Corona bremst Beteiligung

Hoher Nachholbedarf und starker Digitalisierungsimpuls

Eine neue Studie des Berlin Institut für Partizipation belegt einen spürbaren Rückschlag für die Bürgerbeteiligung als Folge der Corona-Pandemie.

Am 27. Januar 2020 wurde der erste COVID-19-Infizierte in Deutschland ermittelt. Aufgrund der großen Ansteckungsgefahr und der Möglichkeit einer Überlastung des Gesundheitssystems wurden auf Basis von Expertenempfehlungen umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu verringern. Sie zielen insbesondere auf eine Minimierung sozialer Kontakte (Social Distancing) ab. Mehrfach wurden diese Maßnahmen verschärft, modifiziert und/oder gelockert.

2020: Vollbremsung in der Bürgerbeteiligung

Welche Auswirkungen diese Maßnahmen auf die Umsetzung der Bürgerbeteiligung in Deutschland haben und wie sich die politische Teilhabe möglicherweise aufgrund dieses Ereignisses verändern wird, stand im Fokus einer im Frühjahr 2020 durchgeführten Umfrage (Download-Link) des Berlin Instituts für Partizipation. Sie hatte zum Ziel, einen ersten, zeitnahen und dokumentativen Überblick bezüglich des Ist-Zustandes der Bürgerbeteiligung in Zeiten von Corona zu bieten und diesen mit Einschätzungen zu den langfristigen Auswirkungen sowie dauerhaften Veränderungen der Beteiligungslandschaft zu verknüpfen. Die Ergebnisse waren eindeutig:

Die Corona-Pandemie führte zu einer abrupten Unterbrechung laufender deliberativer Verfahren. Primär verantwortlich war dafür die politische Maßnahme des Social Distancing, die eine Minimierung persönlicher Kontakte erzwingt. Dies hatte nicht nur kurzzeitige Auswirkungen, sondern führte zu zahlreichen abgesagten, stark geschrumpften oder verschobenen Beteiligungsverfahren.

Das Herunterfahren der Beteiligung traf nahezu alle Anbieter von Beteiligungsverfahren in unterschiedlicher Intensität. Ein erheblicher Teil sah sich existenziell gefährdet. Die meisten Akteure befürchteten „Ein verlorenes Jahr“ für die Bürgerbeteiligung in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt waren dies jedoch lediglich Erwartungen.

2022: Neuaufstellung nach Beteiligungslücke

Ein Jahr nach der ersten Umfrage wurde die Umfrage deshalb mit derselben Zielgruppe wiederholt (Download-Link). Ziel war es, zu ermitteln, welche zunächst artikulierten Befürchtungen und Erwartungen tatsächlich eingetreten sind, inwiefern sich die unterschiedlichen Akteursgruppen mit den Einschränkungen arrangieren konnten und welche gegebenenfalls langfristigen Veränderungen sich in der Praxis abzeichnen.

Drei Zentrale Botschaften

Tatsächlich waren viele Befürchtungen eingetreten. Trotz intensiver Bemühungen und spontanen Versuchen, die Beteiligung im digitalen Raum abzubilden, gelang dies nur in sehr beschränktem Umfang. Die drei zentralen Botschaften der beiden Studien lauten deshalb:

1. Es gibt eine deutliche Beteiligungslücke

Die übergreifende Auswertung der beiden Umfragen zeigt, dass die befürchtete Beteiligungslücke vielerorts Realität geworden ist. Diese ist dadurch entstanden, dass in der Frühphase der COVID-19-Pandemie aufgrund der Dominanz analoger Formate viele Beteiligungsangebote wegfielen und digitale Alternativen nicht flächendeckend verfügbar waren. Mit einem Jahr Abstand wird zudem deutlich, dass Nachholeffekte entfallener Beteiligungsprozesse nur teilweise auszumachen sind.

2. Es gibt einen starken Digitalisierungsimpuls

Die vergangenen zwei Jahre haben sowohl zur Verbreitung als auch Nutzung digitaler Beteiligungsformen beigetragen. Letzteres hat die Entwicklung digitaler Kompetenzen und Routinen bei vielen Usern gefördert und die technische Ausstattung verbessert. Partizipationsdienstleister haben häufig ihr Portfolio um digitale Angebote erweitert und fungieren nun öfter als „Komplettanbieter“ von Beteiligungslösungen. Etliche Kommunen planen zudem zukünftig den Ausbau ihrer digitalen Beteiligungsstrukturen, sodass der virtuelle Raum auch nach Corona absehbar fester Bestandteil der deutschen Beteiligungslandschaft bleiben wird.

3. Analoge Beteiligung bleibt wichtig

Die gewonnenen Erfahrungen im Umgang mit digitalen Beteiligungsformaten und -tools haben jedoch nicht dazu geführt, analoge Partizipation geringzuschätzen. Vielfach wurden zwar ursprünglich analog geplante Beteiligungsverfahren digital umgesetzt. Die überwiegende Mehrheit der Befragten sieht jedoch digitale und analoge Partizipation auch zukünftig nicht als gleichwertig an. Eine grobe Unterteilung lautet dabei wie folgt: Digitale Formate überzeugen vor allem, wenn es um die asynchrone, transparente Informationsbereitstellung und -vermittlung im Rahmen strukturierter Formate zu fixierten Themen geht. Analoge Formate haben ihre Stärken in Kontexten, bei denen vertiefender, dialogischer Austausch und Vertrauensbildung im Vordergrund stehen.

Kostenloser Download der neuen Studie

Die im März 2022 erschienene zweite Studie weist die entstandene Beteiligungslücke ebenso wie starke Digitalisierungsimpulse nach. Sie enthält konkrete Empfehlungen zur Beteiligung im digitalen Zeitalter.

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