Gemeinsam träumen

Dragon Dreaming Koglin Foto: Ilona Koglin; Dragon Dreaming im Ökodorf Siebenlinden.

Mit Dragon Dreaming Bürgerprojekte planen und umsetzen

Klingeling! Ein Glöckchen ertönt und aus allen Winkeln des Seminarhauses strömen Menschen mit geröteten Wangen, glänzenden Augen – und jeder Menge Ideen in den Köpfen und Händen. An diesem Wochenende sind in dem Ökodorf Siebenlinden Menschen zusammen gekommen, um mit Hilfe von Dragon Dreaming Bürgerprojekte zu entwickeln und anzuschieben. Da ist eine Gruppe, die einen interkulturellen Stadtgarten plant. Eine andere tüftelt an einem Konzept für die Umweltbildung von Jugendlichen. Eine weitere Gruppe überlegt gemeinsam, wie sich ein Nachbarschaftsnetzwerk über mehrere Generationen hinweg etablieren ließe und die vierte feilt an einem mobilen Imbissstand, an dem Deutsche und Geflüchtete gemeinsam gesundes Fast Food aus geretteten Lebensmitteln verteilen.

Foto: Ilona Koglin; Dragon Dreaming in Aktion

Foto: Ilona Koglin; Workshopteilnehmende in Aktion

Nur zwei Tage sind vergangen seit sich die Gruppen zusammengefunden haben, doch es ist bereits ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden – und eine Motivation, ja geradezu Euphorie für die Projekte. Der Grund dafür sind die Dragon Dreaming Methoden. Der Australier John Croft hat Zeit seines Lebens mit Gemeinschafts- und Bürgerprojekten zu tun gehabt und seine jahrzehntelangen Erfahrungen in einem Set an OpenSource-Methoden gebündelt. Diese lassen sich flexibel kombinieren und auch variieren – je nachdem, wo eine Projektgruppe gerade steht und was sie braucht, um den nächsten Schritt zu gehen:

Steht sie noch ganz am Anfang? Wollen die Team-Mitglieder überhaupt erst einmal eine gemeinsame Vision und Vorstellung von der Idee, dem Projekt und seiner Wirkung bekommen, sich gegenseitig besser kennenlernen und zusammenwachsen? Oder steht der große Traum zwar schon, doch irgendwie kommt das Projekt nicht in die Umsetzung – zum Beispiel, weil das gemeinsame Handwerkszeug für die Projektplanung fehlt? Oder ist das Projekt schon mitten in der Umsetzung, doch knirscht es ordentlich – sinkt die Motivation, verlassen Mitglieder die Gemeinschaft, lassen sich Konflikte kaum noch lösen, kosten die internen Reibereien viel zu viel der wertvollen Energie und Kraft?

Für all die unterschiedlichen Phasen und Stationen von Gemeinschaftsprojekten hat Dragon Dreaming Methoden parat. Und wo der Werkzeugkoffer nichts hergibt, da ist der Prozess so offen angelegt, dass er sich gut mit Mitteln ergänzen lässt.

Mehr als nur Methode

Doch Dragon Dreaming ist mehr also nur eine Ansammlung von Methoden, die sich zu einem ganzheitlichen Projektplanungsprozess verbinden lassen – und das ist sicherlich sein Erfolgsrezept: Es beschreibt nämlich auch eine Haltung, eine Philosophie. Diese beruht auf drei wesentlichen Kriterien, die jedes Dragon Dreaming Projekt erfüllen sollte:

  1. Die Weiterentwicklung jedes Einzelnen fördern: Das bedeutet die Fähigkeiten, Fertigkeiten und sozialen Kompetenzen jedes Einzelnen in der Projektarbeit zu verbessern.
  2. Die Gemeinschaftsbildung unterstützen: Also dafür sorgen, dass Vertrauen, Verständnis und Zusammenhalt in der Arbeitsgruppe wachsen.
  3. Die Welt insgesamt fördern: Das heißt das Ökosystem Erde bereichern – und nicht ausnutzen und schädigen.

Das klingt vielleicht zunächst banal. Doch wenn man genauer darüber nachdenkt – und vor allem auch versucht, dies konsequent umzusetzen –, dann sind das ganz schön große Ideale, denen man sich in den einzelnen Projekten natürlich immer nur annähern kann. Um den Weg dorthin zu erleichtern, setzt Dragon Dreaming auf etwas, das sich Pinakarri nennt. Inspiriert durch die Kultur der australischen Ureinwohner, der Aborigines, hat John Croft das Konzept des „tiefen Zuhörens“ von ihnen übernommen. Heute würde man in diesem Zusammenhang vielleicht von „Achtsamkeit“ sprechen. Gemeint ist, dass man sich selbst, den anderen Menschen (in seinem Projekt, aber auch außerhalb) sowie der Welt insgesamt „tief zuhört“ – also genau beobachtet und aufmerksam herausfindet: Was brauche ich, um zu wachsen und mich zu entwickeln? Was brauchen meine Mitmenschen? Was braucht unsere Gemeinschaft, um zusammenzufinden und einen Ort des Vertrauens, der kollektiven Kreativität und der mutigen Tatkraft zu werden? Und schließlich auch: Was ist es, was die Welt von uns, von unserem Projekt erwartet? Was sollten wir tun und wie sollten wir unser Projekt gestalten, damit wir damit die Welt insgesamt bereichern und unterstützen – und nicht ausbeuten und zerstören? Das Ziel ist eine gelebte Win-Win-Kultur, in der die gegenseitige Unterstützung und das Verständnis eine wesentliche Rolle spielen.

Dragon Dreaming lernen und anwenden

„Dragon Dreaming gibt einen einfachen, intuitiven und spielerischen Einstieg, um die Fähigkeit zu erlernen, sich und seine Gemeinschaft zu ‚führen‘.“Damit ist Dragon Dreaming zugleich leicht und schwer zu erlernen. Die Methoden selbst sind bewusst einfach und sehr spielerisch gehalten, sodass sich zum Beispiel auch die Menschen in die Projektplanung einbeziehen lassen, die kaum oder keine Ahnung von Projektmanagement haben. Das heißt, Dragon Dreaming gibt einen einfachen, intuitiven und spielerischen Einstieg, um die Fähigkeit zu erlernen, sich und seine Gemeinschaft zu „führen“. Damit ist keine Führungskraft im klassischen Sinne gemeint. Es geht eher darum, dass jede*r die Fähigkeit und das Selbstvertrauen hat, um gegebenenfalls jederzeit eine Führungsrolle übernehmen zu können, sodass sich keine Führungshierarchien verfestigen.

Die Haltung und die Philosophie des „tiefen Zuhörens“ zu erlernen und in die Tat umzusetzen, ist hingegen eine Lebensaufgabe. Ein Ideal, dem man sich annähern kann und sollte. Vor allem, wenn es schwierig wird: Wenn einem jemand furchtbar auf die Nerven geht. Wenn es schwere Konflikte gibt. Oder wenn der finanzielle und zeitliche Druck steigt. In diesen Situationen zeigt sich, wie tolerant und offen, weise und gütig, mitfühlend und liebevoll wir tatsächlich sein können. Das Dragon Dreaming liefert dafür den Prozessabschnitt des „Feierns“, womit nicht nur feuchtfröhliche Abende gemeint sind, sondern vor allem auch Phasen und Rituale der individuellen und kollektiven Reflexion und Auswertung. Ein Innehalten, Beobachten und Nachdenken, das uns in unserem hektischen Alltag nur zu oft fehlt – aber ein wesentlicher Baustein für den Erfolg von Bürgerprojekten ist.

Die Projektwoche in Siebenlinden hat einmal mehr gezeigt, was für eine Kraft der Prozess des Dragon Dreaming bereits in wenigen Tagen entfalten kann: Die Teams sind stolz darauf, wie viel sie in der kurzen Zeit erdacht, geplant und erschaffen haben. Wie viel Klarheit sie gewonnen haben – nicht indem sie Konflikte ausgeblendet, sondern indem sie diese konstruktiv miteinander gelöst und nicht selten zur Quelle neuer Ideen gemacht haben.

Autorin: Ilona Koglin ist Dragon Dreaming Facilitatorin und begleitet Gemeinschaften, Organisationen und Institutionen bei der kollektiv-kreativen Projektarbeit. Wer sich dafür interessiert, Dragon Dreaming in der eigenen Organisation einzusetzen, kann einen Facilitatoren buchen oder einen offenen Dragon Dreaming Workshop besuchen. Eine Übersicht über alle anstehenden Workshops gibt es hier.

Literaturhinweise

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Robert Jungk; Norbert Müllert

Zukunftswerkstätten: Wege zur Wiederbelebung der Demokratie Buch

Goldmann Verlag, München, 1983.

BibTeX

Jürgen Habermas

Theorie des Kommunikativen Handelns Buch

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1981.

BibTeX

Sherry Arnstein

A Ladder of Citizen Partizipation Artikel

In: Journal of the American Planning Association, Bd. 35, Nr. 4, S. 216-224, 1969.

Abstract | BibTeX

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