Forderungen der jungen Erwachsenen und Beteiligungspraktiker an die Endlagerkommission

Quelle: Drucksache 194 der Endlagerkommission , eigene Aufnahme (23.03.2016)

Gestern berichtete der Bblog über die Kritik von Teilnehmenden eines Workshops, der von der Endlagerkommission ins Leben gerufen wurde. Junge Erwachsene und Beteiligungspraktiker hatten sich dort gemeinsam mit dem gegenwärtigen Stand des Beteiligungskonzepts der Kommission auseinandergesetzt und diverse inhaltliche Schwachstellen identifiziert. Daraufhin reichten die Vertreterinnen und Vertreter des Beteiligungsformats unlängst ein Schreiben bei der Endlagerkommission ein. Es enthielt einerseits Kritik am gegenwärtigen Beteiligungskonzept und bemängelte die unzureichende Berücksichtigung inhaltlicher Meinungen von Beteiligten aus der Öffentlichkeit. Andererseits kündigte es an, zeitnah inhaltliche Alternativvorschläge einzureichen, was nun in Form der Drucksache 194 geschehen ist. Eine gekürzte Fassung dieses frisch erschienen Dokuments, das die zentralen Ergebnisse und Themen der Workshopteilnehmer darlegt, können Sie nachfolgend lesen. Ein Downloadlink zum vollständigen Bericht mit ergänzenden Anmerkungen und Fußnotenverweisen finden Sie am Ende des Beitrags.


 

Erfolgsfaktoren für das Beteiligungssystem Standortsuche –
Mehr Bürgerbeteiligung für einen wirklich partizipativen Prozess

Unsere zentralen Botschaften

Die Teilnehmenden des „Workshops junge Erwachsene und BeteiligungspraktikerInnen“ verstehen Beteiligung als Treiber der Transformation zu einer neuen Qualität des Standortauswahlprozesses. Diese Perspektive betrachtet Beteiligung nicht als Hemmnis oder Blockadeinstrument im Suchprozess, sondern als Garant für die Qualität. Klar ist: Es braucht eine neue Qualität der Bürgerbeteiligung im Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten:

  • Eine Anerkennungskultur und wertschätzende Würdigung des politischen Engagements und ehrliche Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit.
  • Ein Verständnis dafür, dass der Garant für ein Verfahren mit maximalem gesellschaftlichen und stabilem Konsens in der partizipativen Bewältigung von Konflikten liegt.
  • Beteiligung, gesellschaftliche Akzeptanz und naturwissenschaftlich-technische Expertise sind gleichwertige Elemente im Standortauswahlprozess.

Ausdrücklich unterstützen wir die Aussagen, dass das BfE Träger der Beteiligung ist und eine frühe Etablierung eines (vorläufigen) Nationalen Begleitgremiums erfolgen soll. Da uns einige Ausführungen nicht überzeugten, haben wir ein Beteiligungssystem entwickelt, das unseren Ansprüchen entspricht. Die folgenden Ausführungen sind grundlegende Anforderungen an ein Beteiligungssystem, die erfüllt sein müssen, um einen Prozess zu gewährleisten, der die von der Kommission in Grundsatz 7 festgelegte „breite Zustimmung in der Gesellschaft für das empfohlene Auswahlverfahren“ auch erreichen kann.

Erfolgsfaktor 1: Frühzeitige und kontinuierliche Beteiligung sicherstellen

Ein partizipatives Suchverfahren verlangt, dass alle Parteien fair und vorbehaltlos am gesamten Verfahren beteiligt werden. Offenheit im Verfahren bedingt zudem, dass Beteiligungsangebote geschaffen werden, die frühzeitig im Verfahren einsetzen und nicht bereits durch vielfältige Vorfestlegungen beschränkt sind. Nur in der Frühphase des Verfahrens ist eine ehrliche und objektive Auseinandersetzung in einer emotional wenig aufgeladenen Atmosphäre möglich. Akzeptanz oder wenigstens Toleranz von Entscheidungen im weiteren Verfahren wird nur erreichbar sein, wenn es in der Frühphase durch dialogorientierte Verfahrenselemente gelingt, eine Gemeinwohlorientierung bei den Teilnehmenden zu erreichen.

Der Prozess der (Nicht)Beteiligung beginnt mit Abgabe des Berichtes der Kommission. Zu diesem Zeitpunkt muss aus unserer Sicht die Beteiligung in Form von Information (Kommunikationsplattform und Informationskampagne) und in der Konsultation über die Kriterien erfolgen. Wir verweisen hier auf unsere Idee über die Kriterien erst einmal nur vorläufig abzustimmen und diese noch mal breit und öffentlich zu diskutieren.

Im Bericht wird zwar grundsätzlich erwähnt, dass es eine frühzeitige Beteiligung geben soll, es fehlen aber entsprechende Vorschläge. Bedarf besteht insbesondere

  • an einer öffentlichen Konsultation der Kriterien vor Verabschiedung des neuen StandAG oder alternativ im Rahmen des von uns vorgeschlagenen zweiteiligen Beschlusses
  • eine sofortige Einsetzung des (vorläufigen) Nationalen Begleitgremiums nach Abgabe des Kommissionsberichtes und
  • einer aktiven Informationskampagne, die neben den passiv bereitgestellten Informa-tionen der Kommunikationsplattform die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an, kontinuierlich und aktiv über Verfahren, bisherige Ergebnisse und Mitwirkungsmög-lichkeiten informiert.
  • Wissenstransfer aus laufenden Formaten

Beteiligungsmöglichkeiten müssen für die breite Bevölkerung in größtmöglicher Beteiligungstiefe gegeben sein.

 Erfolgsfaktor 2: Ein agiles, zukunftsorientiertes, lernendes System als Grundlage der Beteiligung ermöglichen und fördern

Beteiligungssysteme sind hochkomplexe soziale Prozesse, die in ihrem Ablauf und in ihren Wirkungen nicht vorhersehbar, sondern nur über fehlertolerantes und schrittweises Vorgehen gestaltbar sind. Wichtige Aspekte sind:

  • Prüfung der Kriterien auf Aktualität und Gültigkeit in Regionalkonferenzen jeweils zu Beginn der Phasen
  • Reflexionsmomente innerhalb der Phasen und der Reflexionsebenen
  • Anpassung(smöglichkeit) des Prozesses an sich verändernde Rahmenbedingungen (Beteiligung und Kriterien, wenn bessere und sichere technische Innovationen).
Erfolgsfaktor 3: Eine ressourcengerechte Ausstattung aller Instanzen im Beteiligungssystem gewährleisten

Damit auch eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, Stakeholder und Akteure durchgeführt werden kann, müssen drei Elemente gewährleistet werden:

  • Dürfen – die Rahmenbedingungen und (gesetzlichen) Grundlagen, die im Beteiligungssystem der Kommission verankert sein müssen.
  • Wollen – die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden, die entweder schon vorhanden oder geweckt werden muss.
  • Können – die Teilnehmenden müssen über die personellen Fertig- und Fähigkeiten verfügen oder sich diese aneignen (können) und diese auch über Beteiligungsformate einbringen können.

Damit die Teilnehmenden sich einbringen können, bedarf es exemplarisch folgendes:

  • Die Ermöglichung von Empowerment, Fortbildung, Qualifizierungen für Bürgerinnen, Bürger und Institutionen.
  • Die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Beteiligungsgremien von Politik und Verwaltung (insbesondere keine personelle Überschneidungen und garantierte Bereitstellung der finanziellen Ressourcen).
  • Die Gremien mit ihren personell und sachlich angemessen ausgestatteten Geschäftsstellen.
Erfolgsfaktor 4: Mittendrin statt nur dabei – Nationales Begleitgremium in zentraler Stellung einrichten

Neben dem Verfahrensträger BfE sehen wir im Beteiligungssystem ein nationales Begleitgremium (NBG) in zentraler Stellung, welches die Gemeinwohlorientierung, Glaubwürdigkeit und hohe Qualität des Standortauswahlprozesses gewährleistet. Ihm kommt mit Blick auf das Gesamtverfahren eine übergeordnete Wächterfunktion zu. Es wird ergänzt um weitere Beteiligungsformate, die der Interessenwahrung einzelner Gruppen dienen. In diesem nationalen Begleitgremium müssen Bürgerinnen und Bürger ausreichend repräsentiert und beteiligt werden.

Im Unterschied zur K-Dr. 180a schlagen wir vor, das NBG ausschließlich mit zu befähigenden Bürgerinnen und Bürgern und VertreterInnen der Zivilgesellschaft zu besetzen. Wir betrachten die Bürger als unabhängiger in der Bewertung, weniger interessensgeleitet in der Sache und besser geeignet die Bürgerschaft zu repräsentieren. Sie eignen sich besser, um die Glaubwürdigkeit des Verfahrens zu verteidigen und gemeinschaftliche Positionen zu entwickeln, wenn sie für die Aufgabe befähigt werden. Dies wurde in zahlreichen Beteiligungsverfahren zu gesellschaftlichen Fragestellungen erfolgreich eingesetzt (Planungszellen, Konsensus-Konferenzen und Bürgerinnenräte). Für die Erörterung der wichtigen Sachfragen schlagen wir einen wissenschaftlichen Beirat vor (s. Erfolgsfaktor 6). Dieses Gremium stellt die wissenschaftlichen Grundlagen für die gesellschaftlich relevanten Entscheidungen zur Verfügung.

Folgende Aspekte sind uns beim NBG besonders wichtig:

  • Bürgeransatz statt Expertenansatz
  • Die Mitglieder wählen sich zwei SprecherInnen – je eine Person für Technik und Beteiligung – mit hoher Reputation und paritätisch (m/w) besetzt.
  • Die Jugend / Jugendverbände sollen im NBG repräsentiert sein.
  • Das NBG übergibt die erarbeiteten Empfehlungen an den Bundestag und Bundesrat. Somit erhält das NBG eine zentrale Stelle im Beteiligungssystem.
Erfolgsfaktor 5: Wir fordern die Einrichtung einer Beteiligungsbeauftragten mit Prüfauftrag und eigener Geschäftsstelle.

Der/Die Beteiligungsbeauftragte fungiert als eine Ombudsstelle, die mit vergleichbaren Befugnissen/Kompetenzen wie die des/der Bundesdatenschutzbeauftragten ausgestattet ist. Eine wichtige Aufgabe dieser Person/Stelle ist das Konfliktmanagement. Während das nationale Begleitgremium als Hüter des Gemeinwohls fungiert, kommt der/dem Beteiligungsbeauftragten die Aufgabe zu, konkrete Anliegen der Öffentlichkeit aufzunehmen und allparteilich zu behandeln, im günstigen Fall mit den Akteuren gemeinsam getragene Lösungen herbeizuführen. Dazu muss diese Stelle personell und finanziell hinreichend ausgestattet sein. Das NBG behält seine übergeordnete Wächterfunktion und entscheidet im Zweifel (wenn der Konflikt zu groß wird).

Erfolgsfaktor 6: Beteiligungssystem

 In dem bisherigen Beteiligungskonzept der AG 1 (K-Drs. 180a) ist die Systemperspektive aus unserer Sicht unzureichend. Ein ganzheitlicher, abgestimmter Blick auf das Gesamt(beteiligungs)system, das Zusammenwirken der Gremien und eine klare Rollen- und Aufgabendefinitionen sind unabdingbar. Der Begriff Beteiligungssystem umfasst aus unserer Sicht neben dem Beteiligungsprozess unter anderen auch die Gremien und Organisationen, das Zusammenwirken und die gegenseitigen Abhängigkeiten sowie die Kultur der Zusammenarbeit. Wie die zentralen Elemente des Beteiligungssystems aussehen, haben wir am Ende eingefügt.

In der nachfolgenden Abbildung sind die Überlegungen der Workshopteilnehmenden zum Beteiligungssystem dargestellt. Die Darstellung enthält folgende zentralen Elemente:

  • das Nationale Begleitgremium als zentrales, steuerndes und national übergreifendes Kontroll- und Beteiligungsorgan,
  • das BfE als umsetzendes Organ sowohl der Beteiligung als auch für die Organisation des technisch-wissenschaftlichen Prozesses,
  • die regionalen Beteiligungsformate als regionale Kontroll- und Beteiligungsorgane,
  • die/den Beteiligungsbeauftragten als Konfliktschlichtungs- und Ombudsstelle,
  • einen wissenschaftlichen Beirat als Beratergremium, das alternativ beim NBG als auch beim BfE angesiedelt werden kann und nicht zuletzt
  • die Legislative mit Bundestag und Bundesrat.

Im Bereich der Beteiligung der Regionen muss die Grafik dann den jeweiligen Phasen entsprechend angepasst werden.

 

Weiterführende Information:

Download des vollständigen Berichts mit ergänzenden Anmerkungen und Fußnotenverweisen

Literaturhinweise

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Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

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Das Prinzip Haltung: Warum gute Bürgerbeteiligung keine Frage der Methode ist Buchabschnitt

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Dr. Antoine Vergne

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Bürgerbeteiligung - Praxisberatung für die Kommunalpolitik: Handreichung für die Weiterbildung von Kommunalpolitikern Online

2018.

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