Gesetzesentwürfe kommentieren
Ein Modell der Bürgerbeteiligung auf Bundesebene aus Österreich
„Mehr Bürgerbeteiligung auf Bundesebene!“ Diese Forderung schrieben sich im Bundestagswahlkampf etliche Parteien auf die Fahne. Dabei ist nicht immer klar, welche Form von Partizipation mit der Forderung verknüpft wird. Während die eine Seite damit den verstärkten Einsatz direktdemokratischer Instrumente verbindet, votiert die Gegenposition für mehr deliberative Beteiligungsoptionen, wobei natürlich auch Kombinationen beider Ansätze denkbar sind. Der wesentliche Unterschied zwischen den Grundpositionen der beiden Lager ist der Grad der unmittelbaren Mitentscheidung bei politischen Entscheidungen. Befürworter deliberativer Beteiligungsverfahren sehen die Bürger vor allem in einer beratenden Rolle, die den über Wahlen legitimierten Volksvertretern Empfehlungen aussprechen. Demgegenüber plädieren Advokaten eines Ausbaus von Plebisziten für das Recht einer unmittelbaren Mitentscheidung der Bürger. Spannend ist die laufende Debatte auch aus dem Grund, dass gegenwärtig Bürgerbeteiligung auf Bundesebene in Deutschland insgesamt selten ist und sich wenn überhaupt in deliberativer Form findet. Erinnert sei bspw. an den Bürgerdialog „Gut Leben in Deutschland – Wie wir leben wollen“
Ein Blick zu einem unserer südlichen Nachbarn zeigt, dass auch dort an neuen Möglichkeiten zur Ausweitung der Bürgerbeteiligung auf nationaler Ebene gearbeitet wird. Was seit Mai diesen Jahres schriftlich möglich ist, funktioniert nun zur Vereinfachung auch online: In Österreich können Bürger zukünftig Ministerialentwürfe kommentieren und Stellungnahmen auf einer Webseite abgeben.
Das Modell der Stellungnahme im Begutachtungsverfahren
Auf der neu geschaffenen Plattform können Bürger, die mindestens 16 Jahre alt sind und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, zu den Gesetzesentwürfe Stellung nehmen, bereits hochgeladenen Stellungnahmen bewerten sowie dem gesamten Gesetzesentwurf zustimmen oder ihre Ablehnung ausdrücken.
Die Stimmen der Presse zum Thema sind überwiegend positiv: „Ab heute können Österreichs Bürger direkt auf der Parlamentshomepage Gesetzesentwürfe bewerten, Stellungnahmen abgeben bzw. per „Like“ ihre Zustimmung ausdrücken. Fast wie bei Facebook – nur dass der Daumen rot statt blau ist“, schreibt bspw. das Extrajournal. In den Kommentarspalten geht es jedoch hoch her. Unter einem Artikel der Zeitung „Der Standard“ kritisiert ein User: „Wenn es der Politik wichtig ist etwas ungestört durchzudrücken, gibt es die Flucht in den Initiativantrag um die Begutachtung und Fristen zu umgehen!“. Ein scharfer Kommentar, der nicht von der Hand zu weisen ist: Das Begutachtungsverfahren gilt nur für Ministerialentwürfe, nicht aber für Initiativanträge, die von mindestens fünf Abgeordneten im Nationalrat eingebracht werden können.
Nichtsdestotrotz bezeichnet Nationalratspräsidentin Doris Bures diese neue Möglichkeit in einer Parlamentskorrespondenz als wichtigen Schritt „um die Arbeit des Nationalrats und den Gesetzgebungsprozess offener zu machen“. Der Vorschlag zu dieser Maßnahme kam aus der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie, die in Österreich bereits seit drei Jahren tätig ist.
Enquete Kommissionen dieser Art gab es in Deutschland bereits in einigen Bundesländern, so etwa in Rheinland-Pfalz bis 2015, auf Bundesebene sucht man jedoch noch vergeblich danach. Inwieweit eine webbasierte Kommentierung von Gesetzesentwürfen auf nationaler Ebene auch in Deutschland als Teil eines dialogischen Partizipationskonzeptes wünschenswert ist, wird eine Frage sein, der sich die kommende Bundesregierung widmen muss.
Literaturhinweise
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