Rolle von Vertrauen

Was bewirkt ein Vertrauensverlust in die Demokratie auf der kommunalen Ebene? Einen Einblick in das Phänomen und die resultierenden Effekte gibt eine Ausgabe der Zeitschrift des vhw.

Foto: Anemone123 via Pixabay.

Viele Menschen sorgen sich über die Situation der Demokratie in Deutschland. Sowohl Medien als auch wissenschaftliche Studien analysieren Vertrauensverluste in die politischen Institutionen. Die Auswirkungen hiervon betreffen auch die kommunale Ebene. In der Stadt- und Quartiersentwicklung stellen Bürger vermehrt Fragen nach der Legitimität von Vorhaben. Die regelmäßig erscheinende Zeitschrift des Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. beschäftigt sich in ihrer Ausgabe 06/19 mit der Bedeutung von Vertrauen im kommunalpolitischen Prozess. Eine Reihe namhafter Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des Vertrauensbegriffs und dessen Einfluss auf die partizipative Stadtentwicklung, wovon nachfolgend ausgewählte Punkte vorgestellt werden.

Theoretische Annäherung

Prof. Dr. Ulrike Gerhard und Judith Keller thematisieren in ihrem Beitrag, dass die Öffentlichkeit den Begriff oftmals nur diffus verwendet. Um der Diskussion als Analyseinstrument nützlich zu sein, müsse die Wissenschaft diesen daher zunächst theoretisch herleiten und einordnen. Das Verständnis der beiden Autoren folgt dabei dem Soziologen Niklas Luhmann. Dieser geht davon aus, dass Vertrauen die gesellschaftliche Komplexität reduzieren könne. Mit Ver- oder Misstrauen bauen Menschen eine Erwartungshaltung auf, mit der sie – auf einer interpersonellen oder systemische Ebene – die komplexe Gesellschaft strukturieren. Im Zuge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung nehme die Bedeutung der systemischen Ebene immer weiter zu. Im Kontext des demokratischen Vertrauensverlustes gesprochen: Die Bürger ver- oder misstrauen nicht mehr dem einzelnen Referenten, sondern der gesamten Verwaltungsebene.

Ein Blick in die demokratische Stadtgesellschaft

Michael Lobeck und Prof. Dr. Claus-C. Wiegandt schließen daran an und untersuchen die Frage nach einem gesunden Verhältnis von Ver- und Misstrauen in kommunaler Zusammenarbeit zwischen Politik und Gesellschaft. Die Autoren erachten Vertrauen als notwendige Bedingung für die Beziehung zwischen den lokalen Akteuren und somit für eine handlungsfähige Stadtentwicklungspolitik. Wenn das Misstrauen in die etablierten Institutionen steige, werden Projekte in einer Kommune oft trotz bereits nachgewiesener Gemeinnützigkeit nicht mehr mitgetragen. Die Erkenntnis, dass ein Interessenausgleich immer mit dem Abweichen vom eignen Idealstandpunkt einhergeht, lasse sich dann nicht mehr vermitteln. Im Ergebnis verlieren planerische Vorhaben leicht an Legitimität. Das stark erhöhte Bürgerengagement rund um viele (Groß-)Projekte, lässt diese Vermutung plausibel erscheinen. Als Beispiel nennen die Autoren Stuttgart 21 oder die Hamburger Olympiabewerbung.

Ursachen und Lösungen für das Misstrauen

Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, erläutert eine weitere Ursache des Problems wie folgt: „Die dominanten Kommunikationsformen und die Algorithmen in den Netzwerken bevorzugen Konflikt, Wut und Misstrauen. Sie mindern das Zutrauen zum Mitmenschen. Ihr Schaden resultiert weniger aus der kommunalpolitischen Debatte als aus der Veränderung auch lokaler Atmosphären durch allgemeine Debattenlagen“.

Vor diesem Hintergrund stellt Prof. Dr. Klaus Selle fest, dass sich die Qualität der analogen Verständigung von Menschen durch internetbasierte Kommunikation verändere. Daher sei auch ein Kurswechsel bei Kommunikationsprozessen rund um Stadtentwicklung notwendig. Dies bedeute für die Kommunen, Rahmenbedingungen von Beteiligung eindeutig zu kommunizieren, um falsche Erwartungshaltungen zu verhindern. Gleichzeitig müssten die Beteiligten Interessenpluralität und inhaltliche Komplexität in der Kommunikation zulassen. Weiterhin betonen Lobeck und Wiegandt die Notwendigkeit, dass die Kommune ein verlässliches Regelwerk erstellt. In Kombination mit transparenten Entscheidungsprozessen solle dieses einer gefühlten Ungleichbehandlung der Akteure vorbeugen. Hinsichtlich der Maßnahmen zur Schaffung eines Interessenausgleichs sollte „wahre Offenheit“ gegenüber allen Interessen herrschen.

Eine andere Perspektive auf die enttäuschten Erwartungen von Bürgern eröffnen Prof. Dr. Jürgen Baring und Prof. Dr. Gary. S. Schaal. Sie argumentieren, dass sich unterschiedliche Vertrauensdimensionen im politischen Alltag überlagerten, die nicht gleichzeitig einlösbar seien. Daher habe die Politik die vorrangige Aufgabe, die politische Bildung zu stärken. Hierdurch erleichtere man es den Menschen, die als unzulänglich erscheinenden demokratischen Prozesse besser zu verstehen und Ihre Erwartungen an den komplexen politischen Prozess anzupassen.

Vertrauen als Grundlage

Die Publikation zeigt eindrücklich die Wichtigkeit einer systematischen Befassung mit dem Vertrauensbegriff. Partizipation wohnt vor diesem Hintergrund eine Schlüsselrolle inne: Die stetige Einbindung der Menschen vor Ort in transparenten Verfahren kann zur Etablierung von Routinen beitragen, die allmählich eine lokale Beteiligungskultur entstehen lassen. Im Ergebnis entwickelt sich sukzessive ein vertrauensvolles Miteinander. Dies ist die Grundlage, um auch für die komplexen und polarisierten Fragestellungen unserer Zeit adäquate Lösungen zu finden.

Weiterführende Informationen zur vorgestellten Ausgabe finden Sie hier.

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Literaturhinweise

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Adrian Vatter; Claudia Alpiger

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Jennifer Schellhöh

Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung - die 'Alternative für Deutschland' auf dem Prüfstand Buchabschnitt

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Jörg Sommer (Hrsg.)

KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #2 Buch

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Patrick Léon Gross

Partizipation und Nachhaltigkeit - Warum wir die repräsentative Demokratie in Deutschland reformieren müssen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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