Partizipation für alle

Aktivierung beteiligungsferner Gruppen

So vielfältig wie die Möglichkeiten von Partizipationsprojekten sind, so zahlreich sind auch die Faktoren, die den Erfolg dieser Prozesse beeinflussen können. Ein zentrales Element ist dabei die Aktivierung und Einbeziehung aller relevanter Akteursgruppen.

Leonard Wolf (Open Knowledge Foundation Deutschland) via flickr, Lizenz: CC BY 2.0.

Dr. Frank Friesecke, STEG Stadtentwicklung GmbH in Stuttgart, erklärt in seinen Ausführungen zurAktivierung von beteiligungsschwachen Gruppen in der Stadt- und Quartiersentwicklung” warum Partizipation nur erfolgreich sein kann, wenn die Teilnehmerzusammensetzung stimmig ist. 

Verzerrungen in der Beteiligungsbasis

Werden in einem Projekt nicht explizit Maßnahmen ergriffen, um eine breite Öffentlichkeit einzubeziehen, beteiligen sich meist nur Gruppen, die starke persönliche Interessen in Bezug auf ein Vorhaben besitzen, so Friesecke. Um ein vollständiges Meinungsbild im Rahmen eines Projektes zu erhalten, ist die Förderung der Partizipation gesellschaftlich “leiserer” Gruppen daher wesentlich. Diese zeichnen sich laut Autor meist durch eine geringe sozioökonomische Ausstattung aus. Darüber hinaus beeinflussen Charakteristika wie Bildung, Sprache, Zu- und Vertrauen sowie ein positives Politikverständnis die Bereitschaft, sich an deliberativen Prozessen zu beteiligen. Als weniger beteiligungsaffin gelten dabei die Gruppen der “Jugendlichen” und “Migranten”.

Die Möglichkeit politischer Teilhabe kann bei jungen Menschen die eigene Entwicklung sowie die Sozialkompetenzen stärken und das gesellschaftliche Zusammenleben fördern. Zudem erweitern Jugendliche mit Ihrer Perspektive die Entscheidungsgrundlage in Verfahren. Gerade bei Projekten, die langfristige Wirkungen auf Betroffene ausüben, ist Ihre Einbindung geboten, da sie oft lange Zeit mit den Konsequenzen heutiger Weichenstellungen leben müssen. Dennoch gestaltet sich die Einbindung junger Menschen in Beteiligungsverfahren oft schwierig. Laut Friesecke liegt das vor allem an fehlender Zeit, unzureichender Motivation für lang andauernde Prozesse sowie einer ungeeigneten Ansprache.

Die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund ist häufig durch Faktoren wie sprachliche Barrieren aber auch “gefühlte” Hürden beeinflusst. Laut einer Studie des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. (VHW) führen Vertrauen und das Gefühl “sehr gut” durch die kommunale Politik vertreten zu werden zu einer höheren Beteiligung von zugewanderten Menschen bei Partizipationsprojekten.

Zu beachten ist der beschränkte Zugang zur Kommunalpolitik für Ausländer. Zwar dürfen zugewanderte Menschen mit einer Herkunft aus einem anderen EU-Staat an Wahlen auf dieser föderalen Ebene teilnehmen, für Personen anderer Herkunft gilt dies jedoch nicht. Für sie stellen deliberative Formate die vorrangige politische Möglichkeit dar, ihr Lebensumfeld aktiv mitzugestalten. Hier offenbart die Studie des VHW jedoch weitere Hürden: Ein Viertel der Befragten gab an, sich zwar grundsätzlich an Projekten beteiligen zu wollen, über diesbezügliche Möglichkeiten jedoch unzureichend informiert zu sein. Außerdem gab ein Fünftel der Migranten an, das Gefühl zu haben, bei Bürgerbeteiligungsverfahren nicht willkommen zu sein.

Friesecke fordert daher in seinem Text „attraktive Beteiligungsangebote, differenzierte Ansprache verschiedener Gruppen sowie niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten in allen Phasen des Prozesses“. Um dies in Bürgerbeteiligungsprojekten zu realisieren, schlägt er eine Reihe von Maßnahmen vor:

  • Auswahl von Methoden, die einen zwanglosen Austausch ermöglichen
  • Reduzierung von Zugangs- und Sprachbarrieren 
  • Beteiligungsmöglichkeiten zu unterschiedlichen Zeiten und an verschieden, gut erreichbaren Orten

Praxisbeispiele

Viele Kommunen haben diese Probleme erkannt. Sie bemühen sich, innovative und akteursgruppenorientierte Angebote zu machen und auf diese Weise die Beteiligungsbasis in ihrer Gemeinde zu verbreitern. Die folgenden zwei Beispiele zeigen exemplarisch die Vielfalt möglicher Lösungen:

Ein gelungenes Beispiel für die Beteiligung von Jugendlichen stellt das Stadtentwicklungskonzept für Holzgerlingen dar. Neben herkömmlichen Kommunikationskanälen wurden die sozialen Medien genutzt, um die Jugendlichen aktiv in die Stadtentwicklung einzubinden. In einem Kreativworkshop in jugendgerechter Sprache wurde über Projekte diskutiert, die zeitnah umsetzbar waren. Gerade für Jugendliche spielt die schnelle Sichtbarkeit der Ergebnisse eine bedeutende Rolle, um sie für weitere Prozesse zu gewinnen. Mit Hilfe eines Internetportals konnten sie von zu Hause aus Fragen stellen und nach Ende der Veranstaltung mit anderen Zielgruppen über die Ergebnisse online diskutieren. 

Die interkulturelle Planungswerkstatt zum Weltquartier, einem Modellprojekt für interkulturelles Wohnen in Hamburg, hat gezeigt, wie die Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund funktionieren kann. In einem Gebiet, in dem 30 verschiedene Nationen vertreten sind, wurde eine innovative Form der Beteiligung durchgeführt: Von Beginn an wurde das Projekt als mehrsprachiges Gemeinschaftserlebnis inszeniert. Der besondere Erfolg ist vor allem durch die direkten Dialoge mit den Bewohnern entstanden. Mehrsprachige Studierende der Uni Hamburg besuchten bis zu 200 Haushalte und konnten somit Zugangs- und Sprachbarrieren reduzieren und das Vertrauen vieler Menschen gewinnen. Auch bei weiteren Veranstaltungen, wie Ortsbegehungen und einem Aktionswochenende, standen die Studierenden als Ansprechpartner und Übersetzer zur Verfügung. Die Arbeit mit Fotos und Modellen erleichterte ebenfalls den sprachlichen Austausch der Teilnehmenden.

Literaturhinweise

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Robert Dahl

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In: Political Science Quarterly , Bd. 109, Nr. 1, S. 23-34, 1994.

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New Options for Participatory Democracy Buchabschnitt

In: Chiranji Yadav (Hrsg.): Perspectives in Urban Geography, City Planning: Administration and Participation, Concept Publishing Company, New Delhi, 1986.

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Theorie des Kommunikativen Handelns Buch

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1981.

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Friedrich Glasl

Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater Buch

Freies Geistesleben, Stuttgart, 1980, ISBN: 978-3-7725-2811-9.

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