Interviewreihe: Meinungen zur Endlagerkommission (5)

Foto: stevebustin via Flickr.com, Lizenz: CC BY-ND 2.0

Auf Basis des Standortauswahlgesetzes erarbeitet seit nun mehr knapp zwei Jahren die Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ einen Empfehlungsbericht für die Legislative, wie ein Suchverfahren für einen nationalen Endlagerstandort für hoch radioaktive Abfälle gestaltet werden könnte. Dazu fand am letzten Aprilwochenende eine zweitägige Bürgerkonsultation statt, über die der Bblog an anderer Stelle berichtet hat. Zudem widmet sich die aktuelle Ausgabe von ginkgo.tv der Veranstaltung in Form von Ablauf-Impressionen.

Prof. Dr. Schluchter – früherer Lehrstuhlinhaber an der BTU Cottbus und Entwickler des Triplex Konzepts für Partizipation – hat im Rahmen der Veranstaltung Interviews sowohl mit anwesenden Kommissionsmitgliedern als auch interessierten Bürgerinnen und Bürgern geführt, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten und in einer Reihe von Blogbeiträgen in den nächsten Tagen in der Rubrik Praxis veröffentlichen. Um Ihnen einen unvoreingenommen Eindruck von der Vielschichtigkeit der Teilnehmermeinungen zu erlauben, verzichten wir dabei auf jede Kommentierung und inhaltliche Einordnung.


Interview: Kommissionsmitglied

Was ist Ihre Meinung über den bisherigen Verlauf der Kommissionsarbeit bis zum heutigen Tag? Sind denn Ihrer Meinung nach die gesteckten Ziele erreicht worden?

Erreicht worden ist, dass wir jetzt noch eine bessere Vorstellung von der komplexen Problematik haben, mit der wir es zu tun haben. Es konnte nicht alles gelöst werden. Mit dem Wissen, das wir erworben haben, hat sich wieder neues Unwissen eingestellt, so wie das eben ist. Meine Erwartung ist, dass die Kommissionsarbeit nicht umsonst war, auch wenn wir nur Probleme gefunden haben, müssen die jetzt einer Lösung zugeführt werden. Und das auf vielen Feldern. Die technische Frage steht natürlich in erster Linie an, aber die Frage, wie wir die Gesellschaft dazu bewegen, sich dieser Problematik zu widmen und wie das Lagerdenken aufgegeben werden kann, ist für mich ein vordringliches Problem.

Das Aufbrechen des Lagerdenkens ist also für Sie eine wichtige Etappe zur Problemlösung?

Das wäre eine wichtige Etappe. Sie ist nicht erreicht. Ich muss gestehen, dass ich enttäuscht bin von den kritischen Akteuren, die ich im Vorfeld kannte und die ich geschätzt habe – und nach wie vor schätze. Aber ich hätte mir an dieser Stelle den Schritt von Verhinderungsmentalität, was jetzt örtliche Angelegenheiten angeht, zu einer gesellschaftlichen Lösungsmentalität schon gerne gewünscht.

Es gibt ja eine Erklärung der Anti-AKW-Gruppen, dass sie an der Veranstaltung nicht teilnehmen und deshalb auf dieser Ebene auch keine Stellung beziehen wollen. Sie sagen, das sei bedauerlich. Was muss denn getan werden, dass diese Gruppen einbezogen werden können? Wie geht man mit dieser Kontroverse um, was ist zu tun?

Was man tun kann, weiß ich auch nicht so genau. Da bin ich mit meinem Latein ziemlich am Ende. Wir haben ja im Laufe der Kommissionstätigkeit vielfach versucht, Gespräche anzubahnen. Ich habe bemerkt, dass Gesprächsbereitschaft bestand, vorwiegend in Form von Hintergrundgesprächen als informelles Gespräch. Und da habe ich gemerkt, dass in den politischen Strukturen, die sich verfestigt haben in den 40 Jahren der Auseinandersetzung mit der Problematik, wir es mit diesen Strukturen nicht aufnehmen konnten. Wo die Lösung liegt, von wem man was erwarten muss, darauf habe ich keine richtige Antwort. Ich trage also ein Stück Ratlosigkeit mit mir.

Es gibt ja eine Stellungnahme der Umweltstiftung, in der beschrieben wird, dass sich die ganzen Vorgänge als Prozess darstellen, also kein vorauseilender Schematismus aufgestellt werden darf. Es wird vom Anspruch des Lernens im Prozess gesprochen, was darauf verweisen könnte, dass es im Prozess auch Veränderungen geben kann. Alles vorzugeben wird dort als nicht angemessen bezeichnet.

Offener und lernender Prozess klingt gut. Ich bin interessiert an vorstellbaren Prozessformen, die weiterbringen. Was mich in meiner Euphorie bremst, was die Formen angeht, ist die Handlungsnotwendigkeit, die sich einfach durch den Atommüll ergibt, der jetzt zwischengelagert ist, wobei das Risiko nicht abnimmt durch die Zeit, sondern es nimmt zu. Da sehe ich Zielkonflikte sowohl was den zeitlichen Korridor angeht als auch einen Konflikt im Hinblick auf menschliche Mentalität. Solange ich Bedingungen formuliere bezüglich der Beteiligung, bin ich dem Problem noch nicht richtig auf der Spur. Lernen und offen gut, wir haben es aber mit einer Faktizität zu tun, die uns sozusagen die Daumenschrauben anlegt.

Wie sich zeigt, gibt es sehr unterschiedliche Interessen, die sich in den Ergebnissen widerspiegeln, die von der Kommission zur Regelung der Finanzfragen veröffentlicht worden sind. Zeigt sich Ihrer Meinung nach dabei, dass es sich weniger um einen Prozess handelt sondern eher um ein Prä, eine Vorgabe?

Das finde ich auch. Es zeigt sich aber dabei, dass es nicht schlecht wäre, wenn die unterschiedlichen Interessen gegeneinander abgewogen würden. Wie kommen wir eigentlich zu einer Interessenkritik? Das gehört für mich auch dazu, denn jeder sitzt in seiner Domäne, jeder verwaltet sein Wissen oder seine Interessen und macht seine Beteiligung davon abhängig, ob ihm in seiner Interessenlage entgegen gekommen wird. Daraus entsteht Irritation, die auf politische Bockigkeit gestellt ist und man allerlei dabei erleben kann. Das ist für mich überhaupt nicht problemadäquat.

Wenn man sich ein bisschen in Vorgängen auskennt, die viel einfacher sind, z.B. in einem kommunalen Gemeinderat, weiß man von vornherein ziemlich genau, wie die unterschiedlichen Interessenlagen aussehen. Das sind Realitäten. Bei Interessenlagen in der Kommission kann man davon ausgehen, dass z.B. ein Konzern nicht untergehen will und sich vielleicht neue Perspektiven vornimmt, bei denen gar nicht so viele Handlungsmöglichkeiten bestehen. Also haben auch die dortigen Akteure nur begrenzte Handlungsmöglichkeit und dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.

Das ist so und daher ist die Vorstellung eines offenen Prozesses sehr angemessen. Wir haben es ja auch mit Mandatsträgern zu tun, die auch für ihre Interessen verantwortlich sind, weniger unternehmensbestimmt als eher politisch. Es stellt sich die Frage, wie man dahin kommt, dass solche fundamentalen Interessen den Prozess nicht stören oder behindern. Da habe ich momentan keine Antwort, aber es sollte zu einer Vorstellung dazu kommen.

Literaturhinweise

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Die deutsche Endlagersuche wird partizipativ - und risikoreich Buchabschnitt

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Achim Brunnengräber; Maria Rosaria Di Nucci

Freiwilligkeit als Königsweg bei der Standortsuche für radioaktive Reststoffe? Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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