6 Erwartungen

Die Bürgerbeteiligung nimmt in Deutschland zu. Dennoch bleiben Zweifel am Mehrwert von Partizipationsprozessen, wofür nicht selten Missverständnisse verantwortlich sind. Jörg Sommer spricht daher in seinem Beitrag über Erwartungen an Beteiligung, die in die Irre führen und über solche, die sie erfolgreich machen.

Foto: Veni via flickr, Lizenz: CC BY 2.0.

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag den Jörg Sommer, Direktor des Berlin Institut für Partizipation, am 19. April 2021 auf dem 3. Berliner Liegenschaftskongress gehalten hat. 

Seit über einer Dekade wird in Deutschland immer mehr, immer intensiver und auch qualitativ immer besser beteiligt. Und doch wird beinahe bei jedem Vorhaben neu diskutiert, ob mehr Beteiligung tatsächlich auch für mehr Akzeptanz sorgt. Sorgt sie. Aber nur, wenn sie gut gemacht ist.

Liegenschaftspolitik ist alles andere als ein konfliktfreier Raum. Beteiligung aber ist genau das: Konfliktmanagement. Und je konfliktreicher, desto gefährlicher sind Fehler. Wir wissen heute viel mehr über Beteiligung als vor 10 Jahren. Wir haben Erkenntnisse, was funktioniert, wann es funktioniert, wie es funktioniert – und warum manches krachend scheitert.

Sechs Erkenntnisse sind von herausragender Bedeutung verdienen besondere Beachtung. Einerseits sind es zwei Erwartungen an Beteiligung, die uns in die Irre führen und andererseits vier Erwartungen an Beteiligung, die sie erfolgreich machen.

1. Beteiligung ist nicht Akzeptanzbeschaffung

Wer beteiligt, um Akzeptanz für längst beschlossene Vorhaben zu erreichen, kann es auch gleich lassen. Denn dieses Motiv führt unmittelbar und regelmäßig zu inhaltlichen Fehlern, mangelnden Ressourcen, manipulativen Methoden und frustrierten Teilnehmer*innen. Das Wesen von Beteiligung ist Deliberation, also Diskurs mit Verhandlungscharakter. Steht das Ergebnis fest und die Beteiligung dient lediglich als legitimatorisches Beiwerk oder gar als didaktische Bürgerbelehrung geht das – das haben wir in der vergangenen Dekade gelernt – immer, aber auch wirklich immer in die Hose.

2. Beteiligung beseitigt keine Konflikte

Tatsächlich wird Beteiligung immer dann schwierig, wenn ihr ein falsches Verständnis von Konflikten zugrunde liegt. Konflikte sind kein Problem für Beteiligung, Konflikte sind ihr Treibstoff. In Beteiligung geht es immer um Konflikte, um unterschiedliche Einschätzungen, Erwartungen, Interessen. Genau darum gibt es Beteiligung. Gäbe es keine Konflikte, bräuchte es sie nicht. Beteiligung ist diskursives Konfliktmanagement. Nicht mehr. Und auch nicht weniger.

Diese beiden Erwartungen sind also gefährlich: Immer wenn Beteiligung Akzeptanz beschaffen und Konflikte vermeiden soll, tut sie sich im besten Fall schwer, im Regelfall scheitert eines von beiden: Der Beteiligungsprozess oder das Vorhaben. Oder beides.

Kommen wir nun zu den vier berechtigten Erwartungen an Beteiligung, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein soll.

3. Beteiligung muss frühzeitig erfolgen

Gelingende Beteiligung beginnt im frühen Planungsstadium. Denn dann ist die Ergebnisoffenheit am größten, die Chance auf qualitative Verbesserung vorhanden und die Verwerfungen sind am geringsten. Außerdem gibt es in diesem Stadium auch die Möglichkeiten, nicht nur zu den eigentlichen Plänen, sondern auch zu den Prozessen zu beteiligen, denn: Beteiligung auf Augenhöhe gibt es nur, wenn nicht nur eine Seite die Spielregeln bestimmt.

4. Beteiligung muss breit sein

Beteiligung ist kein Angebot, sondern eine Aufgabe von Politik, Verwaltung und Vorhabenträgern. Es ist ihre Aufgabe, genau zu recherchieren, wer betroffen sein könnte und deshalb zu beteiligen ist. Die üblichen Verdächtigen (männlich, 50+, gut ausgebildet und gerne mal nervend) kommen immer. Doch bei vielen anderen Gruppen reicht es nicht, sie über die Medien einzuladen, sie müssen gezielt angesprochen und motiviert werden.

5. Beteiligung muss gut gemacht sein

Frühe und Breite Beteiligung nutzt nichts, wenn sie nicht gut gemacht ist. Und wir wissen heute sehr gut, was gut ist. Hier sei auf die „10 Grundsätze Guter Beteiligung“ verwiesen, die die Allianz Vielfältige Demokratie entwickelt hat. Darin geht es im Kern darum, den Prozess offen, also flexibel zu halten und die Beteiligten nicht zu Objekten einer Dramaturgie zu machen, sondern als Partner*innen einer gemeinsamen Deliberation zu sehen.

Es geht darum, Konflikte anzunehmen, keine falschen Vorstellungen über den Wirkungsrahmen zu wecken, Informationen als Grundlage und nicht als Manipulationsmittel zu sehen und vor allem: Wirklich miteinander in den Diskurs zu kommen. Beteiligung ist keine Dienstleistung, die man extern delegiert, sondern ein Prozess, an dem sich auch die Beteiligenden beteiligen müssen.

6. Beteiligung muss wirken können

Zu guter Letzt geht es bei Beteiligung immer um Wirkung. Es ist nicht „gut, dass wir darüber gesprochen haben“, sondern „gut, dass wir etwas bewegt haben“. Ziel ist nicht die Akzeptanz vorgegebener Pläne, sondern Entwicklung akzeptierbarer Pläne. Werden Beteiligungsergebnisse nicht umgesetzt, kann es dafür gute Gründe geben, in diesem Fall müssen sie aber transparent gemacht werden, nach dem Prinzip: „Do it or explain it“.

Sollten wir also 10 Jahre Beteiligungserfahrung in einem Satz zusammenfassen, würden wir sagen: Die Qualität, der Erfolg und damit auch die Akzeptanz von Beteiligung hängen davon ab, dass sie früh beginnt, breit beteiligt, gut aufgesetzt und letztlich wirksam ist.

Literaturhinweise

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Starke Demokratie: Über die Teilhabe am Politischen Buch

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Der Planungsworkshop unterstützt mit seinem strukturierten Ablauf und geringen Zeitanspruch Kommunen bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans. Die Methode ist besonders geeignet für Gruppen, die bereits über eine gemeinsame Vision verfügen.

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