Grenzübergreifende Beteiligung

Die Gestaltung von Grenzregionen erfordert bi- oder sogar trilaterale Zusammenarbeit. Inklusive grenzübergreifende Bürgerbeteiligung ist dazu ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

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Einleitung

Im europäischen Vergleich ist Deutschland mit seinen neun Nachbarn ein Land mit vielen Grenzregionen. Um in den Gebieten ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, gibt es zahlreiche bi- oder trilaterale Initiativendie den Austausch und die Zusammenarbeit fördern. Diese sind zivilgesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Natur. Im Folgenden wird die Frage beleuchtet, inwieweit Bürger durch grenzübergreifende Beteiligung die Möglichkeit haben, an der Gestaltung ihrer Region mitzuwirken.

Motive grenzübergreifender Projekte

Nationale Grenzen sind auf politisch-administrativer Ebene ausschlaggebendes Kriterium, um Verantwortungsräume zu definieren. Bestimmte Thematiken machen aber nicht an Ländergrenzen Halt. Zu nennen sind hier beispielsweise Umweltthemen, menschliches Miteinander oder Wirtschaftsströme. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist essentiell, um Synergien zu nutzen und Grenzregionen nachhaltig zu gestalten. Das UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer wird beispielsweise in einer trilateralen Zusammenarbeit von den Niederlanden, Dänemark und Deutschland verwaltet. Dadurch ist der umfassende Schutz des Naturraums gewährleistet. Gleiches gilt für das Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen, das sich über die deutsch-französische Grenze erstreckt. In der Region Saarland-Lothringen arbeiten Deutsche und Franzosen ebenso eng zusammen – im Sinne der kulturellen Verständigung für die Schaffung eines gemeinsamen Kulturraums. Und in der EUREGIO sind deutsche und niederländische Akteure organisiert, die zu einem gemeinsamen Versorgungsgebiet zusammenwachsen möchten, um die Wirtschaftskraft und Lebensqualität in der Region zu steigern. Grenzübergreifende Projekte gibt es viele – doch wie steht es um die grenzübergreifende Bürgerbeteiligung?

Vorschriften

Grenzübergreifende Bürgerbeteiligung ist im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) oder einer grenzüberschreitenden Strategischen Umweltprüfung (SUP) vorgeschrieben. Die UVP tritt in Kraft, wenn sich ein grenznahes Projekt auf Menschen, die natürliche Umwelt oder Kulturgüter auswirken kann. Eine SUP wird – früher als die UVP – bereits auf der Planungsebene durchgeführt, beispielsweise im Bereich der Luftreinhaltung. International gesetzlich festgelegt ist das in der Espoo-Konvention und im UNECE Protokoll über die Strategische Umweltprüfung. Abgesehen davon gibt es keine Regelungen, die grenzübergreifende Beteiligung anordnen.

Besondere Herausforderungen

Gute Bürgerbeteiligung erfordert Mühen und grenzübergreifende Beteiligung birgt noch einige Herausforderungen mehr. Abgesehen von Fragen des Budgets (welches Land zahlt die Kosten des Beteiligungsprozesses?) oder der Gerechtigkeit (wie sieht eine gerechte Zusammenstellung der Beteiligten bei einem Vorhaben aus, das eine der beiden Nationalitäten stärker betrifft?), können Sprachbarrieren eine große Hürde sein. Um eine einwandfreie Kommunikation zu gewährleisten und Missverständnissen vorzubeugen, müssen bei vielen grenzübergreifenden Beteiligungsprozessen Dolmetscher eingesetzt werden.

Solche Fragen und Herausforderungen könnten Grund dafür sein, dass sich in Grenzregionen nicht immer für einen grenzübergreifenden Beteiligungsprozess entschieden wird. Im Falle der Stromtrassen-Planung vom deutschen Klixbüll bis in das dänische Ellund bei Esbjerg fanden zwar Bürgerdialoge statt, allerdings wurden diese getrennt auf dänischer und deutscher Seite durchgeführt. Ein Austausch aller Betroffenen beider Länder fand nicht statt.

Beispiele gelungener grenzübergreifender Beteiligung

Trotz zusätzlicher Herausforderungen gibt es in allen vier Himmelsrichtungen in deutschen Grenzregionen Beteiligende, die grenzübergreifende Bürgerbeteiligung Realität werden lassen. Bei einem EU-Bürgerdialog letzten Jahres in Passau leisteten über zwölf Dolmetscher ganze Arbeit und übersetzten simultan an mehreren Thementischen. So hatten Bürger aus Deutschland, Österreich und Tschechien die Möglichkeit, mit Bürgermeistern und EU-Politikern über das Zusammenleben in der Grenzregion Donau-Moldau und über Fragen der europäischen Politik zu diskutieren. Auch bei einem grenzübergreifenden Bürgerdialog zwischen Nijmegen und Duisburg Anfang diesen Jahres ermöglichten es Dolmetscher niederländischen und deutschen Bürgern, Wissenschaftlern und Politikern, sich unter dem Motto „Towards the European Elections: European Citizen, let’s talk!“ auszutauschen. Im Hinblick auf die Europawahlen im Mai 2019 diskutierten die Anwesenden über die Zukunft der EU. Ohne Dolmetscher müssen die Teilnehmenden des INTERREG-Projektes „Deutsch-Dänische Jugend gestaltet Zukunft“ auskommen. Das scheint für die Schüler kein Problem zu sein. Auf Englisch, Deutsch, Dänisch oder per Zeichensprache erarbeiteten sie in Projekttagen gemeinsam Zukunftskonzepte für die Grenzregion. Diese präsentierten sie Kommunalpolitikern, die über die Umsetzung der Konzepte entscheiden.

Grenzübergreifende Zusammenarbeit ist auch im Austausch von Fachexpertise zu Bürgerbeteiligung gefragt. Bei der Demokratiekonferenz des Landes Baden-Württemberg und den Schweizer Nachbarn aus dem Kanton Aargau behandelten die Teilnehmer den Umgang mit direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung in der Praxis. Es wurde ein Leitfaden für Gemeinden präsentiert, der helfen soll, grenzüberschreitende Bürgerbeteiligung durchzuführen. Auch die europäische Vereinigung für Eifel und Ardennen schaffte durch ihr Symposium Bürgerbeteiligung einen Rahmen für den Austausch über gute Bürgerbeteiligung in der Grenzregion.

Fazit

Solche Praxisbeispiele zeigen, dass grenzübergreifende Bürgerbeteiligung gut funktionieren kann und für alle Beteiligte einen hohen Mehrwert birgt. Bisher machen sich das deutschlandweit wenige Regionen zunutze. Dabei beinhaltet beispielsweise die Gestaltung grenzübergreifender Naturräume wie das Wattenmeer oder Biosphärenreservate ein vielversprechendes Potenzial für Bürgerbeteiligung. Einige Akteure in Grenzgebieten wünschen sich sogar explizit mehr Beteiligung, wie es in der Region Saarland-Lothringen der Fall ist. Das ist verständlich. Denn neben bekannter Vorteile von Bürgerbeteiligung, trägt grenzübergreifende Beteiligung zur nationalen Verständigung bei. Daher ist insbesondere in Zeiten zunehmenden Nationalismus mehr grenzübergreifende Beteiligung wünschenswert.

Literaturhinweise

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