Soziale Teilhabe durch einen günstigen ÖPNV

Warum die Nachfolge des 9-Euro-Tickets Partizipation erschwert

Die Bundesregierung stellt eine Nachfolge des dreimonatigen 9-Euro-Tickets in Aussicht. Von dem bundesweiten 49-Euro-Ticket werden nicht alle profitieren.

In unseren Beiträgen berichten wir hauptsächlich über die politische Komponente des Partizipationsbegriffs. Partizipation bedeutet aber auch Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Der Hartz IV Regelsatz für Alleinstehende und Alleinerziehende liegt aktuell bei 449 Euro. 8,97 Prozent, also 40,27 Euro von diesem Betrag sind für Verkehr vorgesehen. Etliche Beispiele aus deutschen Großstädten verdeutlichen, dass es für Armutsbetroffene fast unmöglich ist, eine Monatskarte zu erwerben. Mobilität ist aber erforderlich, um am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Im Gegensatz zum erfolgreichen 9-Euro-Ticket wird die Nachfolgeregelung soziale Partizipation nicht ermöglichen. Günstiger Nahverkehr sollte nicht nur als klimapolitisches Instrument, sondern auch im Kontext der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft betrachtet werden. 

Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets

In der ersten Septemberwoche stellte die Ampelkoalition ein weiteres Entlastungspaket vor, welches eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket beinhaltet. Ziel sei es, bis spätestens Januar 2023 ein bundesweites Ticket für den Nahverkehr zu schaffen. Als Preisspanne werden 49 und 69 Euro im Monat genannt.

Ob das Nachfolgemodell genauso erfolgreich wie das 9-Euro-Ticket werden wird, ist fraglich. Zu teuer ist die Preisspanne von 49 bis 69 Euro. Für Abo-Kunden kann es sich lohnen, muss es aber nicht. Eine Studie des ADAC aus dem Jahr 2021 vergleicht ÖPNV Ticketpreise deutscher Städte und erkennt gewaltige Unterschiede in der Preisgestaltung. Für Bahnfahrer*innen aus München, die aktuell 57 Euro monatlich zahlen, bringt das Nachfolge-Ticket keine Entlastung. Hamburger*innen, die aktuell 113 Euro monatlich zahlen, werden sich aber über das Nachfolge-Ticket freuen. Auch für Pendler*innen aus den Speckgürteln deutscher Großstädte bedeutet das Nachfolge-Ticket eine Entlastung. Je länger die Strecke, desto mehr Ersparnis durch das neue Ticket. Familien werden sich wohl gegen das Nachfolge-Ticket entscheiden, da anders als beim Vorgänger eine kostenfreie Kindermitnahme nicht vorgesehen ist. Für gelegentliche Ausflugsfahrten ist die geplante Preisspanne von 49 bis 69 Euro auch zu hoch. 

Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

Im öffentlichen Diskurs über die Nachfolge des 9-Euro-Tickets bleibt ein Teil der Gesellschaft meist unberücksichtigt. Unter dem Hashtag #Ichbinarmutsbetroffen berichten Twitter-User*innen aus der finanziellen Armut. Während der dreimonatigen Laufzeit wurde viel von den Möglichkeiten, die das Ticket bietet, berichtet. Das 9-Euro-Ticket ermöglichte Armutsbetroffenen sowohl innerhalb Deutschlands zu reisen als auch innerhalb ihrer eigenen Stadt flexibel unterwegs zu sein. Viele Menschen konnten zum ersten Mal wieder Freunde und Verwandte besuchen. Auch Wochenendausflüge in andere Teile des Landes wurden durch das 9-Euro-Ticket möglich. 

9-Euro-Fond

Seit der Verkündung des 3. Entlastungspakets sorgt der sogenannte 9-Euro-Fond online für Aufsehen. Das Prinzip des Fonds ist einfach: Alle teilnehmenden Personen zahlen monatlich 9 Euro an den Fond. Sollte eine teilnehmende Person beim Fahren ohne Ticket erwischt werden, zahlt der Fond die Strafe. Klingt verlockend? Leider ist das keine sichere Alternative für Menschen, die sich das Nachfolge-Ticket nicht leisten können. Wer ohne gültigen Fahrschein den ÖPNV nutzt, begeht in Deutschland eine Straftat und kann mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden. Diese Strafe trifft oft die Ärmsten unserer Gesellschaft, die keine Möglichkeit haben, reguläre Tickets zu kaufen.

Das 9-Euro-Ticket war ein Erfolgsmodell. 52 Millionen Menschen nutzten das Angebot und vielen Menschen ermöglichte es soziale Teilhabe am Leben ohne Angst haben zu müssen, beim Schwarzfahren erwischt zu werden. Das Nachfolge-Ticket ist zu teuer, um die gleiche Entlastung für Bürger zu erzielen. In Kombination mit anderen sozialpolitischen Instrumenten wäre eine Fortführung des 9-Euro-Tickets ein Weg, um Menschen soziale Partizipation zu ermöglichen.