Partizipation will gelernt sein

Immer wieder kursiert der Vorwurf, dass in Deutschland eine unpolitische Jugend lebe. Der Beitrag gibt einen Einblick in die jüngsten Bestrebungen Baden-Württembergs, dies zu ändern.

Foto: Michael Panse via flickr.com, Lizenz: CC BY-ND 2.0

Kinder und Jugendliche haben ebenso wie Erwachsene das Recht, an politischen Entscheidungen teilzuhaben und mitzuwirken. Doch wann beginnt dieses Recht in Deutschland? Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB § 1) ist die Rechtsfähigkeit eines Menschen bereits nach der Geburt gegeben. Die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 12, Abs. 1) sichert Kindern freie Meinungsäußerungs- und Beteiligungsrechte zu. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass immer häufiger versucht wird, die junge Generation schon vor ihrer Volljährigkeit stärker für politische Teilhabeprozesse zu begeistern. Im baden-württembergischen Ulm hat nun der Aktionstag „Schule trifft Rathaus“ am 17. Januar 2017 Schüler*innen gezeigt, wie sie auf die Politik in ihrem direkten Umfeld Einfluss nehmen können.

Jugendbeteiligung formal verankert

Dem Aktionstag vorausgegangen war eine Gesetzesänderung der Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Seit Ende vergangenen Jahres ist dort die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen deutlich gestärkt worden. So heißt es im Gesetzestext in § 41a: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten.“

Die Stadt Ulm besitzt bereits seit 1993 ein Jugendparlament, das sogenannte JuPa. Dieses umfasst etwa 20 Mitglieder*innen und tagt alle zwei bis drei Monate gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Gunter Czischim im Sitzungssaal des Rathauses. Neben dem Ulmer JuPa will die Stadtregierung jedoch auch jüngere Kinder und Jugendliche zur aktiven Bürgerbeteiligung animieren. Durch die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) wurde deshalb der Aktionstag „Schule trifft Rathaus“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projektes konnten Zehntklässler*innen einer Realschule erfahren, welche Aufgaben in der kommunalen Politik gelöst werden müssen, welche Hürden und Schwierigkeiten es dabei gibt und wie sie sich selbst politisch stärker beteiligen können. Auch das JuPa war bei der Veranstaltung zugegen.

Träumen erlaubt

Bei der Veranstaltung wurden jedoch nicht nur Grundlagen der politischen Arbeit besprochen. Nachdem die Schüler*innen Informationen zu ihren Rechten und Pflichten bei Beteiligungsverfahren erhielten, hatten sie die Möglichkeit, ihren Ideen für ein schöneres Ulm freien Lauf zu lassen. Dabei haben sie nicht nur auf Mängel in der Infrastruktur und dem Freizeit- und Sportangebot in der Stadt hingewiesen, sondern auch Vorschläge für ihre persönliche Traumstadt vorgetragen. So wünscht sich beispielsweise einer der Jugendlichen eine Seilbahnverbindung zwischen Ulm und umliegenden Skigebieten. Bei rund 20 Kilometern Entfernung wird das wohl leider ein Traum bleiben.

Die Schülerinnen und Schüler äußerten sich aber auch zu stadt- und umweltpolitischen Themen. So nannten sie beispielsweise den Wunsch einer sauberen Müllentsorgung mittels unterirdischer Rohrpost – eine Methode, die in Finnland bereits Anwendung findet. Außerdem sorgten sich die Jugendlichen um den Bestand und Erhalt der historischen Ulmer Altstadt.

Die kurze Darstellung der behandelten Themen zeigt, wie vielschichtig und bewusst sich Jugendliche mit komplexen Themen wie städtischer Infrastrukturplanung auseinandersetzen können und wollen. Sie verdeutlicht auch, dass der Einbezug von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Diskursprozesse erstrebenswert ist, da ihre Perspektiven und ihr Kreativpotenzial unterstützend bei der Suche nach bestmöglichen und gesellschaftlich wünschenswerten Lösungen auf akute Probleme und gestalterische Herausforderungen wirken.

Echte Chance für echte Demokratie

Demokratie und Partizipation will gelernt sein. Politisches Interesse und Wissen um Partizipationsgrenzen und -möglichkeiten kommen nicht von ungefähr. Die vorgestellten Aktionstage und Beteiligungsformate bieten Heranwachsenden zum einen die Möglichkeit, Politik in der Praxis kennenzulernen. Zum anderen werden Beteiligungshürden aufgebrochen und politisches Interesse geweckt. Auf diese Weise können Jugendliche und junge Erwachsene schon früh politisiert und deren Gemeinwohlorientierung geschärft werden.

Die Aktionstage „Schule trifft Rathaus“ sollen noch bis Juni 2017 in weiteren Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg stattfinden. Die LpB führt ähnliche Aktionen zum Beispiel auch für die diesjährige Bundestagswahl durch.

Literaturhinweise

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Rationalität durch Partizipation? Das mehrstufige dialogische Verfahren als Antwort auf gesellschaftliche Differenzierung. In: Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft Zeitschrift

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