Vom Schulhof zum Wahllokal

Bei vielen Kindern und Jugendlichen besteht großes Interesse, sich mehr in ihrem näheren Umfeld zu engagieren. Allerdings wissen sie oft nicht, wie sie das bewerkstelligen können. 44 Prozent der Kinder sind nicht einmal klar, dass sie Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben. In einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes e. V. von 2012 kam heraus, dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen sich vor allem in den Bereichen Freizeitgestaltung und Schule einbringen möchte. Auf die Frage „Wie gerne würdest du bei wichtigen Dingen, die dich betreffen, an eurer Schule mitbestimmen?“ antworteten 55 Prozent der 744 befragten Schülerinnen und Schüler mit ‚gerne‘ bzw. ’sehr gerne‘.
Die Studie kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass sich (nur) die Hälfte der Kinder und Jugendlichen gerne politisch engagieren würde. Damit das große Wissensdefizit über Teilhabemöglichkeiten verringert wird und sich noch mehr von ihnen eine Beteiligung vorstellen können, hat sich in den letzten Jahren einiges getan.
Gerade in Schulen können Beteiligungsmaßnahmen besonders erfolgreich sein, auch über den Verfahrenszeitraum hinaus. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Schülerhaushalte. Die Idee dazu stammt ebenso wie die der Bürgerhaushalte aus Brasilien. 2012 wurde das Verfahren in Deutschland erstmals unter Anleitung der Bertelsmann Stiftung an vier Schulen durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler konnten jeweils über die Verwendung von 7.000 Euro abstimmen. Zahlreiche Vorschläge wurden eingereicht und die mit den meisten Stimmen umgesetzt.
Seitdem werden an immer mehr Schulen und auch in Kommunen solche Schülerhaushalte erfolgreich durchgeführt. Grundvoraussetzung ist natürlich ein gewisses Budget, über das verfügt werden kann. Damit aber grundsätzlich jede Schule von dem Beteiligungsverfahren Gebrauch machen kann, hat die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Servicestelle Jugendbeteiligung e.V die Plattform SchülerHaushalt eingerichtet. Sie dient Interessenten als kostenlose Anlaufstelle, die sie bei der Umsetzung und Dokumentation des Haushalts unterstützt. Neben Materialien für die Durchführung finden sich dort auch genaue Beschreibungen von vergangenen und laufenden Schülerhaushalten in Deutschland und Österreich. So wird ein hohes Maß an Transparenz gewährleistet.
Am Ende geht es um mehr als die Anschaffung von Spinden, Tablets und Co.Die anfallenden Verfahrenskosten belaufen sich auf nicht einmal 300 Euro und der Nutzen ist immens. Die Schülerinnen und Schüler machen die Erfahrung, dass ihre Meinung erwünscht ist und ihr Engagement sich nicht im Sande verliert, sondern Früchte trägt. Am Ende geht es um mehr als die Anschaffung von Spinden, Tablets und Co. Die Schülerinnen und Schüler üben sich in Meinungsbildung und -äußerung, Kooperation, Organisation sowie Gestaltung ihrer Umgebung. Das kann Lust auf mehr machen – auf mehr Engagement außerhalb des Schulhofs, bestenfalls schon frühzeitig im politischen Bereich.
Literaturhinweise
Am Rande der Gesellschaft: Risiken sozialer Ausgrenzung. Verlag Barbara Budrich , Leverkusen, 2005, ISBN: 978-3938094938. | :
EriK - Entwicklung eines mehrstufigen Verfahrens der Risikokommunikation. Akademie für Technikfolgenabschätzung, Stuttgart, 2005. | :
Die Zukunft gemeinsam gestalten. Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung. Wien, 2005. | :
Regieren mit Mediation: Das Beteiligungsverfahren zur zukünftigen Entwicklung des Frankfurter Flughafens. VS Verlag, Wiesbaden , 2005. | :
Empowered Participation: Reinventing Urban Democracy. Princeton University Press, Princeton, 2004, ISBN: 9780691126081. | :
What can democratic participation mean today?. In: Political Theory, Bd. 30, Nr. 5, S. 677-701, 2002. | :
Legitimität durch Verfahren? Bedingungen semi-konventioneller Partizipation: eine qualitativ-empirische Studie am Beispiel von Fokusgruppen zum Thema »Lokaler Klimaschutz«. Roderer, Regensburg, 2002. | :
Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage. Votum, Münster, 1999, ISBN: 9783933158147. | :
Rationalität durch Partizipation? Das mehrstufige dialogische Verfahren als Antwort auf gesellschaftliche Differenzierung. In: Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft. Forum für interdisziplinäre Forschung, Bd. 17, 1996. | :
Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung. Beltz, Weinheim, 1995. | :