Kunst des Konfliktmanagements

Ein Interview mit dem Partizipationsbeauftragten Hans Hagedorn

Im Interview spricht Hans Hagedorn über seine Rolle und Aufgaben als Partizipationsbeauftragter im Rahmen der Suche nach einem Endlagerstandort für hoch radioaktive Abfälle.

Foto: Pexels via pixabay.com

Herr Hagedorn, willkommen! Seit August sind Sie Partizipationsbeauftragter. Die wenigsten können sich darunter etwas vorstellen. Wie sieht Ihr Job ganz konkret aus?

Ich bin erst seit wenigen Wochen dabei und die Aufgaben werden sich bis 2031 und darüber hinaus laufend verändern. Mein Hauptjob wird immer sein, die jeweils aktuellen Konflikte zu analysieren. Zurzeit bedeutet das, die nicht immer einfache Zusammenarbeit zwischen BGE, BfE und NBG zu verstehen. Ab dem nächsten Jahr werden ganz neue Akteure dazukommen.

Und welche?

Mit der Benennung der Teilgebiete im nächsten Herbst werden sich zahlreiche Bürgerinitiativen bilden. Bürgermeister, Abgeordnete, Verbände werden sich positionieren. Es wird ein unübersichtliches Feld von Informationslücken, Protest und Interessenkonflikten geben.

Was glauben Sie – was sind dabei die größten Herausforderungen?

Bisher sind ja alle auch ohne mich einigermaßen zurechtgekommen. Das heißt, ich muss zunächst den Beweis antreten, dass meine Beratung auch einen Nutzen stiftet. Das ist für mich persönlich die größte Herausforderung.

Und wie schafft man das?

Hier sehe ich den fachlichen Teil meiner Arbeit. Es geht darum, jeden einzelnen Akteur dabei zu unterstützen, sich erfolgreich an diesem Partizipationsverfahren zu beteiligen. So dass die eigenen Interessen deutlich werden und eine faire Chance haben, bei der Standortauswahl berücksichtigt zu werden. Mein Job ähnelt in diesem Punkt ein bisschen dem eines Fußball-Bundestrainers.

Wie meinen Sie das?

Viele haben die Vorstellung, dass gute Beteiligung ganz einfach sei. Man müsse es halt nur so und so machen und dann wäre alles total fair und gerecht. Leider ist die Realität komplizierter, und es erfordert von allen Seiten ein gewisses Maß an Arbeit, sich zu verständigen. Dabei möchte ich alle Beteiligten unterstützen – auch wenn man das von der „Tribüne“ aus nicht sieht.

Schauen wir kurz auf Ihre Vita. Wie wird man eigentlich Partizipationsbeauftragter?

Ich habe Stadt- und Raumplanung studiert. Das ist die klassische Disziplin, in der unterschiedliche Interessen an einem Standort aufeinandertreffen und ein Ausgleich gefunden werden muss. Daher hat sich in diesem Fach schon in den 70er Jahren ein umfangreiches Methodenwissen entwickelt, wie Beteiligte mit unterschiedlicher Durchsetzungskraft miteinander reden können.

Und warum ist aus Ihnen kein Stadtplaner geworden?

Ich bin ein Stadtplaner. Aber keiner, der Pläne am grünen Tisch zeichnet. Sondern jemand, der den Beteiligten hilft, ihre unterschiedlichen Interessen verständlich zu machen. So dass am Ende eine gemeinsam getragene Lösung steht.

Das heißt, Partizipation hat Sie von Anfang an interessiert?

Ja, ich habe immer in Beratungsunternehmen gearbeitet, wo wir als Dienstleister Beteiligung organisiert haben. Dabei habe ich mich vor allem auf das damals noch neue Feld der Online-Beteiligung spezialisiert und zwei Unternehmen in dem Bereich aufgebaut.

Was waren dabei die größten Hürden?

Als Dienstleister steht man dabei oft vor der Herausforderung, dass Auftraggeber ein schönes, buntes Beteiligungsformat organisiert haben wollen. Aber auf die Frage „Was machen sie mit den Ergebnissen?“ haben sie oft keine gute Antwort. Dadurch bin ich immer stärker in die konzeptionelle Beratung im Vorfeld der Beteiligung eingestiegen.

Gibt es bestimmte Eigenschaften, die man in diesem Job unbedingt mitbringen sollte?

Es gibt Erzählungen aus meiner frühen Jugend, dass ich öfter Streitigkeiten zwischen meinen Mitschülern geschlichtet hätte. Wenn man so etwas gerne macht und dabei die Fähigkeit entwickelt, sich in andere hineinzuversetzen, schadet das nicht.

Und was noch?

Frustrationstoleranz. Sie glauben nicht, wieviel halb-gute Beteiligung sie ertragen müssen, um manchmal auch ein wirklich gutes Projekt zu realisieren.

Was hat Sie an der Stelle des Partizipationsbeauftragten gereizt?

Offen Probleme ansprechen zu können, und zwar in einem Organisationsumfeld, das letztlich über Hierarchien funktioniert. Und in dem abweichende Meinungen nicht immer gerne gesehen sind.

Die Endlagersuche ist ein vielschichtiger Prozess – mit vielen Akteuren und Aufgaben. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) ist die federführende Behörde, die die Öffentlichkeitsbeteiligung stemmen soll. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ist für das operative Geschäft zuständig. Das Nationale Begleitgremium (NBG) soll den Suchprozess vermittelnd und unabhängig begleiten. Da können schon mal viele Meinungen aufeinanderprallen. Wie verorten Sie sich in diesem Geflecht?

Diese Beschreibung umfasst ja zunächst einmal nur das Dreieck aus BfE, BGE und NBG, in dem die zentrale Fachdebatte geführt wird. Aber was machen wir, wenn eine der möglichen Standortregionen sich dieser Debatte komplett verweigert?

Darauf habe ich heute auch noch keine Antwort, aber es wäre gut jemanden zu haben, der solche Blockadesituationen neutral analysieren kann.

Welche Rolle kommt dabei besonders dem NBG zu?

Das Nationale Begleitgremium hat ja den Auftrag, das Allgemeinwohl zu vertreten – was als Aufgabe schwer zu fassen ist. Während das NBG auch eindeutig Position beziehen kann, muss der Partizipationsbeauftragte sich in Konflikten neutral verhalten.

Können Sie das vielleicht an einem Beispiel deutlich machen?

Klar! Darüber habe ich in der letzten NBG-Sitzung schon gesprochen. Das NBG äußert seit Längerem deutliche Kritik an der Art und Weise, wie das BfE seine Öffentlichkeitsbeteiligung organisiert.

„Es wird zwar informiert, aber nicht wirklich auf Augenhöhe beteiligt“, so die Kritik des Gremiums.

Unabhängig davon, wie ich fachlich diesen Streit bewerte, steht für mich im Vordergrund, dass sowohl BfE als auch NBG gute Gründe für ihr Handeln haben. Ich nehme z. B. beim BfE wahr, dass sie eine starke Verantwortung für das Gelingen des Verfahrens tragen. Sie wollen, dass Zeitpläne und gesetzliche Vorgaben eingehalten werden. Das NBG legt wiederum einen stärkeren Wert darauf, dass das Standortauswahlverfahren von vielen mitgestaltet wird, damit es als faires Verfahren wahrgenommen wird – und erst dadurch gelingen kann.

Und wie kann da ein Partizipationsbeauftragter vermitteln?

Ich will versuchen, diese beiden Interessen gegenseitig verständlich zu machen, so dass nicht ich, sondern die beiden Konfliktparteien eine Lösung finden können.

Die Position des Partizipationsbeauftragten wurde von der Endlagerkommission explizit im Standortauswahlgesetz verankert. Warum eigentlich?

Vielleicht war es die Erfahrung, dass auch die Konflikte und Kompromisse in der Kommission durch Vermittler benannt und angestoßen werden mussten. Dadurch wurde deutlich, dass solch eine Funktion auch im Standortauswahlverfahren sinnvoll sein kann.

Sie selbst haben als Gutachter für die Kommission gearbeitet. Es gibt auch kritische Gegenstimmen, die Ihnen Befangenheit und fehlende Neutralität vorwerfen. Was sagen Sie dazu?

Neutral ist in dieser Diskussion niemand, der in den letzten 40 Jahren am Weltgeschehen interessiert war. Es geht vielmehr darum, sich neutral zu verhalten.

Neutral sein und neutral verhalten – wo liegt da der Unterschied?

Selbstverständlich habe ich als mitdenkender Mensch Präferenzen und Meinungen. Diese aber in meiner Arbeit nicht in der Vordergrund zu stellen, sondern allen Beteiligten einen angemessenen Raum zu geben – das ist die Kunst des Konfliktmanagements. Dass dies aber nicht immer gelingt, ist auch klar. Ich bin da offen und dankbar für jede Kritik.

Das Thema Endlagersuche ist hoch emotional und erhitzt die Gemüter. In der Vergangenheit wurde durch die Politik viel Vertrauen verspielt. Daher gibt es viel Misstrauen z. B. auf Seiten der Bürgerinitiativen. Wie kann man da wieder eine vertrauensvolle Basis schaffen?

Manche schlagen eine intensive Aufarbeitung der Vergangenheit vor. Das kann ein Element sein. Noch wichtiger ist, dass jetzt auf allen Seiten jüngere Menschen hinzukommen, die das neue Verfahren fair gestalten möchten. Und die können gemeinsam mit der älteren Generation und ihrer Erfahrung den Beweis antreten, dass so eine Mammutaufgabe wie die Endlagerung in einer liberalen Demokratie zu lösen ist. Wir haben da eine Verantwortung, die über unsere eigentliche Aufgabe hinausgeht.

Noch findet das Thema Endlagersuche medial nicht wirklich statt. Im nächsten Jahr sollen die Teilgebiete für ein mögliches Endlager benannt werden. Spätestens dann wird das Thema jede Menge „normale Bürger*innen“ interessieren. Wie kann man ihre Sorgen und Bedenken in das Verfahren einbinden?

„Sorgen und Bedenken“ sind ja verbrannte Begriffe. Sie signalisieren, dass bestimmte Zweifel nicht ernst genommen werden. Im Standortauswahlverfahren wird dieser Zusammenhang umgedreht. Zweifel ist hier die Triebfeder für einen wissenschaftsbasierten Prozess, in dem die Öffentlichkeit qualifizierte Nachprüfungen einfordern kann.

Oft wird davon gesprochen, dass die Endlagersuche zwar auf eine politische Mehrheit fußt, der gesellschaftliche Konsens aber noch erarbeitet werden muss. Ist das überhaupt möglich? Ist es nicht illusorisch zu glauben, dass Menschen Verständnis dafür aufbringen könnten, wenn in ihrer Nähe ein Endlager gebaut wird?

Ich habe in den letzten Jahren miterlebt, dass viele Personen die Endlagersuche mit großer Ernsthaftigkeit betreiben. Ich sehe, wie man um Gesteinsarten und Bauweisen ringt. Das gibt mir das subjektive Gefühl, dass ein Endlager 800 Meter unter meinem Garten für mich kein Weltuntergang wäre.

Aber das werden wohl nicht alle so sehen?

Nein, aber da hilft uns auch die Langfristigkeit des Projekts. Standortsuche, Planung, Genehmigung und Bau des Endlagers werden viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Das gibt der Gesellschaft die Chance, einen fairen Umgang mit der Verteilung der Lasten zu finden.

Wagen wir das Unmögliche und blicken in die Zukunft. 2031 soll ein Endlager gefunden sein. Sie haben als Partizipationsbeauftragter einen Wunsch frei. Was wäre das?

Allein die Jahreszahl – 2031 – ist ja schon hochumstritten. Aber ja, wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann würde ich gerne später einmal zurückblicken und erkennen: Das Verfahren ist völlig anders verlaufen, als wir es damals im Standortauswahlgesetz vorgesehen hatten. Aber wir konnten eine Lösung für die langfristige Lagerung der hochradioaktiven Abfälle finden – und zwar weil wir ständig dazugelernt haben.

Das Interview erschien ursprünglich auf der Seite des Nationalen Begleitgremiums und wurde von Aygül Cizmecioglu geführt. Die Veröffentlichung auf bipar.de geschieht mit freundlicher Genehmigung der Geschäftsstelle.

Zur Person

Hans Hagedorn arbeitet seit 18 Jahren im Feld der Bürgerbeteiligung und hat zwei Unternehmen im Bereich der Online-Partizipation aufgebaut. In seinen Projekten für öffentliche Auftraggeber hat er Dialoge in der Stadtplanung, Bürgerhaushalte und bundesweite Diskurse konzipiert und umgesetzt. 2015 und 2016 hat er die Endlagerkommission durch Koordination der Beteiligungsformate und durch gutachterliche Zuarbeit unterstützt. Seit August 2019 begleitet er als Partizipationsbeauftragter das Endlagersuchverfahren, das einen Standort zur Lagerung der hochradioaktiven Abfallstoffe in Deutschland ermitteln wird. 

Literaturhinweise

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Partizipation ermöglichen, Demokratie gestalten, Familien stärken Forschungsbericht

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KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3 Buch

Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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