E-Voting in Deutschland

Welche Hürden es noch gibt – und wo es schon funktioniert

Peter Schraeder, POLYAS GmbH, erklärt in diesem Gastbeitrag die Situation des E-Votings in Deutschland und zeigt, dass die Bevölkerung dem Thema Online-Wahlen aufgeschlossen gegenübersteht.

Online-Wahlen, also die digitale Stimmabgabe bei demokratischen Wahlen und Abstimmungen, werden im Bundestag noch als fernes Zukunftsprojekt angesehen. Parlamentarische Wahlen finden nur per Brief und Urne statt. Doch Parteien, Kirchen, Hochschulen, Verbände und viele andere Organisationen führen Ihre Wahlen bereits seit vielen Jahren digital durch.

POLYAS hat viele dieser Wahlen umgesetzt. Als Projekt 1996 in Finnland gestartet und 2012 als eigenständiges Unternehmen gegründet, setzt der Anbieter für Online-Wahlen inzwischen auch politisch wichtige Abstimmungen um. Zu nennen wären etwa die Wahl des Parteivorsitzenden auf dem CDU-Parteitag 2021 oder die Urabstimmung von Bündnis 90/Die Grünen über den Koalitionsvertrag im Herbst desselben Jahres. Aber auch kleine Organisationen wie Bürgerrechtsvereine oder kommunale Jugendparlamente wählen seit vielen Jahren mit POLYAS online.

 

Rechtliche Situation in Deutschland

Insbesondere während der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach digitalen Abstimmungsmethoden gestiegen, da die Online-Wahl weder orts- noch zeitgebunden ist und die kontaktlose Stimmabgabe ermöglicht. So haben in den vergangenen Jahren vor allem viele Vereine und Verbände sowie zahlreiche Körperschaften des öffentlichen Rechts digital abstimmen lassen. Bei parlamentarischen Wahlen von kommunaler bis europäischer Ebene, zeichnet sich diese Entwicklung noch nicht ab. Zwar kamen schon 2005 bei einer Bundestagswahl Wahlcomputer zum Einsatz und ermöglichten eine elektronische Stimmabgabe. Das Bundesverfassungsgericht setzte dem Einsatz dieser Geräte in einem Urteil von 2009 aber ein Ende, da das Öffentlichkeitsprinzips der Wahl nach Auffassung des Gerichts nicht als erfüllt angesehen wurde. Demnach müssen die Stimmabgabe und Auszählung auch bei einer digitalen Bundestagswahl für alle Wahlberechtigten nachvollziehbar sein. Parlamentarische Online-Wahlen sind damit zwar nicht per se verboten, die Hürde zur Einführung des sogenannten E-Votings wurde dadurch aber hochgesetzt.

 

E-Voting im Ausland

Einige Staaten sind bei der Umsetzung politischer Online-Wahlen schon weiter. Als Paradebeispiel gilt Estland, wo erstmals 2005 die Online-Stimmabgabe bei parlamentarischen Wahlen ermöglicht wurde, damals noch auf kommunaler Ebene. Weniger bekannt ist, dass Frankreich im Ausland lebenden Menschen mit französischer Staatsbürgerschaft schon seit 2012 eine Online-Teilnahme an den Parlamentswahlen ermöglicht. Auch die Schweiz hat viele Jahre Erfahrungen mit dem E-Voting gesammelt. Und bevölkerungsreiche Demokratien außerhalb Europas wie Indien und Brasilien setzen seit Jahren Wahlcomputer zur Stimmabgabe ein, um eine Manipulation der Urnenwahl zu verhindern und die Auszählung zu vereinfachen.

 

Deutsche aufgeschlossen für E-Voting

Für Deutschland lässt sich feststellen, dass es seit vielen Jahren einen Trend zur Fernwahl gibt. Bei Bundestagswahlen stimmen seit 1990 mehr und mehr Menschen per Brief ab. 2017 waren es 28,6 Prozent der Wählenden, im Pandemiejahr 2021 sogar 47,3 Prozent, also fast die Hälfte aller, die ihre Stimme abgegeben hatten. Unter den Menschen, die nicht wählen, gibt es viele, die aus zeitlichen Gründen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Die Meinungsforschungsagentur pollytix befragte in einer repräsentativen Studie am Tag der Bundestagswahl 2021 mehr als 26.000 Personen, warum sie gewählt oder nicht gewählt hatten. 20 Prozent der Befragten, die nicht gewählt hatten, gaben an, zeitlich verhindert gewesen zu sein. Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass der Trend innerhalb der Bevölkerung Richtung Online-Wahl zeigt.

POLYAS hat 2022, gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Appinio, eine repräsentative Studie zur Verbreitung und Akzeptanz von Online-Wahlen durchgeführt. Von den 1.000 Befragten der Studie befürworteten 66 Prozent die Möglichkeit einer Online-Stimmabgabe bei Bundestagswahlen. Doch auch für andere demokratische Formate, wie beispielsweise eine Online-Bürgerbefragung, waren die Befragten offen: Rund 70 Prozent würden eine solche Möglichkeit nutzen.

Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse deutlich, dass die digitale Stimmabgabe tatsächlich bereits gelebte Praxis ist. Bereits mehr als ein Viertel der Befragten (26,1 Prozent) hatte schon einmal online gewählt. Die meisten derjenigen, die bereits online gewählt hatten (n=261), gaben ihre digitale Stimme in Vereinen (42,5 Prozent) ab, gefolgt von Unternehmen (31,8 Prozent) und Parteien (30,7 Prozent).

Alle Ergebnisse der Studie können Sie HIER zum Download erhalten.

 

Sachverständige für Ende-zu-Ende-Verifikation

Auch der Bundestag beschäftigt sich trotz der hohen rechtlichen Hürden weiterhin mit dem E-Voting. Im April 2022 setzte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung das Thema auf die Tagesordnung. Auch POLYAS war Teil des Expertenrats, der von den Abgeordneten öffentlich befragt wurde. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass es in naher Zukunft noch kein E-Voting in Deutschland geben werde. Die Sachverständigen waren sich aber darin einig, die Online-Wahl weiterhin in Selbstverwaltungskörperschaften zu testen. Zu einem flächendeckenden Test wird es schon dieses Jahr kommen, denn bei der Sozialwahl 2023, die – gemessen an den Wahlberechtigen – die drittgrößte Wahl Deutschlands ist, wird auch die Online-Stimmabgabe möglich sein.

Der Expertenrat des Bundestags betonte darüber hinaus die Bedeutung der Ende-zu-Ende-Verifikation für digitale Wahlen. Dieses kryptografische Verfahren sorgt für ein sicheres und vor allem nachvollziehbar manipulationsfreies E-Voting. So soll den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Öffentlichkeitsprinzip entsprochen werden. Dabei geht es darum, dass die korrekte Weiterleitung, Verarbeitung und Auszählung der digitalen Stimmzettel sowohl von den Wählenden als auch von der Wahlleitung oder unabhängigen Sachverständigen überprüft werden kann – ohne Preisgabe des Wahlgeheimnisses.

Auch wenn es bei der Einführung des E-Votings für parlamentarische Wahlen in Deutschland noch einige Hürden gibt, werden Online-Wahlen in Körperschaften des öffentlichen Rechts und anderen demokratisch organisierten Institutionen und Verbänden weiter an Bedeutung gewinnen. Derweil gehören politische Online-Wahlen in anderen Staaten heute schon zur gängigen Praxis.

 

Zur Person

Peter Schraeder ist Team-Koordinator und Senior Content Manager im Marketing-Team von POLYAS, einem der führenden Anbieter für Online-Wahlen. Dort beschäftigt er sich unter anderem damit, die komplexe Systemarchitektur der Online-Wahl-Software medial zu veranschaulichen. Studiert hat er Geschichte mit einem Schwerpunkt auf medialer Darstellung von geschichtlichen Themen an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Freien Universität Berlin.

Literaturhinweise

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Achim Brunnengräber; Maria Rosaria Di Nucci

Freiwilligkeit als Königsweg bei der Standortsuche für radioaktive Reststoffe? Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Wolf Schluchter

Atommüllendlagersuche und Zivilgesellschaft Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Adrian Vatter; Claudia Alpiger

Evaluationskriterien zur Bewertung von regionalen Bürgerbeteiligungsverfahren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Katja Simic

Online-Beteiligung: Das Potential von Geodaten für transparente Partizipation Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (Hrsg.)

Dokumentation - Auswahl von Bürgervertreter/innen für das NBG zum Standortauswahlverfahren für ein Endlager für insbesondere hoch radioaktive Abfälle Forschungsbericht

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Gisela Erler

Baden-Württemberg auf dem Weg zu einer dynamischen Mitmachdemokratie Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Stakeholder Panel zur Technikfolgenabschätzung (TA) beim Bundestag

Ergebnisse der Umfrage »Online Bürgerbeteiligung an der Parlamentsarbeit« Forschungsbericht

2017.

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Elmar Hinz (Hrsg.)

Regieren in Kommunen. Herausforderungen besser bewältigen – Außen- und Binnenorientierung beeinflussen Sammelband

Springer VS, Wiesbaden, 2017, ISBN: 978-3-658-14609-2.

Abstract | BibTeX

Allianz Vielfältige Demokratie/Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Bürgerbeteiligung in Kommunen verankern: Leitlinien, Mustersatzung und Praxisbeispiele für ein verlässliches Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft Online

2017.

Links | BibTeX

Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.)

Vom Wesen der Zivilgesellschaft Vortrag

24.03.2017.

Abstract | Links | BibTeX

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