Fahrgastbeteiligung

Das geht auch online!

Katja Striefler berichtet von den Erfahrungen, die die Region Hannover in Pandemiezeiten mit der digitalen Beteiligung von Fahrgästen des öffentlichen Nahverkehrs gemacht hat.

Visualisierung: Katja Striefler

Tut uns leid, wir werden uns in nächster Zeit nicht persönlich treffen können.“ Das war die traurige Botschaft der Region Hannover an ihren Fahrgastbeirat, als im März 2020 alle Präsenzveranstaltungen abgesagt und für lange Zeit undenkbar wurden.

Der Fahrgastbeirat ist ein plural besetztes Gremium, in dem auch Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderung mitarbeiten. Das als „ÖPNV-Rat” bekannte Gremium hatte sich erst kurz vorher neu aufgestellt und mit großem Engagement die Diskussion um ein Thema begonnen, das Fahrgäste besonders kritisch sehen: Fahrgast-Information bei Störungen.

Telefonkonferenz – ging so

Ab dem ersten Lockdown waren Treffen zunächst nur als Telefonkonferenzen möglich. Andere Medien standen schlichtweg nicht zur Verfügung – weder der Verwaltung noch den überwiegend ehrenamtlich tätigen Mitgliedern. Für die Diskussion von bereits formulierten Vorlagen funktionierte das halbwegs – zum Beispiel bei der Kommentierung des Fahrplan-Entwurfes. Es funktionierte allerdings auch nicht für alle: Einige der üblichen Teilnehmer:innen sagten ab, weil sie Telefon-Treffen als Zumutung empfanden. Der schwerhörige Teilnehmer war faktisch ausgeschlossen, da er ohne Lippenlesen der Kommunikation nicht folgen kann.

Für die blinden Gäste war das neue Format sogar ein Fortschritt. Weil die Unterlagen vorab verschickt werden mussten, konnten sie die Präsentation mit Hilfe ihrer Lesegeräte im eigenen Tempo nutzen. Warum, fragte sich die Verwaltung, haben wir das nicht schon vorher so gemacht?!

Ein „verlorenes” Jahr?

Nach einigen Monaten hatte sich die Regionsverwaltung mit der digitalen Kooperation angefreundet und technisch nachgerüstet. Währenddessen wurde an der Fahrgastinformation intensiv weitergearbeitet – ohne dass der ÖPNV-Rat das kommentieren konnte. Mit dem zweiten Lockdown im Herbst war klar, dass mit dem Warten auf „normale” Bedingungen zu viele Gelegenheiten verpasst würden. Als dann der Vertreter für den Schwerhörigenbund signalisierte, dass auch er jetzt an Videokonferenzen teilnehmen könne, fasste die Regionsverwaltung Mut. Und lud den ÖPNV-Rat mit folgenden Worten ein:

„Beteiligung online und inklusiv – wie soll das gehen? So genau wissen wir das auch noch nicht. Es ist Neuland – auch für uns. Wir wollen, dass alle interessierten Mitglieder teilnehmen können und dass auch Austausch untereinander möglich ist. Dafür haben wir uns externe Unterstützung gesucht – eine Moderatorin, die uns auch die technischen Möglichkeiten vermitteln kann. (…). Sie werden rechtzeitig vor dem Treffen alle nötigen Infos bekommen. Wenn Sie möchten, können Sie das System mit der externen Moderatorin in Ruhe testen.“

Zoom, padlet – und ganz viel Engagement

Weil das Thema für sinneseingeschränkte Fahrgäste so wichtig ist, war es für die Regionsverwaltung sehr wichtig, dass sich auch die blinden und schwerhörigen Mitglieder gut einbringen können. Deshalb kam für die eigentliche Veranstaltung „zoom“ zum Einsatz. Zusätzlich wurde eine davon unabhängige digitale Pinnwand eingesetzt: „padlet“. Wie das funktioniert, wurde beim Techniktest erklärt und sofort benutzt. Die Teilnehmer:innen konnten ihre Anliegen dort selbst platzieren. Auch Zwischenstände konnten sie dort jederzeit einsehen.

Padlet wird als besonders interaktiv und inklusiv empfohlen, hat aber auch Grenzen. Texte eingeben können blinde Menschen dort nur sehr eingeschränkt. Aber auch dafür fand sich eine Lösung: Als deutlich wurde, dass bei einem wichtigen Thema Formulierungen noch nicht rund genug waren, bekamen die blinden Teilnehmer:innen den Text kurzerhand als Word-Version und haben dort überarbeitet.

„Sehr gut, sehr intensiv – aber auch ein bisschen mühselig”

Gemeinsam haben ÖPNV-Rat und Verwaltung die online-Zusammenarbeit zu diesem anspruchsvollen Thema gemeistert. Einige der Mitglieder sind aber auch bei diesem Format weggeblieben. Wer da war, fand das online-Treffen beim Feedback am Ende überwiegend „sehr gut“. Die schönste Rückmeldung war für die Veranstalterin das Statement des schwerhörigen Teilnehmers: „Ich konnte alles gut hören!“

Aktuelle und detaillierte Fahrgastinformation – insbesondere bei Störungen und Unregelmäßigkeiten

Nach zwei online-Treffen und intensiver Textarbeit zwischen den Treffen war es soweit: Der ÖPNV-Rat hat ein Papier vorgelegt, das sehr differenziert beschreibt, welche Information sich Fahrgäste bei Unregelmäßigkeiten wünschen. Es dekliniert durch, was Fahrgäste unter „sichtbarer und hörbarer Information“ verstehen.

Das Dokument ist auf der Website der Region Hannover veröffentlicht und hilft schon jetzt, die formulierten Anforderungen zu verbreiten. Die Regionsverwaltung wird die Anforderungen den richtigen Adressaten übergeben und dafür sorgen, dass der ÖPNV-Rat Rückmeldung bekommt, was aus den Wünschen wird.

Zur Person

Katja Striefler arbeitet im Fachbereich Verkehr der Region Hannover daran, dass sich Fahrgäste wohl fühlen können. Den ÖPNV-Rat betreut sie seit seiner Gründung. Mit Erklärbildern und visuellen Protokollen stellt sie auch komplexe Inhalte einfach dar und sorgt dafür, dass sie gut in Erinnerung bleiben.

 

Literaturhinweise

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Sabine Ursula Nover

Protest und Engagement: Wohin steuert unsere Protestkultur? Buch

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009, ISBN: 978-3531163130.

BibTeX

Peter Hocke

Expertenkommunikation im Konfliktfeld der nuklearen Entsorgung. Zum Wandel von Expertenhandeln in öffentlichkeitssoziologischer Perspektive Buchabschnitt

In: Peter Hocke; Armin Grunwald (Hrsg.): Wohin mit dem radioaktiven Abfall? Perspektiven für eine sozialwissenschaftliche Endlagerforschung, edition sigma, Berlin, 2006.

BibTeX

Jörg Bogumil; Lars Holtkamp; Leo Kißler

Kooperative Demokratie: Das politische Potenzial von Bürgerengagement Buch

Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2006, ISBN: 978-3593380131.

BibTeX

Nuclear Energy Agency

OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch

Experience, Paris, 2004.

BibTeX

Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)

Auswahlverfahren für Endlagerstandorte - Empfehlungen des AkEnd Forschungsbericht

Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) 2002.

Abstract | BibTeX

Ortwin Renn; Thomas Webler

Der kooperative Diskurs. Theoretische Grundlagen, Anforderungen, Möglichkeiten Buchabschnitt

In: Ortwin Renn; Hans Kastenholz; Patrick Schild; Urs Wilhelm (Hrsg.): Abfallpolitik im kooperativen Diskurs. Bürgerbeteiligung bei der Standortsuche für eine Deponie im Kanton Aargau, S. 3-103, vdf, Zürich, 1998.

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