Auf dem Weg zu einer (neuen) politischen Kultur der Beteiligung

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Das liberale Demokratiemodell, das in den ersten Nachkriegsjahren das politische Geschehen in der Bundesrepublik bestimmte, setzte beinahe ausschließlich auf politische Repräsentation. Die Bürger/innen konnten zwischen verschiedenen politischen Parteien wählen und waren ansonsten vom direkten Einfluss auf politische Entscheidungen entlastet. Die Bürger/innen machten ihren Einfluss vermittelt über Parteien geltend, politische Entscheidungen wurden für die Bürger/innen getroffen, nicht aber gemeinsam mit ihnen.

Einen ersten Impuls in Richtung auf eine Demokratisierung brachten die bürgerschaftlichen Proteste der späten 1960er Jahre und die Reform des Planungsrechts. In den Kommunen und auf der Länderebene etablierten sich neue Formen der politischen Partizipation. Im Zuge der direktdemokratischen Reformen der 1990er Jahre und der Revitalisierung dialogorientierter Beteiligungsformate verbanden sich partizipative Verfahren zunehmend mehr mit politischen Entscheidungsprozessen. Der Konflikt um den Stuttgarter Bahnhof zeigte schließlich exemplarisch, was geschehen kann, wenn die Kommunikation zwischen Politik und Bürgerschaft scheitert und zu einer tiefen Vertrauenskrise führt. Die Frage nach mehr Bürgerbeteiligung und einer Förderung der politischen Beteiligungskultur rückte in den Fokus der öffentlichen Debatte.

Mehr als drei Viertel der Menschen in Deutschland (76 %) halten es für sehr wichtig, dass sie – bevor die Politik Entscheidungen trifft – generell die Möglichkeit erhalten, ihre Sicht darzulegen und mit zu diskutieren (Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden-Württemberg 2014b: 18). Die Ansprüche an Transparenz und verantwortliches Regierungshandeln haben erheblich zugenommen. Die grundlegenden Entscheidungen, die in Deutschland im Rahmen der repräsentativen Institutionen getroffen werden, reichen vielen Bürger/innen als Legitimation nicht mehr aus. Die Bürger/innen wollen umfassend und transparent über geplante Vorhaben informiert und bei der Entscheidung beteiligt werden. Sie formulieren den Anspruch, nicht nur an der Frage des „Wie“ sondern auch des „Ob“ eines Vorhabens beteiligt zu werden. Mehr Beteiligung wird in den Augen der Bürger/innen ansonsten schnell zur reinen Symbol-Politik (Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden-Württemberg 2014b: 40).

Deutschland steht in den kommenden Jahren vor enormen gesellschaftlichen Herausforderungen. Mit dem Transfomationsprozess von einem fossilen in ein regeneratives Energiesystem stehen große infrastrukturelle Bauvorhaben an, neue Stromtrassen, regenerative Stromerzeuger und Energiespeicher müssen gebaut werden. Auch andere gesellschaftliche Konflikt-Themen stehen auf der  Agenda, die sinnvoll nur gemeinsam mit der Bürgerschaft bewältigt werden können. Beispiele sind die Themen Migration und Zuwanderung oder die großen ökologischen Herausforderungen des Klimawandels. Im Folgenden geht es um die Frage, wie sich die Beteiligungskultur in den vergangenen Jahren in Deutschland entwickelt hat. Welche Möglichkeiten haben die Bürger/innen, sich in politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen? Befindet sich die stark repräsentativ geprägte Demokratie auf dem Weg hin zu einer Demokratie, in der direktdemokratische und partizipative, dialogorientierte Mitgestaltungsmöglichkeiten die parlamentarische Demokratie ergänzen und stärken?

Politische Repräsentation

Die föderalen Strukturen in Deutschland und die kommunale Selbstverwaltung bieten grundsätzlich gute Voraussetzungen, die Bürger/innen an den politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die Strukturen der politischen Teilhabe sind in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich gestärkt worden. Die süddeutsche Ratsverfassung mit ihren direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten wurde in den 1990er Jahren in die Gemeinde- und Kreisordnungen der Länder aufgenommen. Die Wähler/innen können nun in den meisten Bundesländern durch Kumulieren und Panaschieren ihre eigene Wahlliste erstellen, auch freie Wählervereinigungen können sich zur Wahl stellen. Die Bürgermeister/innen werden direkt gewählt und gegebenenfalls auch wieder abgewählt. In einigen Bundesländern können Jugendliche bereits mit 16 Jahren wählen, EU-Bürger sind bei der Kommunal- und Europawahlen wahlberechtigt.

Die wichtigste Form der politischen Beteiligung ist die Beteiligung an Wahlen.1 Die Wahlbeteiligung in Deutschland sinkt seit Jahrzehnten auf allen föderalen Ebenen. Bei der Bundestagswahl 2013 war die Wahlbeteiligung die zweitniedrigste seit Gründung der Bundesrepublik.2 Fast ein Drittel der Bürger/innen verzichtete darauf, wählen zu gehen. Berücksichtigt man, dass 10 % der Bevölkerung im wahlfähigen Alter nicht wahlberechtigt sind3 und bei der Bundestagswahl 2013 über 15 % der abgegebenen Stimmen aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde nicht gezählt wurden, ergibt dies eine Repräsentationsquote von 59,5 % aller Wahlberechtigten und von 53,6 % aller Einwohner/innen im wahlfähigen Alter (Vehrkamp 2013: 2 ff.). Seit den 1980er Jahren wächst der Anteil derjenigen, die dauerhaft nicht mehr zur Wahl gehen.4

Zentrale Grundlage der Demokratie ist die Beteiligung möglichst vieler Bürger/innen, im Idealfall der gesamten Bürgerschaft. Alle sollen die Chance haben, sich zu beteiligen und Einfluss zu nehmen, das ist der normative Kern der Demokratie. Beim Blick auf die niedrige Wahlbeteiligung zeigt sich, dass die politische Ungleichheit in der Praxis massiv zunimmt (Schäfer et al. 2013: 8 f.). Empirische Untersuchungen zur Bundestagswahl 2013 ergeben, dass die Höhe der Wahlbeteiligung von der sozialen Lage der Einwohner/innen bestimmt wird. Je höher der Anteil der Einwohner/innen aus einem sozial schwierigen Milieu ist, je höher die Arbeitslosigkeit und je geringer der formale Bildungsstand, desto geringer ist die Wahlbeteiligung (Schäfer et al. 2013: 10-13). In der zunehmenden Ungleichheit der Wahlbeteiligung spiegelt sich die soziale Spaltung der Wählerschaft. Die Wahlergebnisse geben immer weniger die Wünsche und Interessen der gesamten Bevölkerung wieder. Überrepräsentiert sind die mittleren und oberen sozialen Milieus der Gesellschaft, deutlich unterrepräsentiert sind die Interessen der Menschen aus den sozial schwierigen Milieus. Was für die Bundesebene gilt, gilt in vergleichbarer Form auch für die anderen staatlichen Ebenen. Jüngstes Beispiel ist das Ergebnis der Bürgerschaftswahl in Hamburg, bei der die Wahlbeteiligung mit 56,9 % so niedrig wie nie zuvor war. Von den 560.000 Wahlberechtigten, die nicht wählen gingen, kamen überproportional viele aus sozial schwachen Milieus (Vehrkamp und Tillmann 2015).

Direktdemokratische Entscheidungsbeteiligung in den Ländern und Kommunen

Die direkte Demokratie ist die rechtlich verankerte Form der Bürgerbeteiligung: Die Bürger/innen können politische Sachentscheidungen selbst auf die Agenda setzen. Es liegt in ihrer Hand, die abschließende Entscheidung dann selbst zu treffen. Direktdemokratische Entscheidungsverfahren haben in der Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre hinein praktisch keine Rolle gespielt. Zwar gab es auf einigen politischen Ebenen direktdemokratische Instrumente (zum Beispiel in Baden-Württemberg), wegen ihrer restriktiven Zulassungs-Regelungen kamen sie aber in der Praxis kaum zur Anwendung.

Im Nachgang der friedlichen Revolution 1989 stand das Thema direkte Demokratie auf der Tagesordnung der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat.5 Konkret war zu entscheiden, ob künftig auf Bundesebene Volksbegehren und Volksentscheide möglich sein sollten. Verschiedene Gesetzesvorschläge, die aus der Zivilgesellschaft in die Diskussion eingebracht wurden,6 zielten darauf, die direktdemokratische Teilhabe auf Bundesebene zu ermöglichen. Realisiert ist die Volksgesetzgebung auf Bundesebene bis heute nicht.

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden in die Landesverfassungen aller ostdeutschen Bundesländer Regelungen zur Volksgesetzgebung aufgenommen. Die westdeutschen Bundesländer folgten diesem Vorbild im Laufe der 1990er Jahre, sei es, dass sie ihre restriktiven Regelungen lockerten, sei es, dass sie direktdemokratische Regelungen neu in die Verfassung aufnahmen. Konkrete Ausgestaltung und damit politische Wirksamkeit differieren stark von Bundesland zu Bundesland.

Die direktdemokratischen Regelungen für die kommunale Ebene sind in den Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen verankert und werden von den Länderparlamenten festgelegt. In fast allen Bundesländern gibt es seit Ende der 1990er Jahre Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Gemeinden, Städten und mit wenigen Ausnahmen auch Landkreisen. Im Jahr 2005 beschloss Berlin als letztes Bundesland entsprechende Regelungen. Die direkte Demokratie in den Kommunen ist seitdem flächendeckend verankert.

Seit Mitte der 1990er Jahre wächst die Zahl der kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerbescheide in deutschen Gemeinden, Städten und Landkreisen. Laut Bürgerbegehrensbericht 2014 fanden in den vergangenen Jahren jährlich zwischen 260 und 365 Bürgerbegehren und Ratsreferenden statt. Seit 1953 und bis Ende 2013 gab es in deutschen Kommunen insgesamt 6.447 direktdemokratische Beteiligungsverfahren. 83 % dieser Verfahren wurden per Unterschriftensammlung von den Bürger/innen selbst eingeleitet, 17 % vom Gemeinderat initiiert (Mehr Demokratie e.V. 2014).

Die aufgerichteten Hürden (zum Beispiel Quoren, Themenausschlüsse durch Negativlisten) unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland, so dass von den politischen Entscheidungsverfahren zum Teil nur wenig Gebrauch gemacht wird und Initiativen aus der Bürgerschaft von vornherein entmutigt werden oder scheitern. Durchschnittlich 28 % der eingeleiteten Verfahren wurden für unzulässig erklärt, sei es wegen der Überschreitung von Fristen, wegen des Ausschlusses von Themen oder wegen eines fehlenden oder ungenügenden Kostendeckungsvorschlags. Kommt es zu einem Bürgerentscheid, so sind mehr als die Hälfte der Entscheide (52 %) erfolgreich im Sinne der Abstimmungsvorlage.

Die Beteiligung bei Bürgerentscheiden ist in der Regel abhängig vom jeweiligen Thema sowie der Gemeindegröße. Im Durchschnitt nahmen mehr als die Hälfte der Abstimmungsberechtigten an den Abstimmungen über Bürgerentscheide teil (50,9 %).

Auf der Ebene der Bundesländer fanden von 1946 bis Ende 2014 insgesamt 324 direktdemokratische Verfahren statt. Bei den 299 Verfahren, die von den Bürger/innen durch Unterschriftensammlung initiiert wurden, kam es bei 85 zum Volksbegehren und schließlich bei 22 zum Volksentscheid. Im Jahr 2014 wurden in  den Bundesländern zwölf direktdemokratische Verfahren neu gestartet. Der einzige Volksentscheid im Jahr 2014 fand in Berlin statt und erreichte bundesweite Aufmerksamkeit. Er richtete sich gegen die Bebauung des Tempelhofer Flughafenfeldes und war im Sinne des Volksbegehrens erfolgreich (Mehr Demokratie 2015: 5).

Eine bundesweite Bürgerbewegung, die vom Verein Mehr Demokratie e.V. getragen wird, hat sich seit Anfang der 1990er Jahre mit Erfolg für die Ausweitung der direktdemokratischen Abstimmungsrechte auf lokaler und auf der Ebene der Bundesländer eingesetzt. In einigen Bundesländern wie beispielsweise Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein stehen weitere Reformschritte bevor. Die neuen Regelungen in Baden-Württemberg sehen beispielsweise vor, dass für eine Volksinitiative die Unterschriften von 0,5 % der Wahlberechtigten notwendig sind, beim Volksbegehren müssen 10 % der Bürger/innen (bisher 16 %) unterschreiben und das Zustimmungsquorum sinkt von bisher 33 auf 20 %.

Bürgerbeteiligung und dialogorientierte Beteiligungsverfahren

Erste Ansätze der bürgerschaftlichen Mitwirkung an politischen Entscheidungen reichen bis in die 1950er Jahre zurück. Es war überwiegend eine Bürgerbeteiligung der Etablierten und der demokratischen Eliten, etwa der Bürgervereine in den Kommunen. Zu einer rechtlichen Verankerung demokratischer Beteiligungsrechte kam es in der Folge der bürgerschaftlichen Proteste der späten 1960er Jahre, deren Ablehnung und Widerspruch sich auch gegen staatliche Planungsvorhaben richtete.

In der Bauleitplanung schlug sich dies in der Institutionalisierung und Regelung individueller Widerspruchsrechte nieder. Diese gesetzlich vorgeschriebenen und standardisierten Beteiligungsverfahren beschränken sich vor allem auf die Beteiligung der Betroffenen7 und die Regelung von Widerspruchsrechten. Je nach Gegenstand gibt es verbindliche Regelungen zu Fristen und zum Ablauf des Verfahrens, zu den Teilnehmer/innen und ihren Rechten, zu Art und Umfang der Beteiligung, zur Frage der Verbindlichkeit und des Umgangs mit den Ergebnissen.8 Diese „formellen“, institutionalisierten Beteiligungsverfahren sind detailliert festgeschrieben, offene Fragen durch eine umfangreiche Rechtssprechung geregelt.

Es hat früh Kritik an dieser Form der Widerspruchsbeteiligung gegen staatliche Planungen gegeben. Zu negativ und nur an Betroffeneninteressen orientiert, bietet diese Form der Beteiligung den Einwohner/innen keine positiven Gestaltungsmöglichkeiten. Robert Jungks Zukunftswerkstatt (Jungk und Müllert 1985) oder Peter C. Dienels Planungszelle (Dienel 1993) sind Beteiligungsverfahren, die in dieser Zeit entwickelt wurden. Sie verstanden sich auch als Versuche, auf eine konstruktive, gestaltende Bürgerbeteiligung zu setzen.

Vor diesem Hintergrund erweiterte sich in den 1970er Jahren das Angebot demokratischer Beteiligungsinstrumente. Neue Formen der Mitgestaltung und Mitentscheidung wurden erprobt und zum Bestandteil einer gelebten Demokratie. Damit änderte sich auch das Demokratieverständnis vieler Menschen.

Eine wichtige Rolle haben dabei soziale Bewegungen und die Bürgerinitiativbewegung gespielt, die in den 1960er und 1970er Jahren die demokratischen Handlungsmöglichkeiten nutzten und entscheidend zu einer neuen demokratischen Beteiligungskultur beitrugen. Die Leitidee einer „Demokratieentwicklung von unten“ zielte darauf, demokratische Gestaltungs- und Teilhaberegeln auch jenseits der traditionellen Sphäre des Politischen zu verankern und zur Grundlage aller gesellschaftlichen Lebensbereiche und Institutionen zu machen. Durch Kritik, Proteste und alternative Praxis gelang es den sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre, in vielen Politikfeldern Alternativen aufzuzeigen. Unberücksichtigte Interessen und Themen gelangten auf die politische Agenda und die Bereiche bewusster politischer Gestaltung wurden ausgeweitet. Themen, die zuvor als „unpolitisch“ galten, wurden politisiert (Roth und Rucht 2008). Zu denken ist beispielsweise an die Frage der Gleichberechtigung der Frauen oder die Thematisierung der langfristigen ökologischen Risiken als Folge industrieller Wachstumsprozesse. Auf diesem Hintergrund konnten sich Frauen- und Umweltpolitik als neue Politikfelder etablieren. Von besonderem Gewicht war zudem die Suche nach energiepolitischen Alternativen, die mit den Anti-Atom-Protesten in den 1970er Jahren begann.

Die friedliche Revolution 1989 und die Beratungen an den Runden Tischen brachten in Westdeutschland eine Rückbesinnung und Wiederbelebung der Bürgerbeteiligungs- und Dialogansätze der 1970er Jahre. Runde Tische wurden als Vorbild für eine neue Form konsensorientierter Politik begriffen und erprobt. Mit den Gesprächen an Runden Tischen verband sich die Erwartung, alle Beteiligten zu umfassenden Beratungen jenseits der Machtstrukturen zusammenzubringen und gemeinsam an konstruktiven gesellschaftlichen Problemlösungen zu arbeiten (Stiftung Mitarbeit 1992: 15). Mit konsensorientierten Bürgerbeteiligungs- und Dialogansätze wie der „Planungszelle“ und der „Politischen Mediation“ (Besemer et al. 2014) lässt sich die Vielfalt der Meinungen in der Bürgerschaft abbilden, es lassen sich verschiedene Lösungsalternativen entwickeln oder Konflikte befrieden. Zudem bieten dialogorientierte Beteiligungsprozesse praktikable Optionen zur Inklusion sozial benachteiligter oder schwer erreichbarer Bevölkerungsgruppen.

Die demokratische Perspektive begann sich in der Folge zu verändern. Politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse wurden zunehmend von partizipativen Beteiligungsverfahren begleitet. Kommunen setzen seit dieser Zeit verstärkt auf freiwillige dialogorientierte Beteiligungsangebote (Ley und Weitz 2012). Punktuell finden themenbezogene Bürgerforen, Zukunftskonferenzen, Runde Tische, Zukunftswerkstätten und Planungszellen statt, regelmäßige Beteiligungsgremien wie Jugendparlamente, Integrationsräte, Behindertenvertretungen und Seniorenbeiräte dienen der Einbeziehung spezifischer Bevölkerungsgruppen. In Bürgerhaushalten9 werden die kommunalen Finanzen diskutiert, lokale Demokratiebilanzen10 ermitteln die Qualität der lokalen Demokratie.

Eine wichtige Rolle bei der Stärkung der lokalen Demokratie spielen auch Impulse aus Bundes- und Länderprogrammen, die das Engagement und die Beteiligung der lokalen Bürgerschaft stärken wollen. Das Programm „Soziale Stadt“ beispielsweise unterstützt die Aktivierung und Beteiligung der Stadtbevölkerung, um auf diesem Weg die Wohn- und Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen zu verbessern. Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus setzen auf die Stärkung der Bürgergesellschaft durch „Lokale Aktionspläne“. Demokratische Initiativen sind zudem durch transnationale Initiativen angestoßen worden. Beispiele sind der lokale „Agenda 21-Prozess“ im Gefolge des UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 oder die Bürgerbeteiligung im Umweltschutz durch das „Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ im Gefolge der Aarhus-Konvention (Zschiesche 2008). Die Ratifizierung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat die lokalen Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche gestärkt (Stiftung Mitarbeit et al. 1999), die UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) hat die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen verstärkt ins Bewusstsein gebracht.11

Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung

Dialogorientierte Bürgerbeteiligungsverfahren und direktdemokratische Abstimmungen über Sachfragen zielen darauf, die kommunale Demokratie zu stärken. Es geht darum, den Einfluss der Bürgerschaft auf politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu erhöhen. Für Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sind die Einsatzmöglichkeiten, Verfahrensschritte, Rechte und Pflichten in den Gemeindeordnungen klar geregelt. Die Bürgerschaft kann selbst und unmittelbar über Sachfragen entscheiden. Anders sieht es bei den dialogorientierten Bürgerbeteiligungsverfahren aus. Ihre Ergebnisse sind in der Regel nicht verbindlich, sie können von den politischen Entscheidungsträgern übernommen werden oder auch nicht. Dialogorientierte Beteiligungsverfahren sind rechtlich nicht verankert, ihre Qualität ist nicht gesichert. Ihre Durchführung liegt in der Hand von Politik und Verwaltung. Nur in ganz wenigen Kommunen gibt es ein Initiativrecht, das es erlaubt, aus der Bürgerschaft heraus ein Beteiligungsverfahren zu einem bestimmten Vorhaben zu initiieren.

Verschiedene politische Initiativen der letzten Jahre zielen darauf, die partizipativen Verfahren rechtlich zu stärken und auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene neu zu regeln. Ein gewisses Interesse an einer solchen Institutionalisierung spiegelt sich in verschiedenen Handbüchern zur Partizipation, welche von Landes- und Bundesministerien herausgegeben werden (zum Beispiel Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2012 und Landesregierung Baden-Württemberg). Der Leitfaden für eine neue Planungskultur in Baden-Württemberg verfolgt das Ziel, „Bürgerbeteiligung in allen relevanten Bereichen fest zu verankern und dafür einen neuen regulatorischen und institutionellen Rahmen zu schaffen“ (Staatsministerium Baden-Württemberg 2013). Die entsprechende Verwaltungsvorschrift enthält verpflichtende Vorgaben zur frühen, verbindlichen und dennoch flexiblen Öffentlichkeitsbeteiligung bei Vorhaben des Landes und verpflichtet Genehmigungsbehörden, bei Vorhaben Dritter auf diese im Sinne der Verwaltungsvorschrift einzuwirken. Früh heißt dabei, die Information möglichst schon zu einem Zeitpunkt einzubringen, zu dem es noch möglich ist, über grundsätzliche Alternativen zu diskutieren, also auch die Frage des „Ob“ eines Vorhabens zu erörtern und ernsthaft zu prüfen (Landesregierung Baden-Württemberg 2013).

Auch die Reform der rechtlichen Beteiligungsverfahren bei der Öffentlichkeitsbeteiligung von Infrastrukturprojekten aus dem Jahr 2013 zielte in diese Richtung. Das Gesetz sieht vor, dass „die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet [wird] (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung gegeben werden.“12

Für die Kommunen geben die Kommunalverfassungen den rechtlichen Rahmen der Beteiligung vor. Hier sind die Möglichkeiten und Grenzen der Bürgermitwirkung und Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene abgesteckt. Dieser Rahmen wird von den Bundesländern gesetzlich festgelegt. In den Verfassungen sind verschiedene Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte der Bürger/innen geregelt.13 Regelungen für dialogorientierte und kooperative Verfahren fehlen bisher.

Das bundesweite Netzwerk Bürgerbeteiligung hat einen zukunftsweisenden Vorschlag erarbeitet, wie die Bürgerbeteiligung in den Kommunalverfassungen verankert werden könnte. Darin wird empfohlen, einen Paragraphen „Bürgerbeteiligung“ in die Gemeindeordnungen aufzunehmen, der verschiedene Beteiligungselemente bereitstellt, die – bei entsprechender Entscheidung der Kommune – ohne weitere Ergänzung anwendbar sind. Ziel ist es, die Schwelle für Beteiligungsverfahren in den Kommunen zu senken. Im Einzelfall soll die Kommune auf erprobte Instrumente und Organisationsformen zurückgreifen können, ohne dass der Handlungsspielraum der Kommune darauf beschränkt ist (Netzwerk Bürgerbeteiligung 2013b).

Damit Bürgerbeteiligung die Demokratie stärkt, müssen Beteiligungsprozesse gelingen. Gelingende Beteiligung braucht Qualität und Professionalität in der Durchführung und bei den Beteiligungsangeboten. Nur mit qualitativ gut gemachten Beteiligungsverfahren wächst die Zufriedenheit mit der Demokratie. Nur dann wird das Vertrauen in die Institutionen der repräsentativen Demokratie gestärkt (Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden- Württemberg 2014: 31 ff.). Die Erfahrungen mit dialogorientierten Beteiligungsprozessen haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass verschiedene Vorschläge für Qualitätsstandards guter Bürgerbeteiligung entwickelt worden sind.14 Das Netzwerk Bürgerbeteiligung hat allgemeine Qualitätskriterien für die Beteiligungspraxis erarbeitet, die es den Akteuren ermöglichen, ihre Beteiligungsprozesse selbst einzuschätzen und zu verbessern (Netzwerk Bürgerbeteiligung 2013a).

Die wichtigste Initiative zur Sicherung der Qualität und zur Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung kommt mittlerweile von der kommunalen Ebene. Einige Kommunen in Deutschland haben sich in partizipativen Prozessen ein Regelwerk gegeben, nach dem sie zukünftig Beteiligungsprozesse in ihrer Kommune organisieren wollen.15 Ziel ist es, eine verlässliche Grundlage für die Zusammenarbeit von Einwohner/innen, Politiker/innen und Verwaltung zu schaffen. Die Leitlinien sollen sicherstellen, dass Beteiligungsverfahren für Beteiligte zufriedenstellend sind und Enttäuschungen bei den beteiligten Bürger/innen möglichst vermieden werden.

Ein Beispiel ist die Bundesstadt Bonn, die in einem partizipativen Beteiligungsprozess die Leitlinien Bürgerbeteiligung Bonn erarbeitet hat.16 Die Leitlinien bieten einen Rahmen für die künftige Umsetzung von Bürgerbeteiligungsprozessen in Bonn, sie sollen zur Etablierung einer Beteiligungskultur beitragen. Ihre wichtigsten Prinzipien und Gestaltungsmerkmale sind:

  • Die Stadt informiert die Einwohner/innen frühzeitig über ihre Vorhaben (Vorhabenliste).
  • Jede Einwohnerin/jeder Einwohner kann Bürgerbeteiligung zu Vorhaben der Stadt anregen und sich beteiligen.
  • Qualitätskriterien guter Bürgerbeteiligung bilden die Grundlage der Leitlinien. Sie gelten für alle Beteiligungsverfahren in Bonn (formelle und informelle).
  • Das Beteiligungskonzept (die Gestaltungsregeln) der einzelnen Beteiligungsverfahren werden kooperativ geplant.
  • Die Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung berät und unterstützt die Bürger/innen.
  • Die Ergebnisse und Zwischenstände einer Bürgerbeteiligung werden in die breite Öffentlichkeit rückgekoppelt.
  • Ein paritätisch besetztes Gremium aus Politik, Verwaltung und Einwohnerschaft, der Beirat Bürgerbeteiligung, kontrolliert und begleitet die Beteiligungsprozesse in Bonn in allen Phasen, berät in strittigen Fragen und reflektiert die Ergebnisse der Evaluation.
  • Die Leitlinien werden auf der Grundlage der Auswertung der Beteiligungsprozesse kontinuierlich weiterentwickelt (Bundesstadt Bonn et al. 2014).

Die Leitlinien Bürgerbeteiligung Bonn sind im März 2014 vom Rat der Bundesstadt Bonn einstimmig verabschiedet worden und damit im Bonner Ortsrecht verankert.

Die Stadt Heidelberg hat ihre Leitlinien für eine mitgestaltende Bürgerbeteiligung in einer Beteiligungssatzung und Verwaltungsvorschrift festgeschrieben, seit dem Jahr 2012 werden die Leitlinien in der Praxis erprobt. Die Ergebnisse der Evaluation der ersten beiden Praxisjahre zeigen, dass die Bürgerbeteiligung in der Bevölkerung Heidelbergs auf große Zustimmung stößt. 92 % der Bürger/innen finden es wichtig oder sehr wichtig, dass sich die Bürgerschaft in Heidelberg an Vorhaben und Projekten der Stadt wie zum Beispiel Runden Tischen oder anderen Veranstaltungen beteiligen kann. Fast genauso viele Heidelberger/innen (91 %) finden, dass eine regelmäßige Bürgerbeteiligung ein guter Weg ist, um das Verhältnis zwischen Bürger/innen und Politik in Heidelberg zu verbessern.

Der mit den Leitlinien Bürgerbeteiligung beschrittene Weg der Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung und der Stärkung dialogorientierter Beteiligungsverfahren wird von einem großen Teil der Bürgerschaft gewünscht und unterstützt. Ob sich auch die Einstellungen gegenüber Politik und Verwaltung verändert haben, ist offen.17

Selbstorganisation und bürgerschaftliches Engagement

Rund zwei Drittel der bürgerschaftlich Engagierten in Deutschland sind in einer bürgergesellschaftlichen Organisation aktiv. Die Zahl gemeinnütziger Organisationen steigt stetig. Jüngere Erhebungen beziffern die Zahl der bei den Registergerichten eingetragenen zivilgesellschaftlichen Organisationen auf annähernd 620.000, den größten Anteil machen eingetragene Vereine aus (95 %) (Krimmer und Priemer 2013: 16). Nicht eingetragene Vereine mit eingerechnet, sind in der Bundesrepublik inzwischen weit über eine Million Organisationen mit Vereinscharakter aktiv. Die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen hat dazu beigetragen, dass auch der Stiftungssektor große Zuwächse verzeichnet, etwa die Hälfte der heutigen Stiftungen wurde zwischen den Jahren 2000 und 2010 gegründet. Besonders viele zivilgesellschaftliche Neugründungen gab es seit dem Jahr 2000 im Bereich der Bürger- und Verbraucherinteressen (zum Beispiel Verbraucherschutz, Quartiersmanagement, Stadtteilarbeit, Bürgerinitiativen und Freiwilligenagenturen), im Gesundheitswesen und zum Thema Internationale Solidarität (zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte, Fair Trade, Länder- und Städtepartnerschaften) (Krimmer und Priemer 2013: 17).

Die weit überwiegende Mehrheit der Vereine in Deutschland ist rein ehrenamtlich organisiert (78 %), 19 % arbeiten mit einer Kombination aus Haupt- und Ehrenamt. Öffentliche Mittel spielen bei der Finanzierung der organisierten Bürgergesellschaft eine geringe Rolle. Nur etwas mehr als ein Drittel der Vereine erhält öffentliche Mittel (37 %), vor allem die großen bürgerschaftlichen Organisationen und Erbringer sozialer Dienstleistungen sind hier zu finden. Die kleinen, ehrenamtlich organisierten Vereine wie beispielsweise Bürger- und Verbrauchervereine kommen zu über 80 % ohne staatliche Förderung aus.

Vereine, Stiftungen, Bürgerinitiativen, Genossenschaften und bürgerschaftliche Zusammenschlüsse sind die Orte, an denen gemeinsame Wertvorstellungen erarbeitet werden und ein gemeinsames Selbstverständnis entsteht. In dieser zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit organisieren Bürger/innen freie und offene Aushandlungsprozesse, hier werden Vorschläge und Ideen erarbeitet und Forderungen formuliert, die dann in den politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess eingebracht werden. Immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen öffnen sich nach außen und wenden sich mit ihrer Arbeit auch an Nicht-Mitglieder.18 Die Bürger/innen nehmen die Lösung sozialer Probleme selbst in die Hand, demokratisches Alltags-Handeln wird in einem gemeinsamen Lernprozess entwickelt, gelernt und geübt.

Der Ort aktiver Bürgerschaft sind die Kommunen, fast drei Viertel der Vereine (72 %) sind lokal verankert und vor Ort aktiv. Die Bürger/ innen engagieren sich, weil sie greifbare Wirkungen erzielen und Projekte selbst aktiv mitgestalten können. Das Innovationspotential der Bürgergesellschaft entfaltet hier seine Kraft. Viele zivilgesellschaftliche Neugründungen sind vom Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung und Mitbestimmung motiviert. Die Bürger/innen entwickeln mit Kreativität und ihrem Engagement gesellschaftliche Problemlösungen. Problemlösungen, die aus Kooperation, aus wechselseitigem Vertrauen, aus Wissen, Kompetenz und gemeinsamer Diskussion erwachsen. Insbesondere auf der kommunalen Ebene ist das Terrain offen für politische Lernprozesse und Gestaltungsexperimente, die auf eine neue Kooperations- und Beteiligungskultur mit mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung zielen. Hier wird die Demokratie als soziale Lebensform erlebbar.

Inklusive Formen der Beteiligung

In Deutschland wächst die soziale und politische Ungleichheit und Ausgrenzung. Es bedarf besonderer Anstrengungen, um eine gleichberechtigte politische Teilhabe sicherzustellen. Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, für Beteiligung zu gewinnen und sie dabei zu unterstützen, ihre Interessen zu artikulieren, erfordert eine nachhaltige Förderung inklusiver Formen der Beteiligung.

Zentral ist die Frage, wer dazu gehört. Wer kann und soll mitwirken? Kindern, Jugendlichen, Zugewanderten und Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen wird die Zugehörigkeit und Partizipation oft noch immer erschwert oder verweigert. Zu denken ist beispielsweise an die demokratischen Rechte der Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten, die von Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen sind.19 Faktisch bedeutet dies, dass es letztendlich vom guten Willen der Mehrheitsgesellschaft abhängig ist, ob die kommunalen Interessen dieser Bevölkerungsgruppe politisch zum Tragen kommen. Ein anderes Beispiel ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, hier fehlt es an verbindlichen Beteiligungsangeboten.20

Die partizipativen Beteiligungsverfahren müssen sich daran messen lassen, ob es ihnen gelingt, die Teilhabechancen ressourcenschwächerer Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Um die Beteiligung benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu fördern, bedarf es  zielgerichteter Maßnahmen und niedrigschwelliger Zugänge. Aufsuchende Methoden wie das Community Organizing (Forum für Community Organizing FOCO und Stiftung Mitarbeit 2014), die aktivierende Befragung (Lüttringhaus und Richers 2012) als Methode der Gemeinwesenarbeit oder das beteiligungsorientierte Planungsverfahren Planning for Real (Schwarz et al. 2010) verfügen über ein demokratisches und aktivierendes Potential der Beteiligung. Aufsuchende Formen der Beteiligung greifen die Themen des Alltags auf und machen sie zum Ausgangspunkt von Beteiligungsprozessen. Solche stadtteilbezogene Arbeit kann dann erfolgreich sein, wenn sie auf Kontinuität und Langfristigkeit angelegt ist. Im konkreten Beteiligungsprozess besteht die Aufgabe darin, aktivierende Versammlungs- und Beteiligungsformen zu finden, die der jeweiligen Lebenswelt entsprechen.21

Zusammenfassung und Ausblick

Die Stärke und Vitalität einer Demokratie ist davon abhängig, dass sie von einer stabilen Beteiligungskultur gestützt und getragen wird. Die Demokratie braucht das Vertrauen und Loyalität ihrer Bürger/innen, ihre politische Urteilsfähigkeit und Kritik. Die stark repräsentativ geprägte Demokratie in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich durch direktdemokratische und dialogorientierte Verfahren ergänzt worden. Dies war auch eine Reaktion darauf, dass gesellschaftliche Mehrheiten ihre Interessen immer weniger durch die politischen Parteien vertreten sehen. Sie wollen bei Fragen, die ihr Alltagsleben betreffen, beteiligt werden und auf wichtige politische Entscheidungen Einfluss nehmen. Die hohe Zustimmung der Bürger/innen zu direktdemokratischen und dialogorientierten Beteiligungsformen geht dabei nicht zulasten der repräsentativen Demokratie. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide (80 %) erhalten ähnlich hohe Zustimmungswerte wie Wahlen (82 %), das Engagement in Bürgerinitiativen (79 %) und die Teilnahme an Bürgerforen (73 %) (Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden-Württemberg 2014: 12).

Auch die Politik reagiert und öffnet sich für mehr politische Partizipation. In Baden-Württemberg gibt eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der „Politik des Gehörtwerdens“ ein Gesicht, in Rheinland-Pfalz hat eine Demokratie-Enquete strategische Handlungsempfehlungen entwickelt, die zu einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung führen sollen. In den Bundesländern sind die Hürden für direktdemokratische Entscheidungsverfahren verringert worden, Reformen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung von Infrastrukturprojekten eröffnen neue Möglichkeiten für die frühzeitige Einbeziehung der Bevölkerung.

Kommunen haben sich auf den Weg gemacht, die Bürgerbeteiligung ernsthaft zu erproben und in der kommunalen politischen Praxis zu verankern. Vorreiter sind die Leitlinien-Kommunen, die in partizipativen Prozessen ein Regelwerk erarbeitet haben, nach dem sie zukünftig Beteiligungsprozesse in ihrer Kommune organisieren wollen. Ziel ist es, eine verlässliche Grundlage für die Zusammenarbeit von Bürger/innen, Gemeinderäten und Verwaltung zu schaffen. Leitlinien und Beteiligungssatzungen schaffen einen institutionellen Rahmen, in dem Beteiligungsprozesse bürgerfreundlich organisiert werden können und Bürger/innen dauerhaft eine Stimme bekommen.

Dies alles deutet auf eine vielversprechende Entwicklung in Richtung einer Vitalisierung der Demokratie. Die hohen Erwartungen an eine beteiligungsorientierte Demokratie stehen aber weiterhin in einem deutlichen Missverhältnis zu den tatsächlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Die Zahl partizipativer Erfolgsbeispiele ist überschaubar geblieben. Die Leitlinien-Kommunen sind Vorreiter in Sachen Beteiligung, in der Breite mangelt es vielerorts am politischen Willen, die gestiegenen Mitgestaltungsansprüche der Bürgergesellschaft zu akzeptieren und auf Augenhöhe mit der Bevölkerung zu kooperieren.

Jenseits dessen ist es noch ein weiter Weg, die neuen Formen der Aushandlung, Mitentscheidung und Mitgestaltung allen Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Es bleibt eine große Herausforderung für die Zukunft, die partizipationsfernen, sozial schwächeren Gruppen der Bevölkerung, die keine Möglichkeit sehen, Einfluss auf ihre Lebensumwelt zu nehmen, zu stärken. Sozial Benachteiligte sind in allen Formen gesellschaftlicher Teilhabe unterrepräsentiert. Es besteht die Gefahr, dass durch mehr politischePartizipation gerade diese Bevölkerungsgruppen zusätzlich ausgegrenzt werden. Es bedarf gezielter Maßnahmen und angepasster, aufsuchender Beteiligungsformate, um allen Bevölkerungsgruppen die gleichen Beteiligungschancen zu eröffnen.

Insgesamt betrachtet fehlt es in Deutschland an einer breiten strategischen und infrastrukturellen Basis für mehr politische Partizipation. Das Netzwerk Bürgerbeteiligung hat in seiner Demokratiepolitischen Agenda Vorschläge gemacht, wie die partizipative Demokratie in Deutschland dauerhaft gestärkt werden kann (Netzwerk Bürgerbeteiligung 2014a). Ganz oben auf der Liste der Empfehlungen steht die Einrichtung von Demokratie-Enquetes auf Bundesebene und in den Ländern. Im Rahmen solcher parlamentarischer Beratungsgremien können – partizipativ flankiert von Demokratie-Audits, Demokratiebilanzen und Bürgerforen – zukunftsweisende Handlungsstrategien erarbeitet werden, die in Bund und Ländern die Demokratie stärken und beleben. Für die kommunale Ebene soll die Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung in Beteiligungssatzungen möglichst flächendeckender Standard werden (Netzwerk Bürgerbeteiligung 2014b).

Die Praxis der partizipativen Demokratie zeigt, wie wichtig es ist, eine nachhaltige Beteiligungs- und Engagement-Infrastruktur aufzubauen. Ein Baustein sind beteiligungsorientierte Verwaltungen, in denen die Bürgerbeteiligung als Querschnittsaufgabe verankert ist, die über Koordinierungsstellen/ Partizipationsbeauftragte22 und verwaltungsinterne Netzwerke verfügen und sich in beteiligungsfreundlichen Strukturen und Abläufen organisieren. Erst langsam öffnet sich die Verwaltungsausbildung und -weiterbildung dem Beteiligungsthema und vermittelt die notwendigen Kompetenzen und die Grundprinzipien einer nachhaltigen kommunalen Bürgerbeteiligung.

Ein weiterer infrastruktureller Baustein sind kommunale Anlaufstellen, welche die Bürger/innen dabei unterstützen, Verantwortung zu übernehmen und sich an politischen Prozessen und Entscheidungen zu beteiligen. Zu denken ist an Beteiligungsbüros, die das Wissen über die Umsetzung von Beteiligungsprozessen vermitteln, bürgergesellschaftliche Netzwerke vor Ort unterstützen und die Selbstorganisation in Gruppen fördern. Es braucht lokale Bündnisse, welche das politische Lernen in den Kommunen fördern, potentielle Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und die notwendigen Schlüsselqualifikationen (soziale, kommunikative und „Gewusst-Wie“-Kompetenzen) des sozialen und politischen Engagements vermitteln. Kurz gesagt, es braucht Akteure, die den kulturellen Wandel hin zu einer Beteiligungskultur tragen und befördern. Dieser kulturelle Wandel ist ein langfristiger Prozess, der Zeit brauchen wird, um im „kollektiven Gedächtnis“ verankert zu werden.

Literatur

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  • Zschiesche, Michael 2008: Einmischen! Rechtliche Wege der Bürgerbeteiligung im Umweltschutz. Unabhängiges Institut für Umweltfragen e.V., Berlin.

Anmerkungen

1 Fast zwei Drittel (64 %) der Bürger/innen in Deutschland halten die Stimmabgabe bei Wahlen weiterhin für die wichtigste Form demokratischer Mitwirkung (vgl. Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden-Württemberg 2014: 11).

2 Mit 71,5 % lag die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 um 0,7 % über der niedrigsten Wahlbeteiligung seit Gründung der Bundesrepublik (Bundestagswahl 2009). Von den 61,8 Millionen Wahlberechtigten gingen 17,6 Millionen nicht zur Wahl.

3 Einwohner/innen aus Nicht-EU-Staaten sind vom Wahlrecht ausgeschlossen.

4 Von den 17,6 Millionen Nichtwähler/innen bei der Bundestagswahl 2013 haben mehr als zwei Drittel (70 %) auch bei der Bundestagswahl 2009 auf ihr Wahlrecht verzichtet (vgl. Infratest-dimap 2013: 16).

5 Die gemeinsame Verfassungskommission hatte den Auftrag, nach der Wiedervereinigung über Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes nachzudenken und entsprechende Vorschläge zu formulieren.

6 Das Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder legte im Frühjahr 1991 den Entwurf einer neuen Verfassung für das wiedervereinigte Deutschland vor. Das Ziel einer umfassenden demokratischen Teilhabe aller Bürger/innen ist im Artikel 2, Absatz 3 des Verfassungsentwurfs als individuelles Grundrecht verankert: „Jeder Mensch hat das Recht, in Staat und Gesellschaft seine Belange durch demokratische Teilhabe zu wahren.“ (vgl. Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder 1991). Mit dem „Hofgeismarer Entwurf“ legte die Stiftung Mitarbeit im Jahr 1991 einen eigenen Gesetzesentwurf zur Volksgesetzgebung auf Bundesebene vor (vgl. Stiftung Mitarbeit 1991).

7 Das Planungsrecht definiert Betroffenheit im § 73, Abs. 4 S. 1 VwVfG: „Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann (…) Einwendungen gegen den Plan erheben.“ Im Baugesetzbuch heißt es in § 4 Abs. 3 S. 4 BauGB: „(…) Die Einholung der Stellungnahme kann auf die betroffene Öffentlichkeit beschränkt werden.“ Unter „Belang“ wird „jedes in die Abwägung einzustellende, eigene und schutzwürdige Interesse des Betreffenden“ verstanden.

8 Auch den formellen Beteiligungsverfahren wurden seitdem mehr und mehr freiwillige, rechtlich nicht formalisierte Beteiligungsverfahren vorgeschaltet. Das Planungsrecht lässt in dieser Hinsicht große Spielräume. Ein Beispiel ist die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung (§ 3 Absatz 1 Satz 1 Baugesetzbuch): „Die Öffentlichkeit ist möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentliche unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten; ihr ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben.“

9 Von 432 erfassten Kommunen führten im Jahr 2014 insgesamt 87 Kommunen einen Bürgerhaushalt ein oder führten ihn fort (vgl. Ruesch und Ermert 2014: 4).

10 Probleme, Schwachstellen und Verbesserungsbedarf der lokalen Demokratie zu erkennen und aufzugreifen, ist das Ziel der lokalen Demokratieberichterstattung. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Qualität einer lokalen Demokratie und Beteiligungskultur ermitteln und bewerten. Grundlage ist ein kontinuierlicher Prozess der partizipativen Selbstevaluation, bei dem der erreichte Grad der Engagement- und Beteiligungsorientierung in einer Kommune ermittelt und dokumentiert wird, die Ergebnisse fließen in einen lokalen Demokratiebericht ein. Auf seiner Grundlage werden dann konkrete Maßnahmen und Projekte zur weiteren Stärkung der lokalen Demokratie entwickelt. Einige Kommunen des CIVITAS Netzwerk Bürgerorientierte Kommunen haben die lokale Demokratiebilanz zur Grundlage kommunaler Reformprozesse gemacht. Als Pilotkommune fungierte Viernheim, später kamen Leipzig, Heidelberg, Nürtingen und Weyarn hinzu. Die Bürgerbefragung 2002 in Viernheim und der Leitfaden „Verwaltungsenquete zur Lokalen Demokratiebilanz“ sind in einer Arbeitshilfe zusammengefasst (vgl. Gemeinschaftsinitiative Civitas Netzwerk und Stiftung Mitarbeit 2002).

11 Die UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) verpflichtet die Unterzeichnerstaaten sicherzustellen, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können“ und „aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können, und ihre Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen.“ (Artikel 29, Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben), (vgl. Deutscher Bundestag 2008: 1441 f).

12 § 25 Absatz 3, Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG).

13 Hierzu zählen insbesondere Anwesenheits- und Anhörungsrechte (zum Beispiel öffentliche Sitzungen von Ausschüssen und Ratsversammlungen, Bürgeranhörungen, Fragestunden), Antrags- und Initiativrechte (Einwohnerantrag/Bürgerantrag, Anregungen und Beschwerden) und die Regelungen zur direktdemokratischen Beteiligung der Bürger/innen.

14 Eine Übersicht findet sich auf der Website des Netzwerk Bürgerbeteiligung unter www. netzwerk-buergerbeteiligung.de/kommunale-beteiligungspolitik-gestalten/qualitaetskriterienbuergerbeteiligung.

15 Das Netzwerk Bürgerbeteiligung hat eine Sammlung kommunaler Leitlinien zur Bürgerbeteiligung zusammengestellt, die kontinuierlich fortgeschrieben wird (vgl. Netzwerk Bürgerbeteiligung 2015).

16 Die AG Leitlinien Bürgerbeteiligung Bonn bestand aus 23 Mitgliedern: acht durch Losverfahren zufällig ausgewählte Einwohner/innen, acht Vertreter/innen der Ratsfraktionen und sieben Mitarbeiter/innen aus unterschiedlichen Dezernaten der Verwaltung.

17 vgl. Amt für Stadtentwicklung und Statistik. Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung 2014: Evaluation der Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung – Verwaltungsinterner Evaluationsbericht. Heidelberg; Klages, Helmut/Vetter, Angelika/Arbeitskreis zur Evaluation der Leitlinien für Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg 2014: Evaluationsbericht zu den Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg 2014. Zusammenfassung. Heidelberg; Forschungsgruppe Wahlen (Hrsg. Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, Amt für Stadtentwicklung und Statistik) 2014: Heidelberg-Studie 2013. Ergebnisse einer Umfrage in Heidelberg, Schriften zur Stadtentwicklung, Heidelberg.

18 Im Jahr 1950 richteten sich 54 % der Angebote und Leistungen der Vereine ausschließlich an die Vereinsmitglieder, nach dem Jahr 2000 waren es noch 15 % (vgl. Krimmer und Priemer 2013: 26).

19 Der Verein Mehr Demokratie e.V. schlägt beispielsweise die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts für Nicht-EU-Bürger/innen vor. Jeder Mensch, der sich länger als fünf Jahre legal in Deutschland aufhält, das erforderliche Wahlalter erreicht und die sonstigen Bedingungen erfüllt hat, soll aktiv wie passiv an der Kommunalwahl teilnehmen dürfen.

20 Zentrale Aspekte der Kinder- und Jugendbeteiligung sind in den „Thesen und Anstöße für eine öffentliche Diskussion“ formuliert, die ihm Rahmen der Kampagne „50 Jahre Grundgesetz. Die Bürgergesellschaft lebt!“ entwickelt wurden: „(14) Demokratie erfordert die Ermutigung und Befähigung von Kindern und Jugendlichen zum aktiven und altersgemäßen Mitgestalten ihrer Lebenswelten in Familie, Kindergarten, Nachbarschaft, Gruppe, Verein, Schule und Lehrwerkstätte. (…) (15) Demokratisches Verhalten und Handeln muss bereits in jungen Jahren praktisch eingeübt werden. Deshalb sollen die Bildungseinrichtungen so organisiert, verwaltet und geführt werden, dass sie Selbst- und Mitbestimmung ermöglichen. (16) Junge Menschen müssen Chancen erhalten, ihre Befähigungen in der Praxis zu erproben, weiter zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Dieses Lernen bedarf der persönlichen und partnerschaftlichen Begleitung durch die Erwachsenen, die sich ihrerseits zu aktiven, eigenverantwortlichen Bürger/ innen weiterbilden müssen“ (vgl. Aufgaben und Ziele der Bürgergesellschaft. Thesen und Anstöße für eine öffentliche Diskussion (in: Stiftung Mitarbeit et al. 1999: 189)).

21 Zur Diskussion aktivierender Ansätze im Stadtteil vgl. Lüttringhaus und Richers, 2013.

22 Unter dem Dach des Netzwerks Bürgerbeteiligung hat sich das Netzwerk kommunaler Partizipationsbeauftragter gegründet. In dem Netzwerk haben sich die Mitarbeiter/ innen, die in ihren Kommunalverwaltungen für die Bürgerbeteiligung zuständig sind (Stabsstellen, Koordinierungsstellen, Beauftragte) zusammengeschlossen. Die kommunalen Partizipationsbeauftragten sind in ihren Kommunen für die strategische Entwicklung der Bürgerbeteiligung zuständig (vgl. http://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/kommunalebeteiligungspolitik- gestalten/beteiligungsorientierte-verwaltung/netzwerk-kommunalepartizipationsbeauftragte/).

Der Autor

Hanns-Jörg Sippel, geb. 1957 in Bochum, ist Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Mitarbeit. Er war bis 2014 Mitglied der Aufbaugruppe und ist nun Mitglied der Vorbereitungsgruppe des Netzwerks Bürgerbeteiligung. Die Arbeitsschwerpunkte des Sozialwissenschaftlers sind die Demokratieentwicklung, politische Partizipation und E-Partizipation sowie die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch webgestützte Informations- und Serviceleistungen.

Dieser Text ist dem kostenlos erhältlichen ersten KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG entnommen, dessen Nachfolger im Herbst 2016 erscheint.

Literaturhinweise

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

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Steffen Rudolph

Digitale Medien, Partizipation, Ungleichheit. Eine Studie zum sozialen Gebrauch des Internets Buch

Springer VS, Wiesbaden, 2019.

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