Digital by Design in Australia

Welcome to the digital future!

Im Gastbeitrag zeigt Robert Gerlit auf, was Deutschland in Bezug auf digitale staatliche Angebote von Australien lernen kann.

Australien ist weltweit bekannt für seine malerischen Strände, seine Kängurus und das spektakuläre Silvesterfeuerwerk in Sydney. Doch das Land glänzt zunehmend auch in einem weiteren Bereich: der Digitalisierung seiner Verwaltung. Mit ihrer Digital Government Strategy hat sich die australische Regierung das Ziel gesetzt, bis 2025 zu den drei führenden digitalen Regierungen der Welt zu gehören. Angesichts der jüngsten Fortschritte scheint dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt zu sein.

Australien als Vorbild für die Deutschland?

Australien zeichnet sich im E-Government Development Index der Vereinten Nationen durch einen siebten Platz bereits heute schon als eine der fortschrittlichsten E-Government-Nationen aus und überholt andere Spitzenreiter wie Estland oder Singapur. Noch eindrucksvoller ist die Positionierung Australiens im OECD Digital Government Index vom Januar 2024. Dort erreicht das Land den fünften Platz und geht in der Dimension „Digital by Design“ sogar als bestplatziertes Land hervor. Im E-Participation Index der Vereinten Nationen belegt Australien sogar den zweiten Platz, knapp hinter Japan. Besonders bemerkenswert ist die hohe Nutzung digitaler Verwaltungsservices: Laut Digital Citizen Report 2023 von Publicis Sapient nutzen bereits heute fast alle Australier (94 %) digitale Verwaltungsservices und sind mit dem Angebot überwiegend zufrieden. Die digitale Verwaltung ist in Australien kein fernes Zukunftsszenario mehr, sondern ein fester Bestandteil des Alltags.

Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland mit Platz 32 im E-Participation und Platz 22 im E-Government Development Index eine hintere Position ein. Die Nutzungsquote digitaler Verwaltungsservices liegt bei  54 %, was hinter dem Vergleichswert Australiens sowie anderer Länder wie Österreich und der Schweiz liegt. Besonders Online-Beteiligungsverfahren wie der Bürgerhaushalt stehen aufgrund regelmäßig als gering empfundener Beteiligungsraten in der Kritik. Der Staat gilt als überfordert, bürokratisch, als Arbeitgeber für IT-Nachwuchskräfte weitestgehend unattraktiv und seine Digitalisierungsbemühungen als unzureichend. Der angekündigte digitale Aufbruch ist bislang ausgeblieben.

Angesichts der langsamen Fortschritte bei der Digitalisierung der deutschen Verwaltung richten Bund und Länder ihren Blick zunehmend auf internationale Vorbilder. Die Erfolge Australiens bieten daher eine wertvolle Perspektive, um zu prüfen, inwieweit Deutschland von diesen Entwicklungen lernen und profitieren kann.

Digital by Design: eGovernment und ePartizipation als neue Normalität.

ABC News Radio Sydney informierte kürzlich über einen bald endenden Beteiligungsprozess und erklärte, unter welcher URL ihre Hörer noch kurzfristig Beiträge einreichen können. Gleichzeitig thematisierte ABC News Australia die Risiken der UV-Strahlung und zeigte in einem Screenshot auf seiner Website, wie man in der staatlichen Wetter-App den aktuellen UV-Wert ablesen kann. QR-Codes auf Spielplätzen in Sydney laden dazu ein, der Stadtverwaltung über eine mobile Website Feedback zu geben. Und auf 9News schilderte ein Journalist seine eigenen Erfahrungen mit dem digitalen Führerschein und schließt begeistert mit den Worten: „I can tell you that the digital future is here, and it’s fantastic.“

In Australien wird der persönliche Behördengang immer häufiger durch einen Online-Verwaltungsservice ersetzt. Die Beispiele zeigen jedoch, dass Verwaltungsservices im Alltag der Australier*innen nicht auch digital sind, sie sind digital. Das mag verwirrend klingen, ist aber ein einfach zu erklärendes Muster: Der Ansatz „digital by design“ betrachtet Digitalisierung nicht als Zusatz, Ergänzung oder womöglich als Experiment, sondern als integralen Bestandteil der öffentlichen Verwaltung, ihrer Prozesse und Dienstleistungen. Digitale Technologien sind fest in den Alltag der australischen Bevölkerung integriert. Sie werden, wie etwa das Online-Beteiligungsportal, den Bürger*innen nicht als Option angeboten, sondern gelten als primärer und bevorzugter Weg, um mit einer modernen, dynamischen und bürgernahen Verwaltung zu interagieren.

Digital by Design erfordert mehr als nur (mehr) Werbung

Eine stärkere Fokussierung auf Marketingaktivitäten wird häufig als Schlüssel zur Steigerung der Nutzungsraten von eGovernment- und eParticipation-Diensten angesehen. Obwohl Befragungen zeigen, dass ein geringer Bekanntheitsgrad von digitalen Partizipationsmöglichkeiten ein häufiges Hindernis ist, ist dies nur eine von vielen Herausforderungen. Entscheidend ist vielmehr, dass Online-Services und -Beteiligungsverfahren dauerhaft angeboten werden. Ein Beispiel für einen nachhaltig implementierten Ansatz ist der Stuttgarter Bürgerhaushalt. Die digitale Beteiligungsplattform ist zu einem festen und verlässlichen Bestandteil des demokratischen Prozesses geworden. Dies wurde durch eine effiziente, intensive und langfristige Kommunikation und Interaktion erreicht, z. B. durch regelmäßige Presseberichterstattung. Die Bürger*innen haben sich daran gewöhnt und es eingeübt.

Allerdings reicht es nicht aus, einen Verwaltungsservice oder ein Beteiligungsverfahren lediglich online oder mobil anzubieten und zu bewerben, um hohe Beteiligungsquoten und Zufriedenheit zu erreichen. Entscheidend sind auch Benutzerfreundlichkeit, intuitive Bedienung, ansprechendes Design sowie regelmäßige Überprüfungen, ob die Angebote den Bedürfnissen und Erwartungen der Zielgruppen entsprechen. Für diese Aufgabe sind Evaluationen und Befragungen von Nutzer*innen und Nicht-Nutzer*innen sowie individuelles Feedback erforderlich. Dashboards, die lediglich die bestbewerteten Angebote aufzählen und damit lediglich einem Marketingzweck dienen dürften, erfüllen diesen Anspruch nicht. Das Performance-Dashboard des Bundesstaates New South Wales in Australien bietet dagegen Einblicke in die Nutzung und Zufriedenheit mit allen digitalen Lizenzen. Es liefert somit auch Detailinformationen über Anwendungen, bei denen die Nutzer unzufrieden sind. Es ist wichtig, dieses Feedback der Bürger*innen richtig auszuwerten und sicherzustellen, dass es die Weiterentwicklung der Angebote beeinflusst. Zudem könnten weitere kollaborative Formen der Bürgerbeteiligung an der weiteren Gestaltung digitaler Anwendungen in Betracht gezogen werden, wie z. B. die Teilnahme an Digitallaboren oder die gemeinsame Entwicklung von Open-Source-Software.

Realität statt Rhetorik

In den vorgestellten australischen Beispielen für die Berichterstattung über das bevorstehende Ende einer Bürgerbeteiligungsphase und anderen Online-Verwaltungsservices stehen funktionierende Anwendungen und die praktische Umsetzung digitaler Technologien im Vordergrund. Der australische Ansatz unterscheidet sich von dem deutschen insbesondere dadurch, dass er weniger Gewicht auf Digitalstrategien, geplante Investitionssummen und anderweitige Ankündigungen legt und auch polarisierende Debatten über Nachteile, Risiken und Gefahren der Digitalisierung weitgehend vermeidet. Er präsentiert sich zunehmend realitätsbezogen, positiv, pragmatisch, lösungsorientiert und konstruktiv.

Fazit: Lernen von down under.

Australien zeigt, dass für eine erfolgreiche digitale Transformation und effiziente Staatsmodernisierung ein umfassender Kulturwandel erforderlich ist. Dieser sollte digitale Services als Hauptkommunikationsweg zwischen Bürger*innen und Verwaltung etablieren und den Zweck und Nutzen in den Vordergrund stellen. Für die meisten Bürger*innen ist entscheidend, welchen konkreten Beitrag und Mehrwert digitale Lösungen zur Verbesserung ihres Lebens leisten können. Hierfür braucht es verlässliche und nachhaltig verfügbare Lösungen, die sich stets an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Die Digitalisierung sollte dabei nicht nur als Technologie betrachtet werden, die den Zugang zu alternativen digitalen Räumen eröffnet, sondern als kultureller Bestandteil, der echte Chancen bietet und zu einer Lebensweise werden kann.

Über den Autor

Dr. Robert Gerlit ist Informatiker und Staatswissenschaftler und hat seit 2022 seinen Lebensmittelpunkt in Sydney, Australien. Als Remote-Dozent lehrt er im Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement an der Hochschule Landshut. Parallel befindet er sich in Elternzeit von seiner Rolle als stellvertretender Referatsleiter in der Abteilung für Innovative Verwaltung im Bayerischen Staatsministerium für Digitales. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Technischen Universität München (TUM), wo er zum Thema Digitale Verwaltung geforscht und im Kontext von Open Government promoviert hat.