Bürgerbeteiligung auf Bundesebene
In der abgelaufenen Legislaturperiode wollte die Bundesregierung mehr Beteiligung praktizieren. Aber ist ihr das auch gelungen? Welche Erfahrungen hat sie gesammelt und wie schätzen Experten die Bemühungen ein? Zu diesem Thema fand am 11. Juli 2017 eine Fachtagung auf Einaldung des Bundesumweltministeriums statt. Thematisiert wurden in verschiedenen Workshops außerdem Beispiele guter Bürgerbeteiligung auf Bundesebene, innovative Formate lokaler Beteiligung und Perspektiven von E-Partizipation sowie Open Government.
Die eintägige Veranstaltung, die viele Gäste aus dem Bereich der Politik und Zivilgesellschaft anzog, mündete in einer Podiumsdiskussion zum Thema „Placebo oder Gewinn? – Wie kann Bürgerbeteiligung die parlamentarische Demokratie sinnvoll stärken?“. Eine Stunde lang diskutierten fünf Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft über die Möglichkeiten einer partizipatorischen Stärkung der parlamentarischen Demokratie. Unter ihnen war auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Umweltstiftung und Direktor des neu gegründeten Berlin Instituts für Partizipation (bipar) Jörg Sommer. Er betonte die zentrale Herausforderung, sich schon im Planungsprozess über den Adressaten des Beteiligungsangebots klar zu werden: „Gerade bei der gegenwärtig weit verbreiteten e-Partizipation wird oft Bürgerbeteiligung geplant, jedoch schließlich faktisch Stakeholderbeteiligung praktiziert.“
In methodischer Hinsicht ging er außerdem auf die Idee der Zufallsbürger ein. Darunter werden per Zufall aus einer repräsentativen Stichprobe bspw. auf Grundlage von Daten der Einwohnermeldeämter ermittelte Personen verstanden. Das Prozedere findet u. a. im Rahmen des Suchverfahrens für einen Standort zur Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe Anwendung und soll dazu beitragen, die Gemeinwohlorientierung des Verfahrens zu sichern. Sommer bewertet das Werkzeug grundsätzlich positiv, betonte jedoch, dass es als alleiniges Beteiligungsinstrument unzureichend ist: „Sie müssen jedem Betroffenen im Verfahren zu jeder Zeit eine aktive Mitwirkungsmöglichkeit bieten. Zufallsbürger können hilfreich sein, aber wirkliche Beteiligung nicht ersetzen. Problematisch wird es insbesondere, wenn das Verfahren als pflegeleichte Variante aufgefasst wird, um direkt Betroffene nicht zu involvieren“. Diese Überlegungen gelte es auch zu bedenken, wenn über den wünschenswerten Ausbau der Bürgerbeteiligung auf Bundesebene nachgedacht werde, die laut Sommer „wünschenswert ist, aber zugleich auch eine große Herausforderung für alle Beteiligten darstellt“.
Die Dokumentation der Veranstaltung können Sie hier herunterladen.
Literaturhinweise
OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch
Experience, Paris, 2004.
Direkte Demokratie: Forschung und Perspektiven Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2003, ISBN: 978-3531138527.
Recipes for Public Spheres: Eight Institutional Design Choices and Their Consequences Artikel
In: The Journal of Political Philosophy, Bd. 11, Nr. 3, S. 338-367, 2003.
What can democratic participation mean today? Artikel
In: Political Theory, Bd. 30, Nr. 5, S. 677-701, 2002.
Massenmedien und lokaler Protest Buch
Westdeutscher Verlag, Opladen, 2002.
Deliberative Democracy and Beyond: Liberals, Critics, Contestations Buch
Oxford University Press, 2002, ISBN: 9780199250431.
Neue Formen politischer Beteiligung Buchabschnitt
In: Ansgar Klein; Ruud Koopmans; Heiko Geiling (Hrsg.): Globalisierung, Partizipation, Protest, S. 255-274, Leske+Budrich, Opladen, 2001, ISBN: 978-3-322-94936-3.
Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage Buch
Votum, Münster, 1999, ISBN: 9783933158147.
Rationalität durch Partizipation? Das mehrstufige dialogische Verfahren als Antwort auf gesellschaftliche Differenzierung. In: Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft Zeitschrift
Forum für interdisziplinäre Forschung, Bd. 17, 1996.
Public Participation in Science. The Role of Consensus Conference in Europe Buch
Science Museum, London, 1995.