„Aktivisten im Geiste“

Foto: ITU Pictures via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC 2.0

Das Centrum für soziale Investition und Innovationen der Universität Heidelberg hat eine Studie zu Bürgerbeteiligung veröffentlicht. Dafür wurden Menschen interviewt, die in unmittelbarer Nähe zu Projekten der Stadtentwicklung, der Energiewende und der regionalen Wirtschaftsförderung leben. Es ging dabei um die Teilbebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin, den Ausbau von Windenergie in der Region Stuttgart und den Bau eines Möbelhauses auf einem Schrebergartengelände in Kiel. Die Forscher konzentrierten sich auf die Bürger, die trotz einer als negativ empfundenen Betroffenheit nicht aktiv wurden, was auf annähernd zwei Drittel der 200 Befragten zutraf. Beim Tempelhofer Feld lag der Anteil dieser Gruppe sogar bei mehr als 90 Prozent.

„Fast alle gaben an, dass sie eine moralische Verpflichtung sehen, sich aktiv bei Infrastrukturvorhaben im unmittelbaren Umfeld zu engagieren“

„Bemerkenswert ist, dass das Nicht-aktiv-Werden der meisten Befragten nicht daran liegt, dass sie die Möglichkeiten von Partizipation nicht kennen oder nicht wertschätzen – im Gegenteil: Fast alle gaben an, dass sie eine moralische Verpflichtung sehen, sich aktiv bei Infrastrukturvorhaben im unmittelbaren Umfeld zu engagieren“, erklärt Hanna Hielscher, die die Befragung gemeinsam mit Dennis Klink durchgeführt hat. Die Tatsache, dass sie dies dennoch nicht taten, rechtfertigten sie beispielsweise mit dem Hinweis darauf, dass sie stattdessen „Überzeugungsarbeit im Freundes- und Familienkreis“ leisteten. „Die Beteiligungskultur und die Pflicht des aktiven Bürgerseins scheinen verinnerlicht zu sein, nicht jedoch ihre Umsetzung.“

„Zur Lösung des Problems delegieren daher viele Bürger Engagement und Verantwortung an Bürgerinitiativen oder andere zivilgesellschaftliche Akteure – mit der Tendenz, zum Teil blindes Vertrauen in diese zu setzen“, sagt Dennis Klink.

„Zur Lösung des Problems delegieren daher viele Bürger Engagement und Verantwortung an Bürgerinitiativen“

Dieses „Engagement-Outsourcing“ an „Partizipationsdienstleister“ wirft nach Einschätzung der Wissenschaftler weitreichende Fragen auf: Besitzt die Bürgerbeteiligung so überhaupt eine Legitimität und werden Bürgermeinungen tatsächlich adäquat repräsentiert? „Auffällig ist, dass sich die individuellen Vorstellungen für ein gewisses Projekt oft nicht oder nur teilweise mit denen der Bürgerinitiative decken. Diese moralisch zu unterstützen, scheint vielen Befragten dennoch der richtige Weg zu sein, ihre Einflusschancen zu wahren. Wer genau hinter einer solchen Initiative steht oder dass diese Personen im Gegensatz zu Politikern nicht demokratisch legitimiert sind, wird von den Befragten jedoch kaum thematisiert“, heben Hielscher und Klink hervor. „Das fast blinde Vertrauen vieler Bürger könnte somit dem Machtmissbrauch Einzelner Vorschub leisten, die unter dem Deckmantel des Gemeinwohls Partikularinteressen durchsetzen wollen.“
Der positiven Sicht von Bürgerbeteiligung liege die Annahme zu Grunde, dass sie demokratische Prozesse intensiviere und Entscheidungen nachhaltig legitimiere. „Sind es aber nur einige Wenige, die so zu großem Einfluss kommen, wird der Versuch der vermeintlich demokratischen Praxis ad absurdum geführt.“

Für eine gute Bürgerbeteiligung reicht also weder die Betroffenheit, noch die (offenbar glücklicherweise bereits vorhandene) Überzeugung, dass Beteiligung wichtig ist. Es fehlt noch etwas, um die Menschen aktiv werden zu lassen. Was ist es?

Eines ist sicher: Beteiligungsbereitschaft ist noch nicht ausreichend untersucht.

Literaturhinweise

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Wolf Schluchter

Atommüllendlagersuche und Zivilgesellschaft Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Esther Hoffmann; Wilfried Konrad; Franziska Mohaupt

Partizipative Produktentwicklung bei drei Energieversorgungsunternehmen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Katja Fitschen; Oliver Märker

Vom Flurfunk zur Mitarbeiterbeteiligung in öffentlichen Verwaltungen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Birgit Böhm; Christiane Sell-Greiser

Jugendbeteiligung im ländlichen Raum muss neu gedacht werden Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2 , Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Gisela Erler

Baden-Württemberg auf dem Weg zu einer dynamischen Mitmachdemokratie Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Jennifer Schellhöh

Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung - die 'Alternative für Deutschland' auf dem Prüfstand Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Elisabeth Leicht-Eckardt; Marcia Bielkine; Daniel Janko; Daniel Jeschke; Kathrin Kiehl; Dirk Manzke

Urbane Interventionen - Impulse für lebenswerte Stadträume in Osnabrück Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Adrian Vatter; Claudia Alpiger

Evaluationskriterien zur Bewertung von regionalen Bürgerbeteiligungsverfahren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Christine Grüger

Für und Wider der Partizipation in städtebaulichen Wettbewerbsverfahren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Christina Denz

Voneinander lernen am Beispiel des Projekts "Der richtige Dreh" Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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