Per App zu mehr Beteiligung?

Die Synthese von Beteiligung und Digitalisierung ist seit einigen Jahren verstärkt zu beobachten. Begriffe wie E-Government, E-Demokratie oder E-Partizipation haben Hochkonjunktur. Dabei entstehen im Internet ständig neue Angebote. Mit der Verbreitung von Smartphones haben sich zunehmend auch Tools etabliert, die Partizipation über mobile Endgeräte bzw. eine App erlauben. Ihre vielfältige Anwendbarkeit wird nachfolgend anhand von drei exemplarischen Fallbeispielen deutlich, die Versuche von städtischen und kommunalen Verwaltungen zeigen, Öffentlichkeitsbeteiligung auf digitalem Wege zu forcieren.
Per App die Bürger befragen
Jüngst hat die Stadt Tübingen ein Modellprojekt beschlossen, das 2018 realisiert werden soll. Es handelt sich um eine App, mit deren Hilfe die Tübinger über bestimmte Haushaltsentscheidungen abstimmen können. Die Abstimmungsergebnisse repräsentieren lediglich ein Meinungsbild und sind nicht verbindlich. Final entscheidet der Gemeinderat. Dadurch wolle man einer „Stimmungsdemokratie“ vorbeugen, so der Tübinger Oberbürgermeister. Bemerkenswert ist, dass Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr die Teilnahme möglich sein wird. Kritiker der Idee befürchten jedoch ein schiefes Stimmungsbild, denn ältere und behinderte Menschen würden ausgeschlossen werden. Laut Ingrid Fischer (CDU) bestünden hier noch „viele Gefahren„. Insbesondere, da zwar alle Interessierten mitmachen würden, nicht jedoch alle Bürger.
Bäume pflanzen vor der eigenen Haustür
Im Zuge des EU-geförderten Projektes „smarticipate„, bei dem es um die zukünftige Verzahnung von Bürgerbeteiligung und Smart Cities geht, gehört Hamburg neben London und Rom zu den Städten, die das Pilotvorhaben durchführen. Hamburg entwickelt dabei eine App, die es Bürgern ermöglicht, eigene Vorschläge hinsichtlich der Standorte neuer Stadtbäume einzureichen. Mit Hilfe einer 3D-Landschaft können Erlen und Eichen positioniert werden, so Nicole Schubbe vom Hamburger Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung. Die Ideen der Bürger werden mit den vorliegenden Daten der Stadt abgeglichen und umgehend in ein direktes Feedback gewandelt. Damit weiß der Nutzer, ob der ausgewählte Baum in Zukunft zu groß für diesen Standort sein wird, oder ob die Bodenverhältnisse zu schlecht für Bepflanzungen sind. So erhofft man sich eine Qualitätssteigerung der eingegangen Vorschläge. Im Sommer dieses Jahres soll der erste Prototyp der App getestet werden.
#HolDenOberbürgermeister
Heidelberger Bürger können seit Kurzem den Oberbürgermeister Eckart Würzner per App oder Homepage zu ihnen wichtigen Projekten und Initiativen einladen. Unter dem Motto #HolDenBürgermeister bzw. #GetTheMayor, können so der Bevölkerung am Herzen liegende aber in der Öffentlichkeit weniger beachtete Projekte unterstützt werden. Beim Besuch des Oberbürgermeisters diskutiert dieser dann gemeinsam mit den Anwesenden die jeweiligen Ideen und Möglichkeiten sowie das weitere mögliche Vorgehen. Drei Schritte sind dazu nötig. Zunächst findet eine offene Vorschlagphase statt, in der Anwohner Ideen und Projekte einbringen können. Gleich ob schulischer, kultureller oder sozialer Bereich, es sollen Vorschläge eingereicht werden, über die der Bürgermeister mehr erfahren sollte. In einem zweiten Schritt wird über die eingereichten Vorschläge abgestimmt. Dasjenige mit den meisten Stimmen erhält dann schließlich einen Besuch des Heidelberger OB. Folgendes Video vermittelt einen Eindruck vom Ablauf:
Die Ausführungen zeigen, dass der verstärkte Einsatz von mobilen Anwendungen in diversen Kontexten vielversprechend ist. Sowohl zur Stärkung des Dialogs zwischen Politik und Wählerschaft wie in Heidelberg und Tübingen als auch zur kommunalen Planung und Stadtgestaltung wohnen der Digitalisierung erhebliche Potenziale inne. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass hierbei auch neue Risiken ungleicher Partizipation entstehen können. Studien wie die ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 zeigen, dass die Smartphone-Nutzung der Altersgruppe ab 50 Jahren in den letzten Jahren zwar deutlich gestiegen ist, es jedoch immer noch eine erhebliche Kluft zwischen der jüngeren und älteren Generation gibt. So nutzten täglich etwa 86 Prozent aller 14-29 Jährigen ein Smartphone. Bei den 50-69 Jährigen sind es lediglich 31 Prozent.
Literaturhinweise
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