Die Kiezblock-Initiativen

Im Interview berichtet Nicolina Kirby über die Berliner Kiezblock-Initiativen und über Bürgerbeteiligung.

Liebe Frau Kirby, für Stadtplaner war das Auto lange Zeit das wichtigste Fortbewegungsmittel. So ist in Deutschen Städten sehr viel Platz dem fahrenden und ruhenden Autoverkehr vorbehalten. Sogar in Berlin, einer Metropole mit sehr gut ausgebauten ÖPNV, werden 58 % der Verkehrsflächen dem Auto gewidmet. Weltweit empfinden Bürger*innen das als nicht mehr zeitgemäß und etliche Initiativen stellen den Status Quo in Frage. In Berlin kämpfen die Kiezblock-Initiativen für Verkehrsberuhigung in den Berliner Stadtteilen. Was sind die Kiezblock-Initiativen und wie entstanden diese?

Kiezblocks sind die Berliner Version des „Superblock“ Konzepts aus Barcelona. Sie sind 2020 mit einer Kampagne von Changing Cities e. V. ins Leben gerufen worden. Für diese Kampagne hat Changing Cities eine Art Leitfaden für Bürger*innen erstellt, wie sie als Initiative und mit Einwohneranträgen Kiezblocks in ihren lokalen Parlamenten (BVV) fordern können. In der Minimaldefinition versteht sich ein Superblock, oder eben ein Kiezblock, als Wohnviertel in dem die Durchfahrt für den motorisierten Individualverkehr unterbunden wird. Autos können zwar im Kiez noch überall hin, allerdings nicht mehr durchfahren und ihn so als Abkürzung nutzen. Die Idee ist, dass der KfZ Verkehr so aus den Wohnvierteln herausgehalten wird, sodass in den Wohnvierteln wieder mehr Platz für anderes entsteht und der Raum von den Menschen genutzt werden kann. Zum Verweilen, für Kinder und mehr Sicherheit, für Menschen zu Fuß und auf dem Rad, aber auch für mehr Grün und weniger Versiegelung.

Kiezblocks sind ein gutes Beispiel für Bottom-Up Prozesse, bei denen Bürger*innen sich aktiv in politische Prozesse einbringen. Wie reagiert die Berliner Verwaltung und Politik darauf?

In vielen Fällen, in denen Einwohneranträge bereits eingereicht wurden, hat sich die BVV dafür ausgesprochen. Die Verwaltungen reagierten in den Bezirken bislang unterschiedlich schnell, insgesamt sind Kiezblocks aber als wichtiger Baustein für die Mobilitätswende erkannt worden. Während einige Bezirke wie Mitte, Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg schon erste Versuche unternommen haben Kiezblocks umzusetzen braucht es in anderen Bezirken etwas länger. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass in einigen Bezirken sehr viel mehr Druck von unten gemacht wird als in anderen. Fehlende Ressourcen in den Verwaltungen bleiben ebenfalls ein großes Thema. Generell kann man aber schon sagen, dass diese Bottom-Up Prozesse in den vergangenen zwei Jahren stark diskursprägend waren was die Mobilitätswende betrifft.

Berlin ist nicht die einzige Stadt, in der Menschen für verkehrsberuhigte Stadtteile kämpfen. Städte wie Utrecht und Barcelona werden oft in Ihrer Vorreiterrolle erwähnt. Gibt es Austausch mit Initiativen, Verwaltungen und der Politik anderer Städte zum Thema verkehrsberuhigte Stadtteile?

Ja, im Rahmen eines Forschungsprojektes, an dem wir gemeinsam mit Partnerorganisationen aus Berlin, Wien und Ljubljana arbeiten, wurden genau solche Räume für Austausch ins Leben gerufen. Es gibt eine europäische Peer Group auf städtischer Ebene, in der beispielsweise Vertreter*innen aus Barcelona, London, Amsterdam, Berlin oder Lodz vertreten sind. Organisiert vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu) treffen wir uns in regelmäßigen Abständen, um Austausch zwischen den verschiedenen Verwaltungen zu schaffen und konkrete Themen zu besprechen. Ein ähnlicher Rahmen wurde auch für zivilgesellschaftliche Initiativen geöffnet.

Auch in Großstädten gibt es Menschen, die auf Ihr Auto angewiesen sind. Die Rentnerin von nebenan, oder der Schreiner, der schweres Werkzeug transportieren muss, ist wahrscheinlich nicht begeistert von verkehrsberuhigten Berliner Kiezen. In diesem Kontext haben die Architektin Dr. Gloria Gavira und die bildende Künstlerin Susanne Bosch das argumentative Rollenspiel “AROSA” entwickelt. Was ist das “AROSA” und wie wurde es im Kontext der Berliner Kiezblocks und Bürgerbeteiligung verwendet?

AROSA ist ein Rollenspiel, in dem alle Spielteilnehmenden zu Beginn eine fiktive Rolle zugeteilt bekommen, die sie das Spiel über einnehmen sollen. Dabei sind die Rollen selber zwar fiktiv, von der Idee her stellen sie aber unterschiedlichen Typen dar, die in den jeweiligen Kiezen vertreten sind bzw. es sein könnten. Beispielsweise eine Lehrerin, die im Kiez arbeitet und am Stadtrand wohnt und daher mit dem Auto fahren möchte, oder eine Radfahrerin, die sich mehr Platz und Sicherheit für Fahrradfahrende wünscht. Die Idee ist, dass die Spielteilnehmenden für eine Sichtweise argumentieren müssen, die nicht der eigenen entspricht. Dass sie über die Argumente für diese Rolle nachdenken müssen. Gleichzeitig soll am Ende des Spiels eine Einigung über die Verkehrsberuhigung im Kiez gefunden werden. Der Fokus liegt also nicht (nur) auf dem Austeilen von Argumenten, sondern darauf zu verstehen, wieso die anderen bestimmte Dinge fordern und wünschen und welchen gemeinsamen Nenner man hier finden kann. Wir haben das Spiel am Ostkreuz in Friedrichshain durchgeführt und den Ostkreuz Kiez auch als Beispiel genommen.

Können Sie sich vorstellen, dass das Spiel auch in anderen Kontexten verwendet werden kann? In welchen?

Ich glaube, dass sich Rollenspiele prinzipiell gut eignen, um in verfahrenen Situationen zu neuen Lösungen zu kommen und besonders um mehr Verständnis für die andere Seite zu schaffen. Ich denke, sie sind besonders gut für lokale Kontexte geeignet, in denen die Spielteilnehmenden direkt von der Situation betroffen sind. Im Zuge der Klimakrise werden da einige Herausforderungen auf uns zukommen, die Mobilitätswende ist hier ja nur ein Aspekt. Passend zum aktuellen Geschehen stelle ich mir beispielsweise ein Rollenspiel zum Umgang mit der Klimakrise und Protestformen, z. B. von Last Generation vor.

Nicolina Kirby ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. Sie beschäftigt sich mit den Effekten verschiedener Formen politischer Partizipation. Unter anderem am Beispiel der Berliner Kiezblocks-Bewegung untersucht sie ihre Wirkung auf transformative Resilienz und urbane Transformationsprozesse.

Literaturhinweise

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Demokratie! Nein danke? Demokratieverdruss in Deutschland Buch

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Protest und Engagement: Wohin steuert unsere Protestkultur? Buch

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Dieter Rucht

Die Anti-Atomkraftbewegung Buchabschnitt

In: Roth; Rucht (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Campus, Frankfurt am Main, 2008.

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Heinz Bude; Andreas Willisch (Hrsg.)

Das Problem der Exklusion: Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige Sammelband

Hamburger Edition, Hamburg, 2006, ISBN: 978-3936096699.

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