sind.

Leichte Sprache wird hier als Mittel gesehen, um Diskriminierung vorzubeugen und Menschen in verständlicher Weise über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären. Das ‚Leicht‘ bezieht sich nicht nur auf die Satzlänge und Verwendung von Fach- oder Fremdworten, sondern vor allem auf die Bewahrung der inhaltlichen Richtigkeit. Die Essenz eines komplexen Sachverhalts und -zusammenhangs in einfache Worte zu überführen, ist oft schwieriger als gedacht. Damit die Texte trotz Verdichtung sinngemäß bleiben, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zusammen mit dem Netzwerk Leichte Sprache ein Regelwerk hierfür erstellt. Es richtet sich im Speziellen an Ämter und Behörden. Diese Regeln gelten nur für schriftliche Texte, denn Leichte Sprache ist mündlich nicht durchzuführen. Sie stellt eine eigene Art des Sprachgebrauches dar und wird daher auch als Eigenname benutzt. Bei wörtlicher Rede würde nicht von Leichter Sprache, sondern eher einfacher Sprache gesprochen werden. Im Gegensatz zu Leichter hat einfache Sprache kein festes Regelwerk. Beide Begriffe sind also nicht synonym zu verwenden.

Die Bundesregierung geht in Sachen Leichte Sprache mit gutem, aber ausbaufähigem, Beispiel voran. So finden Besucher*innen der Internetpräsenz des Deutschen Bundestages einige Informationen, beispielsweise zur Zusammensetzung und den Aufgaben der Bundesregierung, in Leichter Sprache. Das dortige Angebot ist allerdings recht mager. Glücklicherweise gibt es Alternativen wie die Website nachrichtenleicht.de oder die Wochenzeitung Klar & Deutlich, die ihren Leser*innen aktuelle Geschehnisse aus aller Welt in leicht verständlicher Art und Weise schildern.

„Sprichst du Politik?“

Wie eingangs erwähnt, ebnet Leichte Sprache nicht nur den Weg für mehr Selbstbestimmung, sondern auch für Teilhabe an Gesellschaft, Kultur und Politik. Damit insbesondere Letzteres vom Staat gewährleistet werden kann, ist es dessen Pflicht, sich um ein möglichst großes Leseangebot in dieser Form zu kümmern. „Denn Demokratie, die »Herrschaft des Volkes«, kann nur dann gegeben sein, wenn auch komplexe politische Entscheidungen von den Betroffenen verstanden werden“, so die Kommunikationsberaterin Dr. Bettina Fackelmann in der entsprechenden Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte. Erst, wenn Abläufe verstanden wurden, kann in sie eingegriffen werden.

Fackelmann zeigt mithilfe der ‚Sprichst du Politik?‘-Untersuchung, bei der 2011 in ganz Deutschland Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren „zu ihrem Interesse und Verständnis von politischer Kommunikation befragt“ wurden, dass vor allem im Politikverständnis ein großes Defizit herrscht. Der Großteil der Jugendlichen interessiere sich zwar für Politik, empfände aber die politische Sprache als zu kompliziert. Dies sporne jedoch nicht zur näheren Befassung mit derselben an, sondern schrecke eher ab. Darüber hinaus glauben knapp 46 Prozent der befragten angehenden Abiturient*innen, dass die Regierung letztendlich keine Partizipation möchte, vom Unwissen der Menschen profitiere und sich daher öfter bewusst kompliziert ausdrücke.

Teilweise könnte diese Skepsis durch einfachere Sprache abgebaut werden. Ein Indiz – nicht ganz ohne faden Beigeschmack – hierfür liefert der Wahlsieg des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Im Gegensatz zu seinen Kontrahenten Hillary Clinton und vor allem auch Bernie Sanders bedient er sich einer simplen Ausdrucksweise. Seine kurzen Sätze leben von Alliterationen, Wiederholungen und simplen, oft einsilbigen Worten. Die deutsche Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling merkte an, dass er sich in der Regel der Grammatik und Sprache eines Viertklässlers bediene. Dies gereichte ihm wahrscheinlich zum Vorteil, da ihn die breite Masse verstand und es seinem Image als ‚einer von ihnen‘ entgegenkam.

Ohne Zweifel ist Sprache ein mächtiger Verbündeter. Wer sie richtig einzusetzen weiß, kann die Massen bewegen. Davon machen Sophisten und andere Redekünstler seit jeher Gebrauch.

Mit dem Recht kommt auch die Pflicht

Um so manchem Redenschwinger aber nicht auf den Leim zu gehen, ist es umso wichtiger, dass die Regierung sich um Leichte Sprache im Schriftlichen bemüht. Nur so kann all denjenigen Autonomie und Teilhabe am politischen Geschehen ermöglicht werden, die daran durch Sprach- oder Leseschwierigkeiten gehindert werden. Doch ist es ebenso die Pflicht der Bürger, sich zu belesen und zu informieren, wenn ihnen die Mittel dazu gegeben sind. Gerade das wird von Vielen oft gerne vergessen, da es nicht nur zeitaufwändig ist, sondern oft auch anstrengend.

Welche Aspekte zwischen Sprache und Partizipation darüber hinaus noch interessant sind, wird Ende März auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik e.V. in Bremen erörtert werden. Wie die Mitorganisatorin und Linguistin Dr. Bettina Bock treffend beschreibt, ist das Verhältnis beider zueinander allerdings eindeutig: „Über Kommunikation wird also Partizipation (zu einem großen Teil) realisiert, und gleichzeitig ist Kommunikation der Weg, diese einzufordern.“

Literaturhinweise

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