Der Kampf um das gehört Werden

Chancen und Hürden bei der politischen Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen

Strukturelle Barrieren, Diskriminierung und mangelnde Anerkennung erschweren die Partizipation von Frauen* mit Migrationshintergrund. Wie dem begegnet werden kann, zeigt DaMigra.

Frauen*1 und Personen mit Migrationshintergrund sind in politischen Institutionen teils stark unterrepräsentiert. Dies erleben migrantische Frauen* in verschärfter Weise. Oftmals sind sie von intersektionaler Diskriminierung betroffen. Das heißt, sie erfahren sowohl sexistische als auch rassistische oder migrant*innefeindliche Diskriminierung und sehen sich teils von speziellen Vorurteilen gegenüber migrantischen Frauen* betroffen.

All dies schlägt sich auch in den Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen wieder. Obwohl sie einen nicht geringen Anteil der Gesellschaft ausmachen, haben Frauen* mit Migrationshintergrund häufig nicht die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen, und verspüren das Gefühl, nicht gehört oder nicht ernst genommen zu werden.

In einer Studie zur Politischen Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und  Gremienarbeit, untersucht der Dachverband der Migrantinnen*organisationen DaMigra, welche Hürden es bei der politischen Partizipation von Migrantinnen* gibt und entwickelt einen Forderungskatalog, um diese zu überwinden.

Die Studie

Die Studie besteht aus einer quantitativen Befragung von 87 in einer MSO aktiven Frauen* mittels Fragebögen sowie einer qualitativen Interviewbefragung von 20 haupt- oder ehrenamtlich aktiven Frauen*.

Hierbei legt DaMigra der Studie ein Geschlechterverständnis zugrunde, das Geschlechteridentität als gesellschaftlich konstruiert und nicht-binär betrachtet. Zudem richtet die Studie einen starken Fokus auf die Perspektive der Betroffenen. Die individuelle und subjektive Einschätzung und das Erleben migrantischer Frauen* bekommt hierbei Raum. Auf Grundlage der Aussagen werden die Problemfelder analysiert und Lösungsvorschläge entwickelt.

Möglichkeiten zur Teilhabe

Migrant*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit haben in Deutschland grundlegend kein Wahlrecht und können selbst nicht gewählt werden. Im Gegensatz zu EU-Bürger*innen, welche ein Kommunalwahlrecht genießen, bleibt auch dieses Drittstaatsangehörigen verwehrt. Die mangelnden Teilhabechancen und die gezielte Exklusion von Migrant*innen aus politischen Prozessen diagnostiziert DaMigra als Demokratiedefizit.

Wenn Migrant*innen politisch wirksam sein möchten, bleibt ihnen oft nur das eigenmotivierte und selbstorganisierte Engagement. Insbesondere für migrantische Frauen*, welche sich oft mit zweifacher und intersektionaler Diskriminierung konfrontiert sehen, stellt dies teils eine große Herausforderung dar – bietet aber auch Chancen Selbstwirksamkeit und Empowerment zu erlangen.

Migrantinnen*selbstorganisationen (MSO)

Migrantinnen*selbstorganisationen sind Vereine oder Organisationen, die oftmals zu Themen der Integration und Frauen*politik arbeiten und eine Interessenvertretung von Migrantinnen* darstellen. Meist sind sie an bestimmten Herkünften orientiert, arbeiten jedoch überparteilich und religionsunabhängig.

Die Vereinsaktivitäten umfassen vorwiegend kulturelle Aktivitäten, Beratung und Empowerment sowie politische Aktivitäten. Aber auch Freizeit und Sport, politische Bildungsarbeit, Kampagnenarbeit und religiöse Aktivitäten gehören bei einigen Verbänden dazu.

Ein Großteil der Arbeit von MSO basiert auf ehrenamtlicher Tätigkeit. DaMigra zufolge beschäftigen die MSO durchschnittlich ein bis drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen*. Dies hat zur Folge, dass es zu Problemen der Vereinbarkeit kommt. Der Großteil der Befragten ist zwischen 20 und 60 Jahren alt, 72 % haben Kinder. Hieraus resultieren oftmals Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und ehrenamtlicher Tätigkeit.

Die Tätigkeit in einer MSO ist für viele Migrantinnen* ein wichtiger Ort zum Austausch und zum gegenseitigen Empowerment. Gleichzeitig bleibt die direkte Tätigkeit der MSO oft im eigenen Netzwerk. So gaben 40 % der Befragten an, über ihr soziales Umfeld in eine MSO gekommen zu sein, 26 % als Mitgründerin* und nur 12 % über eigenmotivierte Recherche.

Lobby- und Gremienarbeit könnte eine Chance darstellen, das eigene Anliegen weitläufiger zu verbreiten und sich im politischen Raum eine Stimme zu verschaffen. Oft ist das jedoch nicht einfach.

Lobby- und Gremienarbeit

Nur 22 % der Befragten gaben an, Erfahrung mit Lobby- und Gremienarbeit zu haben. Dies hat vielseitige Gründe, die sich vor allem auf die Aspekte von Ressourcen, Wissen und Diskriminierung beziehen. So treten die oben thematisierten Hürden der Vereinbarkeit auch bei der Lobby- und Gremienarbeit auf. Zudem mangele es den MSO oft an Personal, um die Lobby- und Gremienarbeit in den Zeitplan zu integrieren. Eine bessere finanzielle Förderung durch den Staat könnte hierbei helfen. Doch auch mangelnde Information über die Möglichkeiten der Partizipation halten einige Frauen* von der Beteiligung ab. Hinzu kommen teils Sprachbarrieren und die Scheu, sich kritisch in die Prozesse einzubringen.

Das Erleben von Diskriminierung und struktureller Benachteiligung trägt darüber hinaus nicht zu einem Abbau von Hemmungen bei. Dies betrifft zum einen die direkte Interaktion, in der Betroffene etwa von dem Gefühl berichten, in ihrer Rolle als eigenständige, aktivistische Migrantin* nicht ernst genommen zu werden oder im Migrationsrat weniger Redezeit als andere Teilnehmende zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Auch auf struktureller Ebene erläutern die Befragten ein Gefühl der Ungleichbehandlung. So würden sie teils in eine beratende Funktion gedrängt und erhielten kein Stimmrecht. Es entstehe der Eindruck, als dienten sie nur zur Legitimierung und vermeintlichen Diversifizierung eines Gremiums. Auch was die finanzielle Förderung betrifft, berichten Befragte von mangelnder Transparenz und dem Gefühl, dass auf Emanzipation und Empowerment ausgerichtete Projekte weniger Unterstützung erhielten.

Trotz der Umstände und dem Wunsch nach Veränderung berichtet DaMigra von einer hohen Einsatzbereitschaft und einer kämpferischen Haltung der in Gremien beteiligten Migrantinnen*. Hierfür sind jedoch ein struktureller Umbruch und eine offenere Haltung von politischen Akteuren gefragt.

Strategien und Forderungen

Für bessere politische Partizipationschancen von Migrantinnen* hat DaMigra Handlungsempfehlungen erarbeitet, welche eine Vielzahl von Strategien, wie Vernetzung, Information, Förderung und Anerkennung beinhalten und hierfür auch an die Unterstützung und Kooperation von weiß-deutschen Institutionen appellieren.

Die in der Studie genauer ausgeführten Maßnahmen umfassen die folgenden Überpunkte:

  •       Personelle Ausstattung und Infrastruktur finanzieren
  •       Informierung und Professionalisierung
  •       Wertschätzung der Expertise und der Potenziale von MSO
  •       Politische Teilhabe und Inklusion für alle und überall

Gemeinsam mit anderen migrantischen und feministischen Organisationen hat DaMigra außerdem ein Positionspapier erarbeitet, welches an die Vorstände der Regierungsfraktionen und die fachpolitischen Sprecher*innen des Abgeordnetenhauses von Berlin übergeben wurde.

Die Forderungen beziehen sich unter anderem auf ein Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige, einen niedrigschwelligeren Zugang zu Gremien und den Abbau von Diskriminierung.

Das Forderungspapier sowie die äußerst aufschlussreiche Studie können Sie hier nachlesen.

Anmerkungen

1DaMigra legt der Studie ein Geschlechterverständnis zugrunde, das auf die gesellschaftliche Konstruiertheit und nicht-Binarität von Gender verweist. Frauen und Personen, die keiner Kategorie des binären Genderspektrums entsprechen, erfahren häufiger Diskriminierung und strukturelle Ungleichheit als Männer. Daher wurden in der Studie prinzipiell nicht-männliche Akteure berücksichtigt, welche sich jedoch nicht notwendigerweise eine weibliche Identität zuschreiben müssen. Das Sternchen am Ende der weiblichen Form soll dies kennzeichnen. Um die Absichten von DaMigra adäquat darzustellen, wird daher in diesem Beitrag die Gender-Schreibweise der Studie übernommen.

 

Literaturhinweise

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