Bürgerbeteiligung implementieren

Von guten Vorsätzen zum Prinzip des täglichen Handelns

Der Partizipationsexperte Andreas Paust zieht Vergleiche zwischen guten Vorsätzen und gelingender Partizipation. Daraus leitet er Umsetzungshinweise für gute Bürgerbeteiligung ab.

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EINLEITUNG

So wie die Umsetzung guter Vorsätze zum neuen Jahr ein hohes Maß an Beharrlichkeit benötigt, erfordert auch die Etablierung guter Partizipation als Prinzip des täglichen Handelns gleichbleibend hohe Anstrengungen. Welche Aspekte für die Ausgestaltung guter Bürgerbeteiligung von besonderer Wichtigkeit sind und welche Herausforderungen gemeistert werden müssen, um Bürgerbeteiligung zu einem alltäglichen Handlungsprinzip zu machen, wird im Folgenden erläutert.

REALISTISCHE ZIELE

Genau wie bei guten Vorsätzen ist es wichtig, bei Bürgerbeteiligungsverfahren nicht mit zu hoch gehängten Zielen zu starten. Das realistische Ziel von Bürgerbeteiligung ist es, Anregungen und Vorschläge für die Politik zu erarbeiten – nicht aber die Welt zu retten. Dabei stellt sich immer die Frage, wie die Verwertung der Beteiligungsergebnisse erfolgt und ob eine ergebnisrelevante Berücksichtigung der Beteiligungsinputs im politischen Entscheidungsverfahren stattfindet. Hier bestehen erfahrungsgemäß starke Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der Bürger und den Möglichkeiten der Beteiligenden. Erstere wünschen sich Ergebnisoffenheit, doch diese besteht selten. Viele Projekt- sowie Verfahrensaspekte sind bereits in der Frühphase des Vorhabens festgelegt und aus juristischen, finanziellen oder politischen Gründen der Beeinflussung durch die Öffentlichkeit entzogen. Andere Komponenten können die Beteiligenden nicht alleine entscheiden. Auf Ministerialebene sind hier beispielsweise Ressortabstimmungen zwischen mehreren Ministerien zu nennen, die am Ende in einen Kabinettsbeschluss münden. Um bei den Teilnehmern eines Beteiligungsverfahrens keine falschen Erwartungen zu wecken, ist es daher äußerst wichtig, dies im Vorhinein klar zu kommunizieren. Eine transparente Kommunikation der Rahmenbedingungen für die Beteiligung beugt Enttäuschungen bei allen Mitwirkenden vor.

KONKRET UND DOCH FLEXIBEL

Weitere Erfolgskriterien guter Bürgerbeteiligung sind vorab eine klare Festlegung sowie eine transparente Kommunikation von Umfang und Eckpunkten des Beteiligungsverfahrens. Trotz dieser notwendigen Konkretisierungen darf die Prozessflexibilität dabei nicht verloren gehen. Komplexe Beteiligungsverfahren lassen sich nicht im Voraus vollständig durchplanen, sondern müssen während des Verfahrens anpassbar sein. Daher ist es für den Erfolg eines Beteiligungsverfahrens unumgänglich, dass die Beteiligenden stets offen für Korrekturen ihres Beteiligungsdesigns bleiben. Zudem muss von vornherein klar gemacht werden, dass jedes Verfahren einzigartig ist und der Adaption von Best Practices daher enge Grenzen gesetzt sind. Dies macht natürlich die Lektüre von Dokumentationen anderer Beteiligungsverfahren nicht obsolet.

Damit die Forderungen nach klarer Festlegung von Eckpunkten und Offenheit im Verfahren nicht zu einem unauflösbaren Widerspruch werden, kann es sinnvoll sein, eine mit Bürgern besetze Steuerungsgruppe oder einen Beirat für Bürgerbeteiligung einzusetzen. Dieser ist in die Konzeption von Beteiligungsverfahren involviert und begleitet sie inhaltlich.

TIMING

Das passende Timing ist für gute Partizipation gleichermaßen wichtig wie schwierig. Häufig ist es bereits zu spät, wenn an Bürgerbeteiligung gedacht wird. Dies lässt sich mit dem „Anschnall-Paradox“ beschreiben: Wer sich nicht im Auto anschnallt, denkt erst daran, wenn es bereits zu spät ist und er im Graben liegt. Bürgerbeteiligung sollte deshalb – genau wie das Anschnallen – in Fleisch und Blut übergehen. Dann wird Beteiligung so früh wie möglich initiiert, weil sie zu einem Automatismus geworden ist, an den nicht erst erinnert werden muss. Eng zusammen damit hängt das „Beteiligungsparadox“: Zu Beginn eines Verfahrens sind die Einflussmöglichkeiten der Menschen am größten, jedoch das Interesse bzw. die wahrgenommene Betroffenheit am geringsten. Beides steigt mit Fortschreiten des Prozesses, doch die Mitwirkungsmöglichkeiten nehmen stetig ab.

FÖRDERUNG DER BETEILIGUNGSKULTUR

Wie auch bei guten Vorsätzen, ist es bei Bürgerbeteiligungsprozessen ratsam, bereits kleine Erfolge zu feiern. Den Teilnehmern sollte vermittelt werden, dass auch wenn ihre Ergebnisse am Ende vielleicht nicht – vollständig – umgesetzt werden können, gut gemachte Bürgerbeteiligung immer ein Erfolg ist. Denn durch jedes Beteiligungsverfahren wird die Beteiligungskultur gefördert. Bei jedem Format treffen Menschen aufeinander, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären, Bürger erhalten die Möglichkeit, Entscheidungsträgern ihre Ideen vorzustellen und alle Teilnehmer lernen etwas dazu. Sie haben bspw. an einem spannenden Verfahren oder einer anregenden Veranstaltung teilgenommen, etwas über das Thema und die politischen Prozesse erfahren. Und sie haben festgestellt, dass es ganz unterschiedliche, aber durchaus legitime Meinungen geben kann. Auch wenn damit nicht die Welt gerettet wird, ist es doch ein sehr weitreichendes Ergebnis. Denn in einer Zeit von Filterblasen und Echokammern ist es ein Erfolg, wenn ganz verschiedene Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Deshalb ist es lohnenswert, Politiker in Beteiligungsverfahren einzubinden. Das kann beispielsweise bedeuten, Ausschussmitglieder, örtliche Abgeordnete oder lokale Mandatsträger zu Arbeitstreffen und Präsentationsveranstaltungen einzuladen. Diese müssen nicht unbedingt als Teilnehmer der Beteiligung involviert sein, sondern können lediglich eine Beobachterrolle annehmen. Die Einbindung von Entscheidungsträgern fördert die Beteiligungskultur, da sie einerseits gegenüber den Bürgern Wertschätzung für den Partizipationsprozess ausdrückt, andererseits zur „Erdung“ der Politiker beiträgt, die auf diese Weise ebenfalls etwas dazulernen.

TEILNEHMERAUSWAHL

Die Auswahl der Teilnehmenden an einem Beteiligungsformat ist ein elementarer Aspekt, der die Qualität der Bürgerbeteiligung mitbestimmt. Ein probates Mittel der Teilnehmerauswahl ist die Zufallsauswahl. Durch eine Auswahl von Mitwirkenden per Zufall kann sichergestellt werden, dass unterschiedliche Menschen mit heterogenen Meinungen miteinander ins Gespräch kommen und Filterblasen platzen. Aber auch eine gezielte Auswahl von Teilnehmern nach bestimmten Kriterien kann zu einer gemischten Zusammensetzung von Beteiligungsgremien führen.

Bei großen und brisanten Verfahren darf es aber nicht bei zufällig ausgewählten oder gezielt eingeladenen Bürgern bleiben. Es ist zu erwarten, dass es über diese Bürger hinaus weitere gibt, die sich ebenfalls beteiligen möchten. Insbesondere bei kontroversen Themen sollte deshalb jedermann die Möglichkeit zur Beteiligung erhalten. Eine einfache Möglichkeit dazu sind Onlineplattformen.

INNERE VERPFLICHTUNG

Die erfolgreiche Umsetzung guter Vorsätze hängt maßgeblich von der persönlich empfundenen Wichtigkeit des Vorhabens ab. So ist auch der Schlüssel guter Bürgerbeteiligung die Haltung derjenigen, die sie durchführen. Daher gilt innerinstitutionelle Beteiligung als erster wichtiger Schritt für eine gelebte Beteiligungskultur. Mitarbeiter einer Institution sollten die Möglichkeit haben, sich in der Gestaltung des Designs von Beteiligungsprozessen einbringen zu können, um eine „innere Verpflichtung“ bezüglich Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Gute Bürgerbeteiligung braucht ein Commitment der Akteure. Darüber hinaus müssen Mitarbeiter ausreichend qualifiziert sein, um erfolgsversprechende Beteiligungsverfahren durchführen zu können. Daher sollten sie hinsichtlich der erforderlichen Kompetenzen kontinuierlich geschult werden.

NEUE BETEILIGUNGSMÖGLICHKEITEN

Um nachhaltig eine lebendige Beteiligungskultur in Deutschland zu etablieren, braucht es neue Optionen zur politischen Teilhabe. Dies könnte zum Beispiel die im Koalitionsvertrag der Großen Koalition zugesagte Beteiligungsplattform für alle veröffentlichen Gesetzesentwürfe der Bundesregierung sein. Sie soll der transparenten Beteiligung von Bürgern und Verbänden dienen und die Kommentierung von Gesetzesvorhaben ermöglichen. Hier gehen die Landesregierung Baden-Württemberg und der Thüringer Landtag mit gutem Beispiel voran.

FAZIT

Damit Bürgerbeteiligung nicht lediglich ein guter Vorsatz bleibt, sind etliche Hürden zu nehmen. Gute Partizipation basiert auf realistischen Zielen sowie auf konkret definierten Rahmenbedingungen und gleichzeitig dem richtigen Maß an Flexibilität. Eine frühe Beteiligung ist genauso essentiell wie die Einbindung aller relevanten Akteure. Und auch wenn jeder gute Bürgerbeteiligungsprozess als erfolgreiche Förderung der Beteiligungskultur gefeiert werden kann, braucht eine nachhaltig lebendige Beteiligungskultur zusätzlich neue Möglichkeiten der Beteiligung auf allen politischen Ebenen. Die Implementierung von Bürgerbeteiligung als Prinzip des täglichen Handelns mag anstrengend sein, doch das Ergebnis eines gestärkten demokratischen Gemeinwesens lohnt den Aufwand.

Der Text ist die Überarbeitung einer Stellungnahme zu den Bürgerbeteiligungsleitlinien des Bundesumweltministeriums vom 16. Januar 2019.

Zur Person

Dr. Andreas Paust befasst sich seit vielen Jahren haupt- und nebenberuflich mit politischer Partizipation und Bürgerbeteiligung. Er hat als Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung die Allianz Vielfältige Demokratie aufgebaut und ist Betreiber des Bürgerbeteiligungs-Blogs partizipendium.de. Er führt Workshops und Vorträge zum Thema Bürgerbeteiligung bei unterschiedlichen Trägern sowie als Inhouse-Veranstaltungen für Institutionen und Kommunen durch.

Literaturhinweise

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Steffen Rudolph

Digitale Medien, Partizipation, Ungleichheit. Eine Studie zum sozialen Gebrauch des Internets Buch

Springer VS, Wiesbaden, 2019.

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Jörg Sommer (Hrsg.)

KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3 Buch

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Wegweiser Breite Bürgerbeteiligung: Argumente, Methoden, Praxisbeispiele Online

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Allianz Vielfältige Demokratie/Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Bürgerbeteiligung, Volksabstimmungen, Parlamentsentscheidungen: Empfehlungen und Praxisbeispiele für ein gutes Zusammenspiel in der Vielfältigen Demokratie Online

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Danuta Kneipp; Anja Schlicht

Öffentlichkeitsbeteiligung und Krisenkommunikation bei Infrastrukturprojekten Buchabschnitt

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Jörg Sommer, Bernd Marticke

Die deutsche Endlagersuche wird partizipativ - und risikoreich Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Republik Verlag, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Esther Hoffmann; Wilfried Konrad; Franziska Mohaupt

Partizipative Produktentwicklung bei drei Energieversorgungsunternehmen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Katja Fitschen; Oliver Märker

Vom Flurfunk zur Mitarbeiterbeteiligung in öffentlichen Verwaltungen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Jennifer Schellhöh

Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung - die 'Alternative für Deutschland' auf dem Prüfstand Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Elisabeth Leicht-Eckardt; Marcia Bielkine; Daniel Janko; Daniel Jeschke; Kathrin Kiehl; Dirk Manzke

Urbane Interventionen - Impulse für lebenswerte Stadträume in Osnabrück Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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