Expertentipps für ein gelingendes Standortauswahlverfahren

Zur Vorbereitung auf die Bürger*innen-Anhörung zur Formulierungshilfe des StandAG hat das Nationale Begleitgremium um Stellungnahmen der Öffentlichkeit gebeten und zudem selbst zwei Rechtsgutachten veranlasst.

Bürgerbeteiligung - offener Brief Foto: pixabay.com

Als 2013 das Standortauswahlgesetz (StandAG) beschlossen wurde, sah es die Einberufung einer Fachkommission vor, die Empfehlungen für eine Fortentwicklung des Gesetzes aussprechen sollte. Am Ende der Kommissionsarbeit stand ein ausführlicher Bericht, auf dessen Basis das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) einen Formulierungsvorschlag zur Fortentwicklung des StandAG erstellt hat.

Zu diesem Formulierungsvorschlag, der im Dezember 2016 veröffentlicht wurde, erreichten nun im Zuge der am 11. Februar 2017 stattfindenden öffentlichen Anhörung zwei offene Briefe mit Änderungsvorschlägen und Anmerkungen das Nationale Begleitgremium (NBG). Bis zum 20. Januar 2017 war es der Öffentlichkeit möglich, dem NBG Meinungen zum Gesetzentwurf zukommen zu lassen. In Anspruch genommen haben dies jedoch nur einige wenige Fachleute: Einer der Briefe stammt von Experten*innen aus dem Bereich der Partizipationforschung und -praxis. Der andere wurde von Konfliktexpert*innen zweier Mediationsverbände formuliert.

Von den Grundlagen…

Der Brief der Konfliktexpert*innen, bestehend aus Anschreiben und Anhang, nimmt nur sekundär Bezug zur Formulierungshilfe und bewertet primär eher den Abschlussbericht der Endlagerkommission. Eine Möglichkeit dazu gab es bisher nicht, da „die fast vor einem Jahr angekündigte öffentliche Diskussion der Ergebnisse der Kommission nicht stattgefunden hat“, so heißt es im Anschreiben. Damit setzen die Autor*innen inhaltlich an der Basis an und haben Grundlegendes zu kritisieren.

Sie betonen, wie wichtig es sei, die „Altlasten aus der Geschichte des Atommülls“ aufzuarbeiten, bevor mit der Standortsuche begonnen wird. Es müsse sich darum bemüht werden, die „Expertenbürger der Anti-AKW-Bewegung neu zu gewinnen“, um einem Fortschreiten des jahrzehntelangen gesellschaftlichen Konflikts vorzubeugen. Damit es in Zukunft zu vergleichbaren Eskalationen wie in der Vergangenheit nicht mehr käme, sehen sie den Dialog aller Beteiligten als adäquates Mittel. Dieser Dialog müsse über die gesamte Dauer des Verfahrens aufrechterhalten werden, um ein Mitsprache auf Augenhöhe herzustellen. Die Öffentlichkeit dürfe nicht nur Empfänger von Informationen sein, sondern solle Mitspracherecht im künftigen Verfahren erhalten.

…bis hin zu den Formulierungsdetails

Der Brief der Beteiligungsexpert*innen befasst sich mit der Formulierungshilfe des BMUB zu Fortentwicklung des StandAG. Er zeigt, an welchen Stellen die Formulierungshilfe den Vorschlägen der Endlagerkommission nicht gefolgt ist und gibt Hinweise hinsichtlich zu berücksichtigender Elemente für ein gelingendes Verfahren. Aber auch den Verfasser*innen dieses Briefes ist es ein Anliegen, dass in § 5, Abs. 1 nicht nur von einer „Unterrichtung“ der Öffentlichkeit über Ziele, Mittel, aktuellen Stand und voraussichtliche Auswirkungen des Standortauswahlverfahrens die Rede ist, sondern vielmehr von einem dialogischen Austausch zwischen Öffentlichkeit und allen beteiligten Institutionen. Dies war auch einer der Kernpunkte der AG1 der damaligen Endlagerkommission. Darüber hinaus weist der Brief u. a. darauf hin, dass eine Verfahrensevaluation verpflichtend stattfinden und vom NBG vorgenommen werden sollte.

In positiver Hinsicht merken die Partizipationsexpert*innen die Beibehaltung aller zentralen Verfahrenselemente an (Informationsregister, Nationales Begleitgremium, Partizipationsbeauftragter, Fachkonferenz Teilgebiete, Regionalkonferenzen, Rat der Regionen, Stellungnahmeverfahren).

Externe Gutachten für das NBG

Neben den beiden Briefen werden auch zwei Rechtsgutachten als Grundlage der kommenden Bürger*innen-Anhörung dienen. Die Gutachten wurden vom NBG im letzten Jahr in Auftrag gegeben und beurteilen, inwieweit die Empfehlungen der Endlagerkommission in die Formulierungshilfe eingeflossen sind. Dabei stellten beide Gutachter fest, dass sie größtenteils direkt oder sinngemäß berücksichtigt wurden. Allerdings wurde auch einige Abschnitte gar nicht berücksichtigt, wie die Idee eines dialogischen Austausches oder eines generellen Exportverbotes des hoch radioaktiven Atommülls.

Stellungnahme aus der atomkritischen Bevölkerung

Kritisch analysiert wurde die Formulierungshilfe des BMUB auch von der Bürgerinitiative Umweltschutz des Landkreises Lüchow-Dannenberg aus der Region Gorleben. Sie ist nicht auf den Seiten des NBG zu finden, sondern nur auf der Internetseite der BI. Darin werden neben den beschränkten Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten seitens der Bevölkerung und den Standorten auch die potentielle Beeinflussung der Standortsuche durch Partikularinteressen kritisiert. Ihrer Einschätzung nach, ist die Formulierungshilfe „nicht geeignet, das notwendige Vertrauen in eine unabhängige und wissenschaftsbasierte Standortsuche zu schaffen“.

Die Ausführungen zeigen mehr als deutlich, dass sich bisher nur die Fachöffentlichkeit mit dem Thema befasst. Die breite Öffentlichkeit wird bis dato nicht erreicht. Um mehr Stimmen aus der Bevölkerung zu erhalten, wäre es sicher vorteilhaft gewesen, wenn das NBG die Rechtsgutachten vor dem 20. Januar 2017 online gestellt hätte und deutlich offensiver auf die anstehende Veranstaltung hinweisen würde. Mit Blick auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Formulierungshilfe wäre es den Bürger*innen so wahrscheinlich leichter gefallen, sich eine Meinung zur Formulierungshilfe zu bilden und ihre Anmerkungen dem NBG fristgerecht mitzuteilen. Der hohe Arbeitsaufwand, der mit einer eigenständigen vergleichenden Analyse des Endlagerkommissionsberichtes mit der Formulierungshilfe des BMUB anfällt, war sicherlich ein Grund, warum sich lediglich Expert*innen zur Thematik äußerten.

Ein Anmeldung zur anstehenden Anhörung ist immer noch möglich: hier zur Anhörung anmelden.

Literaturhinweise

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