Bürgerdialog Stromnetz: Eine „neue Dialogkultur“?
Als Reaktion auf die wachsende Zahl von Bürgerinitiativen entlang geplanter Stromtrassen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) den „Bürgerdialog Stromnetz“ ins Leben gerufen. Eine „neue Dialogkultur“ soll entwickelt, die Diskussionen rund um geplante Netzausbauten versachlicht und den Fragen und Anliegen der betroffenen Bürger Gehör verschafft werden. Der „Dialog auf Augenhöhe“ soll „nah an den Bürgern“ stattfinden, so Wirtschaftsstaatssekretär Uwe Beckmeyer auf der Eröffnungsveranstaltung am 18. Mai 2015.
Vielversprechend ist auch die Ankündigung des BMWi, Anliegen betroffener Bürger und der interessierten Öffentlichkeit im Rahmen des Dialogs aufzunehmen und an die Verantwortlichen weiterzuleiten, sowie allen Bürgern Rückmeldungen zu Ihren Anfragen zu geben.
In Regionen, in denen „besonders großer Kommunikations- und Diskussionsbedarf“ besteht, werden Bürgerbüros als Anlauf- und Informationsstelle eingerichtet. Außerdem wird es ein mobiles Bürgerbüro (Bürgermobil) geben.
Andrea Abu Salah, Referentin für Beteiligung von der Bundesnetzagentur, äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der Erwartungshaltung der Bürger an die Beteiligungsplattform. Es müsse deutlich gemacht werden, dass die Einwendungen weiterhin in das formale Verfahren eingebracht werden müssen, um berücksichtigt werden zu können.
Ebenfalls angekündigt war ein virtueller Diskussionsraum in Form eines „Bürger-Online-Forums mit Voting-Funktion“. Dieser ist jedoch noch nicht erkennbar. Auf der Internetplattform des Bürgerdialogs (www.buergerdialog-stromnetz.de) sind lediglich häufig gestellte Fragen zu finden. Fragen etwa, die schon einmal in ähnlicher Form gestellt wurden, werden nicht veröffentlicht, sondern nur in einer Email beantwortet. Auch Meinungsbeiträge werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Alle dann noch passenden Beiträge werden zunächst redaktionell überprüft, bevor sie bis zu drei Tage später veröffentlicht werden. Ein intensiver, rascher Austausch und eine lebhafte Diskussion kann in dieser stark moderierten Form nicht entstehen.
Bezeichnend war auch die Zusammensetzung der Teilnehmer bei der Auftaktveranstaltung am 18. Mai: Lediglich acht der rund 120 Anwesenden gehörten keiner Interessengruppe an, weitere sieben Bürger vertraten Bürgerinitiativen – alle anderen kamen für die Übertragungsnetzbetreiber beziehungsweise für Industrieverbände.
Erwähnenswert ist jedoch das Engagement des BMWi und der Organisatoren, grundsätzlich einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. So wurde zum Beispiel bereits bei der Eröffnungsveranstaltung in Kleingruppen über Chancen und Grenzen des Bürgerdialogs diskutiert.
Trotzdem stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Bürger wirklich nehmen können und inwieweit sich der Prozess von einer reinen Legitmierungsmaßnahme wirklich abhebt.
Literaturhinweise
Das Problem der Exklusion: Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige Sammelband
Hamburger Edition, Hamburg, 2006, ISBN: 978-3936096699.
Von Porto Alegre nach Europa. Möglichkeiten und Grenzen des Bürgerhaushalts Buchabschnitt
In: Heinz Kleger; Jochen Franzke (Hrsg.): Kommunaler Bürgerhaushalt in Theorie und Praxis am Beispiel Potsdams, Universitätsverlag Potsdam, Potsdam, 2006.
Klassenherrschaft und politisches System. Die Selektivität politischer Institutionen Buchabschnitt
In: Claus Offe; Jens Borchert; Stephan Lessenich (Hrsg.): Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2006.
Expertenkommunikation im Konfliktfeld der nuklearen Entsorgung. Zum Wandel von Expertenhandeln in öffentlichkeitssoziologischer Perspektive Buchabschnitt
In: Peter Hocke; Armin Grunwald (Hrsg.): Wohin mit dem radioaktiven Abfall? Perspektiven für eine sozialwissenschaftliche Endlagerforschung, edition sigma, Berlin, 2006.
Am Rande der Gesellschaft: Risiken sozialer Ausgrenzung Buch
Verlag Barbara Budrich , Leverkusen, 2005, ISBN: 978-3938094938.
Regieren mit Mediation: Das Beteiligungsverfahren zur zukünftigen Entwicklung des Frankfurter Flughafens Buch
VS Verlag, Wiesbaden , 2005.
Kommunaler Bürgerhaushalt – ein Leitfaden für die Praxis Forschungsbericht
2004.
OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch
Experience, Paris, 2004.
Direkte Demokratie: Forschung und Perspektiven Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2003, ISBN: 978-3531138527.
Massenmedien und lokaler Protest Buch
Westdeutscher Verlag, Opladen, 2002.