Macht Berlin Ernst mit Bürgerbeteiligung?

Quelle: www.Berlin.de , eigene Aufnahme (9.11.2015)

An der Gestaltung des Tempelhofer Feldes kann sich der Berlin-Einwohner nach dem Scheitern der Senats Planungen beteiligen. Die Bürgerbeteiligung soll jetzt in der Stadt systematisiert werden, und gleichzeitig möchte der Senat an der Spitze der digitalen Revolution sein. Fast drei Jahre hat es gedauert, aber am 31. August war es soweit: Die Plattform Mein.Berlin.de ist online. Unter dieser Adresse wird jeder Berliner Zugang zu allen offiziellen Beteiligungsverfahren haben, die es in Berlin gibt. Die einzelnen Projekte und Abläufe werden allgemein verständlich erklärt – von der Kiezkasse über den Bürgerhaushalt bis zum Bebauungsplanverfahren.

Diese Plattform solle die Organisation von Volksentscheide nicht ersetzen, sondern die Beteiligungsverfahren verbessern.  Volksentscheide scheinen vor allem dann erfolgreich zu sein, wenn sie mit anderen Wahlen verbunden werden. Laut Tagesspiegel: „Berliner meckern zwar gern, aber nur wenn es nicht zu viel Mühe macht“. In den nächsten Monaten werden wir dann sehen, ob Online-Beteiligungsmöglichkeiten attraktiver für die Berliner sind als Volksentscheide.

„Berliner meckern zwar gern, aber nur wenn es nicht zu viel Mühe macht“

Wie sieht die neue Bürgerbeteiligungs-Plattform aus? Laut der Lokalzeitung, dient die Website für die Beteiligung an der künftigen Gestaltung der Tempelhofer Freiheit als Muster. Außerdem erwähnte der Senat die Website Kiezkasse vom Bezirk Treptow-Köpenick, auf der Vorschläge zur Verwendung von Geldern Online eingereicht werden können. Die Vorschläge werden in einer Liste aufgeführt, und können kommentiert und unterstützt werden. Die Stadt Porte Alegre hatte diese Idee der „partizipativen Budgetierung“ oder Bürgerhaushalt zuerst eingeführt. Sie wurde zum Beispiel seit 2014 auch von der Hauptstadt Frankreichs übernommen. Auf einer Internetseite könnten die Pariser Vorschläge für die Nutzung  von 5% des jährlichen Investitionsbudget für die Zeitspanne 2014-2020 machen, was insgesamt ca. 426 Millionen € entspricht. Die Machbarkeit der Projekte wird von der Stadt überprüft, bevor eine bürgerliche Versammlung die Projekte auswählt, die zur Abstimmung online vorgelegt werden. Jedes Jahr werden dann gemäß diesem Prozess 9 bis 10 Projekte ausgewählt.

Zurück in der Hauptstadt Deutschlands fragt man sich allerdings, ob der Senat Berlin das Konzept Bürgerbeteiligung mit Informationsveranstaltungen und nachträglichen Legitimationsmitteln verwechselt. Auf der neuen Plattform lädt der Senat alle Bürgerinnen und Bürger zu „Bürgerworkshops“ zur Gestaltung des Alexanderplatz ein, um sich zu Ideen zur künftigen städtebaulichen Entwicklung des Gebietes, zur Platzgestaltung und Nutzung des öffentlichen Raumes auszutauschen. Wer näher hinschaut erkennt: Hier geht es nur um die „Weiterentwicklung“ eines Masterplans, der 1993 entwickelt aber nicht verwirklicht wurde. Inzwischen haben die Inhaber der Baugenehmigungen ihre Gebäude modernisiert. Der Bürgerdialog sei nicht ergebnisoffen, die Abgeordneten halten in jedem Fall an der Hochhauskonzeption fest. Die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat dies klargestellt: „Die Diskussion kann nicht ergebnisoffen sein, weil das Abgeordnetenhaus vor vielen Jahren einen Bebauungsplan beschlossen hat. Es ist damit eindeutig ein Hochhausstandort und es besteht Baurecht für die Grundeigentümer.“

„Die Diskussion kann nicht ergebnisoffen sein, weil das Abgeordnetenhaus vor vielen Jahren einen Bebauungsplan beschlossen hat. Es ist damit eindeutig ein Hochhausstandort und es besteht Baurecht für die Grundeigentümer.“

Auf der Internetseite der Stadtentwicklung kann man zudem lesen: „Die Rahmenbedingungen für das Workshopverfahren stellten wir bereits in der Vorbereitungsphase (April bis Juni 2015) für Sie zusammen. Das geschah zwischen den Verwaltungen von Bezirk und Senat, den Eigentümern sowie externen Gutachtern.“ Mit diesem Bürgerdialog scheint vor allem der Senat, nach einer nachträglichen Legitimation für ein umstrittenes Projekt zu suchen. Die längere kontroverse Diskussionen über den Alexanderplatz und die dort geplanten Hochhäuser haben die Verwirklichung der Bebauungspläne bisher verhindert. Eine Schein-Bürgerbeteiligung mit solchen Methoden wird aber wohl kaum Akzeptanz für das Projekt schaffen. Während des Workshops am Dienstag Abend haben sich laut Rundfunk Berlin-Brandenburg die Bürger vor allem gegen die Hochhaus-Pläne gewehrt.

Keine Beteiligung also, sondern vor allem ein Ort für Protest gegen bereits feststehende Pläne.

Literaturhinweise

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Politische Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und Gremienarbeit Forschungsbericht

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Wolf Schluchter

Atommüllendlagersuche und Zivilgesellschaft Buchabschnitt

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