Ich und der ganz andere

Ein Interview mit dem Drittplatzierten des diesjährigen Medienpreises Bastian Berbner

Bastian Berbner spricht im Interview über seine Reportage zur irischen Citizen Assembly und die Rolle, die Journalismus in einer beteiligungsorientierten Gesellschaft einnehmen sollte.

Ihre Reportage beschäftigt sich mit dem irischen Experiment der Citizen Assembly bei dem hundert Bürger*innen über eine Verfassungsänderung diskutieren durften. Wieso haben Sie sich gerade für dieses Thema entschieden?

Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten begann ich eine Recherche, die sich mit der Frage beschäftigte, wie die liberalen Demokratien des Westens diesen Angriff abwehren können, dem sie sich gerade ausgesetzt sehen. Da ging es um innovative Wege, wie Demokratien das Vertrauen ihrer Bürger in den politischen Prozess zurückgewinnen können. Bei meiner Arbeit ist mir kein Beispiel begegnet, wo das so gut gelungen ist wie bei den Bürgerversammlungen in Irland. Mein Eindruck war damals und ist es bis heute, dass wir in Deutschland viel von diesem irischen Experiment lernen können. Und das passiert ja auch.

Wie stehen Sie dem landläufigen Vorwurf gegenüber, dass die Berichterstattung in Deutschland zu stark konfliktorientiert sei?

Ich teile diesen Vorwurf ein Stück weit. Am Ende muss es uns Journalisten doch darum gehen, die Welt möglichst so abzubilden, wie sie ist. Wenn wir uns zu stark auf das Dramatische und Extreme konzentrieren, zeichnen wir die Welt negativer als sie ist. Aber natürlich ist es schwer, das zu ändern, auch weil es diese Themen und Geschichten sind, die vom Publikum nachgefragt werden.

Welche Empfehlungen würden Sie – vor dem Hintergrund Ihrer gesammelten Erfahrungen – Initiatoren von Beteiligungsprozessen auf den Weg geben?

Das hängt sehr stark vom jeweiligen Anspruch und Format ab. Eine grundsätzliche Erkenntnis ist aber, dass die Beteiligung von Bürgern nur dann funktioniert, wenn sie ernstgemeint ist und nicht nur als Feigenblatt dient. Wenn Bürger eingeladen werden, mitzumachen, dann müssen sie auch mitentscheiden dürfen oder es muss sich sehr ernsthaft und nachvollziehbar mit ihren Ergebnissen auseinandergesetzt werden. Sonst passiert vielleicht das Gegenteil dessen, was Beteiligung will, und es geht weiteres Vertrauen verloren.

Welche Rolle sollte Journalismus aus Ihrer Sicht in einer beteiligungsorientierten Gesellschaft spielen? 

Dieselbe die Journalismus in jeder Gesellschaft spielen sollte: ein möglichst ehrlicher Vermittler von Information zu sein. Es ist wichtig, dass in Gesellschaften alle Mitglieder ungefähr wissen, wer die jeweils anderen sind, wie sie ticken und welche Probleme sie haben. Das müssen wir Journalisten ihnen zeigen. Wenn wir das gut machen, sind wir automatisch eine Plattform für eine gesellschaftliche Debatte und einen demokratischen Diskurs.

Was braucht eine lebendige Demokratie aus Ihrer Sicht am dringendsten?

Die Einsicht, dass der andere Recht haben könnte – und darauf aufbauend die Bereitschaft, wirklich zuzuhören. Also nicht nur so zu tun und dann die erstbeste Gelegenheit zu nutzen für eine Entgegnung, sondern tatsächlich der Versuch, das Argument des anderen zu verstehen. Bei der ZEIT, wo ich arbeite, machen wir diese Aktion „Deutschland Spricht“, bei der sich Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen treffen, um über diese Unterschiede zu reden. Eine der Erkenntnisse bisher ist, dass diese Unterschiede fast immer kleiner sind als angenommen. Dass, im Gegenteil, sich viele Menschen schnell einigen können auf zumindest einige Punkte. Im persönlichen Gespräch ist es leicht, das zu merken. Im großen gesellschaftlichen Diskurs gelingt uns das bisher gar nicht. Wir sollten daran arbeiten, das zu ändern.

Zur Person

Bastian Berbner ist Redakteur der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Seine Reportagen wurden unter anderem ausgezeichnet mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Deutschen Reporterpreis und dem Axel-Springer-Preis. Zuletzt sind von ihm das Buch „180 Grad – Geschichten gegen den Hass“ und der gleichnamige Podcast erschienen.