Regelwerk Bürgerbeteiligung

Ein Praxisbeispiel aus Mannheim

„Heute gibt es zahlreiche Kommunen, die Leitlinien zur Bürgerbeteiligung im Trialog zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung gemeinsam entwickelt haben. Mannheim hat sich entschlossen, einen etwas anderen Weg zu gehen“, sagt Peter Myrczik, Fachbereichsleiter „Demokratie und Strategie“ der Stadt Mannheim. Wie dieser aussieht und welche Erfahrungen dabei gesammelt wurden, verrät er im Interview mit bipar.

Foto: travis nobles via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC 2.0

Bei der Erstellung des Regelwerks Bürgerbeteiligung für Mannheim wurde ein mehrstufiges Verfahren gewählt. Zunächst waren nur Politik und Verwaltung an der Ausarbeitung beteiligt. Können Sie das Vorgehen kurz beschreiben und erläutern, warum Sie sich dafür entschieden haben, die Bürgerschaft zunächst nicht einzubinden?

Heute gibt es zahlreiche Kommunen, die Leitlinien zur Bürgerbeteiligung im Trialog zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung gemeinsam entwickelt haben. Mannheim hat sich entschlossen, einen etwas anderen Weg zu gehen. In unserer langen und umfangreichen Bürgerbeteiligungspraxis haben wir erkannt, wie wichtig es ist, dass der Gemeinderat und die Verwaltung ihre Rollen miteinander klären. Wer entscheidet zum Beispiel, bei welchen Vorhaben die Bürgerschaft beteiligt wird? Wie intensiv begleiten die Mitglieder des Gemeinderates die Bürgerbeteiligungsprozesse und welche Rolle haben sie dabei?

Unsere Erfahrung sagt uns, es ist wichtig, frühzeitig zwischen Verwaltung und Gemeinderat eine Verständigung zu erreichen, also einen Rahmen zu entwickeln, bevor die Bürgerschaft einbezogen wird. Damit wollten wir auch sicherstellen, dass die Bürgerschaft nicht losgelöst diskutiert, wie sie Bürgerbeteiligung in Mannheim entwickeln möchte, und dann Verwaltung und Politik sagen „so haben wir uns das nicht vorgestellt.“

Also haben wir vorgeschlagen, zunächst ganz bewusst eine politische Positionierung zur Bürgerbeteiligung in Mannheim und den jeweiligen Rollen und Aufgaben zu erarbeiten.

Uns war es außerdem wichtig, dass Ergebnisse von Bürgerbeteiligungsprozessen anschlussfähig an die Beratungen und Entscheidungen des Gemeinderates sind. Deshalb haben wir zunächst die jeweiligen Rollen und Übergabe-Stellen genau betrachtet. Die Erprobung und Einbeziehung der Bürgerschaft im Anschluss konnte nach unserer Erfahrung dadurch zielgerichteter und schneller stattfinden.

Im zweiten Schritt wird das Regelwerk in einer Pilotphase getestet. Welche Bedeutung und Rolle kommt diesem Verfahrensbaustein zu und was wird mit den Ergebnissen passieren?

Gerade weil das Regelwerk in einem ersten Schritt zwischen Verwaltung und Gemeinderat entwickelt wurde, war die Pilotphase sehr entscheidend. Denn wir wussten ja nicht: wie funktioniert das, was wir gemeinsam entwickelt und erarbeitet haben, in der Praxis? Sind die Qualitätsstandards die richtigen, helfen die neuen Angebote und Maßnahmen allen Beteiligten, ihre Rollen und Aufgaben besser und sicherer wahrzunehmen?

Wir haben das Regelwerk auch ganz bewusst noch nicht „final“ vom Gemeinderat beschließen lassen. Denn es war ja nicht fertig, sondern ein zwar sehr detailliert formuliertes Handbuch, aber letztlich eben doch ein erster Entwurf, der gemeinsam mit der Bürgerschaft in einer Pilotphase von Mai 2017 bis Ende 2018 weiterentwickelt wurde. In diesem Zeitraum hatten die Bürger*innen an unterschiedlichen Stellen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Ideen zur zukünftigen Ausgestaltung von Bürgerbeteiligung in Mannheim einzubringen und die Umsetzung des Regelwerks mitzugestalten. Einige der Angebote wurden stadtweit eingeführt, wie das Beteiligungsportal oder die Vorhabenliste. Andere Angebote und Maßnahmen wurden in Beispielprozessen getestet. Und das war mit das Wichtigste: alle miteinander haben wir das Regelwerk in der unmittelbaren Umsetzung erlebt und oft direkt im Austausch miteinander optimiert.

All die Rückmeldungen und Erkenntnisse werden im Rahmen der Evaluation der Pilotphase durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung berücksichtigt. Und erst nach der Evaluation können wir dem Gemeinderat empfehlen, wie wir mit dem Regelwerk zukünftig umgehen wollen, wie wir es anpassen und weiterentwickeln müssen. Geplant ist, dass das Regelwerk im Frühjahr 2019 vom Gemeinderat beraten und beschlossen wird.

Es wird viel diskutiert, wie eine gute Beteiligungskultur aussieht und welche Merkmale sie ausmacht. Wie ist mit Blick auf das Mannheimer Regelwerk Bürgerbeteiligung Ihre Einschätzung diesbezüglich?

Das Regelwerk enthält natürlich viele wichtige Elemente, die Grundlage für eine Beteiligungskultur in Mannheim sind. Die formulierten Qualitätsstandards wie Transparenz, Fairness etc. zum Beispiel. Oder eine klar formulierte Beschreibung von Rollen und Aufgaben, damit jeder seinen Beitrag kennt.

Ein wichtiges Merkmal unserer Beteiligungskultur in Mannheim ist, dass die Dinge im Dialog weiterentwickelt werden, dass wir miteinander reden. Das bezieht sich zum einen auf das Regelwerk als Produkt, dass kontinuierlicher Gesprächsgegenstand sein und sich ständig fortentwickeln wird. Das betrifft aber auch unsere Beteiligungsprozesse, die wir gemeinsam mit den Akteuren vor Ort und der Bürgerschaft bereits planen wollen. Dass wir also miteinander darüber reden, wie wir Mannheim gemeinsam gestalten wollen.

Die Funktion des kontinuierlichen Reflektierens der Mannheimer Bürgerbeteiligung wird durch den Beteiligungsbeirat wahrgenommen. Wir wollen hierzu den Beirat im Jahr 2019 um die Gruppe der Bürgerschaft erweitern. Die Einzelheiten dazu diskutieren wir gerade und arbeiten sie dann zusammen mit der Politik aus.

Das Gleiche gilt für das Kommunizieren des Themas Bürgerbeteiligung in die Verwaltung. Teil unserer Beteiligungskultur ist es nicht nur, mit dem Regelwerk eine Grundlage für die Arbeit der Verwaltung geschaffen zu haben, sondern auch bei der Umsetzung zu unterstützen. Was brauchen die einzelnen Fachbereiche, um die Bürgerschaft einzubinden? Zu welchem Thema können wir Kompetenzen durch Fortbildungen verbessern, wo werden beispielsweise Checklisten gebraucht? Hilfreich sind dabei unsere regelmäßigen Vernetzungstreffen, mit denen wir auch für proaktive Haltung der Bürgerbeteiligung werben und damit die Beteiligungskultur innerhalb der Verwaltung sichern und beleben wollen.

Zur Person

Peter Myrczik verantwortet im Fachbereich „Demokratie und Strategie“ der Stadt Mannheim u. a. das Thema der Bürgerbeteiligung. Damit erarbeitete er von Anfang an das „Regelwerk Bürgerbeteiligung in Mannheim“ mit dem Beteiligungsbeirat.

 

Literaturhinweise

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

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Partizipation ermöglichen, Demokratie gestalten, Familien stärken Forschungsbericht

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KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3 Buch

Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Jörg Sommer, Bernd Marticke

Status quo und Potentiale der innerbetrieblichen Partizipation Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Jörg Sommer, Hans Hagedorn

Gute Beteiligungskultur – auf dem Weg zu einem praxisorientierten Qualitätsmanagement in der Bürgerbeteiligung Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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